Im Streit um eine als polemisch empfundene Überschrift hat Julian Reichelts Onlineportal vor Gericht gegen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewonnen. Die Formulierungen seien „in keiner Weise“ geeignet, die Funktionsfähigkeit der Regierung „schwerwiegend zu beeinträchtigen“.
Die Bundesrepublik Deutschland hat vor Gericht erneut gegen das Nachrichtenportal „Nius“ verloren. Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, hatte ein Verfahren angestrengt, um Aussagen des von Julian Reichelt geleiteten Mediums untersagen zu lassen. Das Landgericht Berlin hatte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits zurückgewiesen, nach einer Beschwerde bestätigte das Kammergericht jetzt diese Entscheidung.
Auslöser der Beschwerde war ein „Nius“-Bericht über eine Transperson, die in Erlangen Mitglied in einem Frauen-Fitnessstudio werden wollte und abgelehnt wurde. Die Betreiberin hatte argumentiert, dass sich andere Frauen gestört fühlen könnten, da die Transperson trotz Hormonbehandlung weiterhin männliche Geschlechtsmerkmale besitzt. Außerdem habe die Transperson einer anwesenden Mitarbeiterin keinen Ausweis vorgelegt. Die Betreiberin hatte auf ihr Hausrecht verwiesen und die Aufnahme abgelehnt. In der Folge waren mehrere Kompromissversuche gescheitert.
Also wendete sich die Transperson an die Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes. Atamans Behörde adressierte ein Schreiben an die Studiobetreiberin, worin eine Stellungnahme und die Zahlung von 1000 Euro angeregt wurde, um die Transperson für die „erlittene Persönlichkeitsverletzung“ zu entschädigen.
ADS spricht von „gravierenden Falschbehauptungen“
Das Portal „Nius“, das vom früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt geleitet wird, reagierte und veröffentlichte am 30. Mai einen Beitrag mit der Überschrift: „Regierung will 1000 Euro Bußgeld für Frauen-Fitnessstudio“. Die ADS störte sich unter anderem an den Begriffen „Regierung“ und „Bußgeld“, forderte Richtigstellung und stellte Unterlassungsanträge beim Landgericht.
Die beanstandeten Angaben seien „Fake News“ und „allesamt falsch“ – so gehöre die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung nicht zur Regierung und verhänge auch keine Bußgelder oder Strafen. In Summe lägen „gravierende Falschbehauptungen“ vor. Die Aussagen seien dazu geeignet, das Vertrauen der Bürger in die ADS, deren Leiterin und deren Funktionsfähigkeit zu gefährden.
Im aktuellen Beschluss, der WELT vorliegt, weisen die Richter den Antrag zurück und bestätigen die Entscheidung des Landgerichts. Die Befürchtungen der Antragstellerin könnten „ausgeschlossen werden“ und lägen „nicht einmal ansatzweise“ vor. Die Äußerungen im „Nius“-Text seien „zwar teilweise polemisch zugespitzt, aber jeweils von der Meinungsfreiheit geschützt“. Es gehöre zum Kern der Meinungsfreiheit, „Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können“.
Kosten für das Verfahren trägt der Steuerzahler
Die ADS sei weiterhin von ihrer Rechtsposition überzeugt, sagte Ataman gegenüber „t-online“. Man werde die Entscheidung prüfen. Die Kosten des Verfahrens gehen zulasten der Staatskasse. Der Gebührenstreitwert war auf 30.000 Euro festgelegt worden. „Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Machtkritik sind konstituierend für den freiheitlichen Staat. Auch scharfe Kritik muss ohne Furcht vor staatlicher Verfolgung möglich sein. Aber bei dieser Regierung gilt das nicht“, sagt Reichelts Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel zu WELT.
Es ist Reichelts zweiter gerichtlicher Erfolg innerhalb weniger Monate. Im April hatte der „Nius“-Chefredakteur sich vor dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt, nachdem das Kammergericht Berlin ihm per einstweiliger Verfügung kritische Äußerungen über die Bundesregierung untersagt hatte. Im August 2023 hatte Reichelt auf der Onlineplattform X geschrieben, Deutschland habe in den vergangen zwei Jahren 370 Millionen Euro Entwicklungshilfe an die Taliban gezahlt.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beantragte per einstweiliger Verfügung, diese Aussage zu unterbinden, das Kammergericht stimmte dem zu. Reichelt legte daraufhin eine Verfassungsbeschwerde ein, welche vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert wurde. Das höchste Gericht Deutschlands wies den Beschluss unter Verweis auf Reichelts Grundrecht auf Meinungsfreiheit zurück.
„Die umstrittene Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman scheitert jetzt bei dem Versuch, eine rechtmäßige Meinungsäußerung zu verbieten“, sagt Rechtsanwalt Steinhöfel. „Amtskollegin Svenja Schulze wurde im April vom Verfassungsgericht belehrt und Innenministerin Faeser kann Meinungsfreiheit nicht mal buchstabieren, wenn man ihr eine Waffe an den Kopf hält.“
Bei einer Spendenaktion für mögliche Gerichtskosten der Fitnessstudio-Betreiberin kamen bislang 68.950 Euro zusammen. Das umstrittene Selbstbestimmungsgesetz soll zum 1. November in Kraft treten.