Im Juli 2021 verwüstete die „Jahrhundertflut“ Teile des Ahrtals. Jetzt, drei Jahre später, liegt der Abschlussbericht der Naturkatastrophe vor. Der Bericht ist online einsehbar und prangert massive Versäumnisse des Ex-Landrats an.
Der rheinland-pfälzische Landtag hat den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 am Freitagmorgen öffentlich vorgelegt. Der rund 2100 Seiten starke Bericht wurde online gestellt. Der Ausschuss hatte in 47 Sitzungen rund 250 Zeugen und Fachleute befragt. Im September-Plenum des Parlaments ist eine Debatte über die Erkenntnisse vorgesehen.
Der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) hatte auf der letzten Sitzung erklärt, der Untersuchungsausschuss habe alles in der seiner Macht Stehende getan, um die Verantwortlichkeiten unmittelbar vor und während der Flutkatastrophe und in den ersten Wochen danach zu klären. Das Unglück sei von den Ausschussmitgliedern „sehr angemessen“ aufgearbeitet worden, sagte Haller. Er hoffe, dass auch die betroffenen Bewohner des Ahrtals durch die Lektüre Antworten auf ihre Fragen fänden.
Der Abschlussbericht benennt „massive Versäumnisse des Landkreises bzw. des damaligen Landrats des Kreises Ahrweiler“. Bedingt durch Verfehlungen von Ex-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) sei es „nicht zu einer notwendigen Vorsorge im Vorfeld der Flutkatastrophe sowie angemessenen Reaktionen während dieser gekommen“, heißt es in dem Dokument.
Ein Sachverständiger bezeichnete Pföhler als „Systemsprenger“. Wörtlich lautete das Zitat: „Wir haben es hier nicht mit einem Systemproblem zu tun. Wir haben es hier mit einem Systemsprenger zu tun. Das heißt, eine Person war der Meinung, es ganz anders machen zu müssen: Ich brauche keinen Verwaltungsstab, ich muss auch gar nicht da sein, ich kann alles delegieren, ich schaffe von drei Einheiten, die seit 70 Jahren in Deutschland Standard sind, (…) zwei ganz einfach ab. Das mache ich eigenständig, ohne es mir genehmigen zu lassen.“
Der Bericht kann online auf der Landtagsdatenbank abgerufen werden.
„Die Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021 ist die größte Naturkatastrophe, die unser Bundesland seit seiner Gründung am 30. August 1946 ereilt hat“, hält der Bericht fest. 136 Menschen hätten ihr Leben gelassen, viele weitere seien verletzt worden, unzählige hätten ihr Hab und Gut verloren. Die psychischen Belastungen hallten bis zum heutigen Tage und auch in der weiteren Zukunft nach. „Unser Bundesland wurde an diesen beiden Tagen und in jener Nacht bis ins Mark getroffen“, formuliert der Untersuchungsausschuss. Diese Naturkatastrophe werde „für immer im kollektiven Gedächtnis unseres Landes bleiben“.
Opposition fordert Entlassung Verantwortlicher
Die Oppositionsfraktionen von CDU, AfD und Freien Wählern betonen die Verantwortung übergeordneter Behörden und der Landesregierung. Sie erneuerten ihre Forderung nach einer Entlassung oder einem Rücktritt des Umwelt-Staatssekretärs Erwin Manz (Grüne) und des Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleitungsdirektion, Thomas Linnertz.
Der Ausschuss habe „die unzureichende Vorbereitung des Hochwassermanagements und des Katastrophenschutzes, die fehlende Kommunikationsbereitschaft und die eklatant unterbliebene Zusammenarbeit der rheinland-pfälzischen Behörden schonungslos offengelegt“, sagte der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Ausschussvorsitzende Marcus Klein. Die CDU-Fraktion forderte die Entlassung von Manz und Linnertz. „Schwer zu ertragen“ sei auch „das laute Schweigen der ehemaligen Ministerpräsidentin“ Malu Dreyer (SPD). Jedoch hätten viele Hilfskräfte und freiwillige Helfer „bis zum Umfallen gekämpft“ und Menschenleben gerettet.
Auch der Obmann der AfD im Ausschuss, Jan Bollinger, forderte die Entlassung von Manz und Linnertz. Bollinger kritisierte, dass das Umweltministerium und seine nachgeordneten Behörden keinen Hochwasserrisikomanagement-Plan vorbereitet hätten. Die Bedrohungslage aufgrund der Wettervorhersage sei den Katastrophenschützern in den Kommunen nicht angemessen mitgeteilt worden. In der Katastrophe sei die Unterstützung der Kommunen durch übergeordnete Behörden und die Landesregierung unterblieben. „So blieben die Verantwortlichen vor Ort blind, erkannten die Katastrophe nicht rechtzeitig und warnten und evakuierten die Bevölkerung nicht wirksam.“
Die Obleute der Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP betonten hingegen das Versagen Pföhlers. Er sei für die mangelnde Vorsorge für einen Katastrophenfall, die Abwesenheit in der akuten Notlage und die verspätete Warnung der Bevölkerung vor Ort verantwortlich. Außerdem sei die Flutkatastrophe „ein in seinen Ausmaßen und Abläufen singuläres und so nicht vorhersehbares Ereignis“ gewesen. Der Obmann Philipp Fernis (FDP) ergänzte, die Koalition habe Schlüsse aus der Aufarbeitung gezogen und ein neues Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz gegründet.
Flut sei „so gut wie unvorhersehbar“ gewesen
Der Bericht betont allerdings auch, dass das Ereignis in seinem Ausmaß und seiner Einzigartigkeit „so gut wie unvorhersehbar“ gewesen sei. Es sei selbst bundesweit beispiellos gewesen, dass teils meterhohe Wellen durch ein Flusstal schossen. Die Katastrophe sei auch „aufgrund einer Vielzahl von Gründen wie beispielsweise Stromausfällen, Funkausfällen, Meldelücken und vielem mehr in seiner tatsächlichen Dimension außerhalb der direkt betroffenen Regionen lange Zeit nicht erfassbar“ gewesen. Der Untersuchungsausschuss hebt hervor, dass der Landtag als Konsequenz eine Enquete-Kommission eingesetzt habe, die „Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge“ entwickeln soll.
Erkenntnisse im Zuge der Beweisaufnahme hatten zu den Rücktritten von Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) und Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) geführt, die zum Zeitpunkt der Flut an der Spitze des rheinland-pfälzischen Umweltressorts gestanden hatte. Oppositionsfraktionen im Landtag forderten darüber hinaus den Rücktritt von Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) und des Präsidenten der Aufsichtsbehörde ADD, Thomas Linnertz.
epd/con