Politischen Extremismus sollte man verbieten, oder? Nancy Faeser geht voran und schließt ein rechtsextremes Magazin. Eine gute Entscheidung? Nein, das ist eine Anmaßung.
„Ich habe heute das rechtsextremistische ‚Compact-Magazin‘ verboten“, erklärte die Bundesinnenministerin vor genau einer Woche. Ich, Nancy Faeser. Die Begründung: „‚Compact‘ ist ein zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene. Dieses Magazin hetzt auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie.“
Die Begründung ist zutreffend. Das Monatsmagazin, Auflage 40.000, und die täglichen YouTube-Videos, die mehrere Zehntausend Menschen erreichten, gehören zum Übelsten, was der politische Journalismus in Deutschland hervorbringt. Ich bin seit vier Jahrzehnten journalistisch aktiv und habe hohen Respekt vor der Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen – egal ob sie auf einer großen Plattform wie t-online schreiben oder für eine kleine Lokalzeitung, öffentlich-rechtlich oder privat, ob sie politisch links oder rechts oder in der Mitte zu verorten sind. Aber für „Compact“ habe ich keinen Respekt übrig. Das ist ein Drecksblatt.
Also ist es gut, dass Nancy Faeser „Compact“ verbietet? Diese Schlussfolgerung liegt nahe, aber sie ist falsch. Nancy Faeser hat nicht das Recht, ein Blatt zu verbieten, egal was drinsteht. Trotzdem wurden in den vergangenen Tagen nur wenige kritische Stimmen laut. Die meisten hielten die Entscheidung in der Sache für richtig, meinten aber, sie müsse von Gerichten getroffen werden, nicht von der Ministerin. Auch das ist falsch. Im Grundgesetz gibt es zwar den Artikel 21, der das Verbot von verfassungsfeindlichen Parteien regelt – eine vergleichbare Regelung für Medien gibt es aber nicht. Als ich an dieser Kolumne arbeitete, fragte ich einen klugen Juristen, warum eigentlich nicht. Er schaute mich, den langjährigen Journalisten, etwas spöttisch an und sagte dann: „Man nennt es Pressefreiheit.“
Ich höre schon Ihren Einwand: Pressefreiheit heißt also, dass die Medien alles dürfen? „Compact“ verunglimpft Minderheiten, der Gründer und Chefredakteur Jürgen Elsässer propagiert den „Regimewechsel“ in Deutschland, zusammen mit seinen Nazi-Kumpels zieht er über Migranten her und veröffentlicht geschmacklose Titelseiten mit den Konterfeis von Regierungspolitikern. Alles easy? Nein, natürlich nicht. Für Medien gelten die Gesetze, die für alle gelten: Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung sind strafbar. Medien haben zudem die Persönlichkeitsrechte von Menschen zu achten, etwa das Recht auf Privatsphäre. Wenn sie falsch berichten, können Betroffene Gegendarstellungen verlangen, möglicherweise auch Schadenersatz. Es gibt in jedem Bundesland ein Pressegesetz, in dem die Details geregelt sind.
Der entscheidende Unterschied
„Compact“ hat seinen Sitz in Falkensee bei Berlin, also in Brandenburg. Das brandenburgische Landespressegesetz droht leitenden Redakteuren und Verlegern Haftstrafen an, wenn sie in ihrem Blatt strafbare Inhalte dulden – auch wenn sie die Texte nicht selbst geschrieben haben. Wenn Nancy Faeser den Verdacht hat, dass die Inhalte von „Compact“ nicht nur unsäglich sind, sondern auch unzulässig, kann sie das bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Die Justiz prüft dann, ob der mediale Extremismus noch zulässig ist oder nicht. Das ist eine rechtliche Prüfung, keine Gesinnungsprüfung – ein entscheidender Unterschied.
Im brandenburgischen Pressegesetz steht auch, die freie Presse sei ein Wesenselement des demokratischen Staates. Und ganz lapidar heißt es: „Sondermaßnahmen jeder Art, die diese Freiheit beeinträchtigen, sind verboten.“ „Ich, Nancy Faeser …“ – ist das etwa keine Sondermaßnahme? Hat Nancy Faeser das Gesetz nicht gelesen?
Doch, Faeser weiß genau, was sie da tut. Sie weiß, dass sie keinerlei Kompetenz hat, das rechte Magazin zu verbieten, entgegen ihrer vollmundigen Behauptung. Deshalb wendet sie einen juristischen Trick an: Die Innenministerin kann Vereine verbieten, deren Tätigkeit sich gegen die Verfassungsordnung richtet; was ein Verein ist, wird dabei weit gefasst. Konkret hat Faeser weder ein Magazin noch Videos verboten, sondern zwei GmbHs, die zusammen den „Compact“-Verlag bilden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Schachzug letztlich Erfolg haben wird, ist gering. Aber das wird gerichtlich erst entschieden, wenn sie längst nicht mehr im Amt ist. Heute kann sie sich als entschiedene Kämpferin gegen den Rechtsextremismus inszenieren.
Was hat der Verfassungsschutz da zu suchen?
Die Verbotsverfügung gegen den Verlag in Falkensee ist 79 Seiten lang. Der Verfassungsschutz hat die Belege für die Einschätzung gesammelt, „Compact“ sei ein „politischer Agitator mit verfassungsfeindlicher Grundhaltung“. Diese Einschätzung ist ja nicht falsch, siehe oben. Aber wieso beschäftigt die Innenministerin eigentlich einen Geheimdienst damit, die Grundhaltung einer Redaktion herauszufinden? Erstens ist das völlig überflüssig: „Compact“ verheimlicht weder seine Ansichten noch seine Absichten, im Gegenteil. Auf YouTube und am Bahnhofskiosk drängen Elsässer und Konsorten den Menschen ihre menschenverachtende Ideologie geradezu auf. Und zweitens: Was hat der Verfassungsschutz überhaupt in den Medien zu suchen? Gar nichts.
Aber der Übergriff hat System. Am vergangenen Donnerstag wurde vor dem Berliner Verwaltungsgericht der Fall eines anderen Mediums verhandelt. Die „Junge Welt“ wehrt sich dagegen, dass sie vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird. Falls Sie im Osten aufgewachsen sind, kennen Sie die „Junge Welt“: eine Tageszeitung, nicht rechtsextrem, sondern linksradikal. Zu DDR-Zeiten war sie die Zeitung der FDJ, der Jugendorganisation der SED. Sie hatte eine Millionenauflage und kündete von der Überlegenheit des Sozialismus. Heute ist sie ein Nischenprodukt, hat 20.000 Auflage und schreibt für Leute, die den Kapitalismus strikt ablehnen und bei der Erinnerung an die DDR von nostalgischen Glücksgefühlen überwältigt werden.
Die Agenten haben beim Lesen dieser Zeitung Ungeheuerliches herausgefunden: Die „Junge Welt“ strebe den Umsturz an, die Zeitung nehme wiederholt positiv Bezug auf Lenin. Ja, tatsächlich, die Altkommunisten halten den Marxismus-Leninismus für eine geeignete Methode zur Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Vielleicht lautet ihr Gruß auch heute noch „Freundschaft“, wie früher. Auf jeden Fall sprechen sie nach wie vor vom Klassenkampf. Klassenkampf? Steht nicht im Grundgesetz. Steht der Marxismus deshalb inzwischen auf einer Liste der verbotenen Gedanken?
Einstige Kämpfer für die Pressefreiheit jubeln
Mit „Compact“ hat die „Junge Welt“ wenig gemeinsam – bis auf einen gefestigten Anti- Amerikanismus, die Ablehnung der Nato und die Begeisterung für Putin. Also doch einiges. Reicht das der Innenministerin, um demnächst auch den Verlag 8. Mai, in dem das Linksblatt erscheint, zum demokratieschädlichen Verein zu erklären? Ich, Nancy, Faeser, habe heute das bolschewistische Zentralorgan … Bei dieser Ministerin müssen wir mit vielem rechnen.
Leider sehen auch die meisten Medien der Aushöhlung ihrer ureigenen Freiheit teilnahmslos oder gar wohlwollend zu. Zum Beispiel die „Tagesschau“, die Faesers Verbotsverfügung vergangene Woche journalistisch so begleitete: „Mit dem heutigen Tag setzt das Bundesinnenministerium ‚Compact‘ und seiner Agitation ein Ende.“ Ein Satz wie aus der PR-Abteilung des Ministeriums. Pressefreiheit? Nicht der Erwähnung wert.
Ein anderes Leitmedium der Republik wies darauf hin, dass „Compact“ kürzlich „Höcke-Taler“ und „Helden-Medaillen für Donald Trump“ angeboten hatte und folgerte daraus: „Ein Unternehmen, das sich auf derartige Arbeit spezialisiert, ist vieles – aber kein schützenswerter Journalismus.“ Also: Wer in seinem Onlineshop Merchandising mit Trump betreibt, verwirkt seine grundgesetzlich garantierten Rechte. Diese Meinung erschien im „Spiegel“, ausgerechnet. In jenem Blatt, das in der Geschichte der Bundesrepublik mehr als jedes andere für die Freiheit der Presse eingetreten ist. Und heute? Ist die Freiheit der Presse offenbar nur noch die Freiheit der Gleichgesinnten.
Verwendete Quellen
- Eigene Überlegungen und Erfahrungen als Chefredakteur