Analyse

Deindustrialisierung? Daten zeigen ein unerwartetes Bild unserer Wirtschaft

18.07.2024
Lesedauer: 3 Minuten
Nächste Traditionsmarke: Kettensägen-König Stihl will aus Deutschland weg / FOCUS online/Wochit

Deutschland deindustrialisiert sich … oder doch nicht? Während die Produktion langsam fällt, zeigen andere Datenpunkte ein anderes Bild zum Geschäftsmodell der „Deutschland AG“. Analysten sagen: Der Begriff Evolution wäre passender.

Funktioniert die „Deutschland AG“ noch? Seit dem Energiepreisschock vor gut zweieinhalb Jahren steht das Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik auf dem Prüfstand. So manche Traditionsfirmen, wie beispielsweise Miele und Stihl, verlagern ihre Produktion ins Ausland.

Deutschland sei einfach zu teuer, heißt es. Selbst die Schweiz wird bevorzugt, wie das Beispiel des Motorsägenherstellers Stihl zeigt. Andere, vor allem in der Automobilbranche, bauen zumindest Stellen ab. Volkswagen etwa lässt sich das sogar etwas kosten und winkt mit üppigen Abfindungspaketen.

In jedem Falle, sagen Kritiker, zeuge das alles davon, dass die Deindustrialisierung in vollem Gange sei. Und einer der größten Faktoren seien die seit 2022 stark gestiegenen Energiepreise. Es gebe aber auch Optimisten, wie die beiden Volkswirte Robin Winkler und Eric Heymann von der Deutschen Bank. Diese argumentieren in einer jüngst veröffentlichten Analyse anders.

Unter der Motorhaube wird das Bild differenzierter

„Angesichts der abnehmenden Industrieproduktion haben einige Beobachter eine vermeintliche ‚Deindustrialisierung‘ Deutschlands ausgerufen“, erklärt Winkler, Deutschland-Chefvolkswirt der Bank, gegenüber FOCUS online. Aber: „Wenn man unter die Motorhaube schaut, eröffnet sich ein differenzierteres Bild.“

Zwar würden die Daten für die inländische Produktion im Verarbeitenden Gewerbe unterstreichen, was Kritiker bemängeln. „Während der größte Teil des Rückgangs in den Jahren 2022 und 2023 in energieintensiven Sektoren erfolgte, sind im bisherigen Jahresverlauf die weniger energieintensiven Sektoren wie der Maschinenbau und die Elektrotechnik betroffen, wo die hohen Zinssätze eine Belastung darstellen. Der Rückgang ist also breit angelegt“, schreiben die Ökonomen.

Dieser Rückgang sei strukturell bedingt – und entsprechend sehen Winkler und Heymann wenig Chancen, dass sich dieser Trend auf absehbare Zeit umkehrt. Tatsächlich ist der Trend sogar noch etwas älter, wie IW-Direktor Michael Hüther bereits im vergangenen Jahr anmerkte.

Schon seit 2018 ist die Industrieproduktion in der Rezession

Laut Hüthers Beitrag im Fachblatt „Wirtschaftsdienst“ befinde sich die Industrie bereits seit 2018 in einer Rezession. Das zeige der klare Abwärtstrends des Produktionsindex seitdem deutlich. „Offenkundig liegen die Probleme des deutschen Geschäftsmodells mit seinem Industrie-Dienstleistungsverbund tiefer als es die beiden Schocks vermuten lassen“, so Hüther damals.

Heymann und Winkler verweisen indes auf Lichtblicke inmitten der Daten. So habe der Handelsbilanzüberschuss bei Gütern „real wieder das Niveau von 2019 erreicht“. Die Erholung an dieser Stelle sei zwar auch schrumpfenden Importen geschuldet. Zudem ließe sich aus den Daten ebenso ablesen, dass Deutschlands Exporteure seitdem Marktanteile und Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben.

„Doch auch ohne einen Exportboom ist es bemerkenswert, dass der reale Handelsüberschuss stabil geblieben ist, während die inländische Produktion geschrumpft ist“, bekräftigen die Ökonomen dennoch. Und das ist nicht der einzige positive Datenpunkt.

„Wir würden das als industrielle Evolution beschreiben“

Auch die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe fiel zuletzt mit einer „recht stabilen Entwicklung“ auf, wie die Volkswirte schreiben. „Erfreulich ist dabei: Die hohe Wertschöpfung in der deutschen Industrie ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben“, so Winkler gegenüber FOCUS online.

Anders ausgedrückt bleibt der Anteil der Industrie am Volkseinkommen beachtlich. Anstatt eines echten Zusammenbröckelns der Industrie habe sich vielmehr „die Verschiebung der Wertschöpfungskette weg von volumenbasierten und energieintensiven Aktivitäten hin zu hochtechnologischen und margenstarken Aktivitäten beschleunigt“.

Dementsprechend fällt auch das Urteil der Volkswirte über die Entwicklung der Industrie anders aus als das der Pessimisten: „Wir würden diesen Anpassungsprozess als eine industrielle Evolution beschreiben.“

man

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