Deutschlands Politik hat geholfen, solches Verhalten wie kürzlich auf Sylt zu produzieren, ist Psychologin Martina Lackner überzeugt. Denn das Land der Dichter und Denker ist ein bildungsschwaches Land geworden – weil die Gleichmacherei zu unheilvollen Entwicklungen geführt hat.
Was haben die Vorfälle auf Sylt mit wenig Bildung zu tun?
Wenn wir uns die jüngsten Vorfälle auf Sylt näher betrachten, sind das junge Menschen, teilweise Studenten, die im „Suff“, Naziparolen von sich geben. In einem Promiclub auf einer „Elite-Insel“ der Deutschen. Junge Menschen, die keinerlei persönliche Erfahrung mit dem Nationalsozialismus haben und deren Schrecken nicht erlebt haben. Im Gegenteil: Sie feiern in einer Wohlstandsblase in einem Club. Kein Bewusstsein darüber, was sie hier eigentlich von sich geben. Unhinterfragt, unreflektiert, offenbar zugedröhnt mit Alkohol. Aber betrachten wir diese Szene als eine von vielen möglichen Szenen in Deutschland. Was motiviert diese Menschen?
Eine mögliche Antwort:
Demokratie muss man lernen, sie ist kein angeborenes Merkmal einer Gesellschaft – sie muss vermittelt und trainiert werden. Demokratiefeindlichkeit entsteht, wenn man Kinder nicht zur Demokratie erzieht. Nun sind diese Menschen demokratiefeindlich aufgrund ihrer Parolen? Wir wissen es nicht. Nur wer Naziparolen von sich gibt, muss kein Nazi sein. Man könnte auch sagen, ihnen fehlt es an emotionaler Intelligenz und möglicherweise leiden sie unter einer Art Wohlstandsverwahrlosung. Offenbar können sie die Konsequenzen ihres Tuns nicht einordnen, nicht reflektieren, nicht zu Ende denken. Im Vordergrund steht wohl das Saufgelage, ein nicht vorhandenes Reflexionsvermögen und letztendlich ein Mangel an Bildung.
Über die Psychologin Martina Lackner
Martina Lackner ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Autorin. In ihren Artikeln und Denkanstößen nimmt sie regelmäßig Stellung zu aktuellen Karriere- und gesellschaftspolitischen Themen. Lackner ist Inhaberin der PR Agentur Cross M.
Möglicherweise kein Mangel an fachlicher Qualifikation. Bildung hat nicht nur etwas mit akademischem Wissen zu tun. Hier fehlt es an Bewusstsein für richtig und falsch, für gut und böse, für angemessen und unangemessen, für Werte und für demokratisches Denken. Und es fehlt an Selbstdisziplin, sich selbst in einer Gruppendynamik, die aufgeheizt ist durch Alkoholkonsum, zu disziplinieren.
Deutschland hat mit seiner Politik mitgeholfen, genau solches Verhalten zu produzieren
Bildung nimmt in Deutschland keinen hohen Stellenwert mehr ein: notorischer Lehrermangel, schlechte technische Ausstattung von Schulen und Universitäten, Ausfall von Unterricht, das Unterbringen zu vieler Flüchtlingskinder ohne Sprachkenntnisse in sehr großen Klassen, der sinkende Anspruch ans Leistungsniveau von Kindern, die steigende Zahl verhaltens- und lernauffälliger Kinder und Jugendlicher, keine einheitlichen Bildungsstandards in den Bundesländern, wenig Fördermöglichkeiten für leistungsschwache Kinder und eine Gleichmacherei von nicht gleich begabten Kindern. Aus dem Land der Dichter und Denker ist ein bildungsschwaches Land geworden (siehe letzte Pisa-Studie).
Demokratie muss man lehren, als Unterrichtsfach, aber auch indem man Menschen auf eine andere Bewusstseinsstufe bringt. Ihr intellektuelles Leistungsvermögen ausreizt, Talente fördert und sie nicht der Gleichmacherei unterwirft, weil ja alle gleich sein sollen, was sie definitiv nicht sind. Weil wir Kinder auch in den Schulen erziehen müssen, zu Disziplin, zu eigenverantwortlichem Denken, und ihnen die Konsequenzen ihres Tuns lehren, Sie zu mündigen Bürgern machen, die nicht nach Bürgergeld schreien, weil es für manche einfach auch bequemer ist.
Es ist auch bequemer, sich nicht mehr gegen Eltern durchzusetzen. In Deutschland haben die Lehrer mittlerweile mehr Angst vor Eltern, als umgekehrt. Was nicht heißt, dass mit Angst gearbeitet werden soll, aber der Respekt fehlt.
Das System Bildung ist ein Verwaltungsapparat, der im sozialistischen Sinn Kinder verwaltet und organisiert – aber sie nicht zu mündigen, und reifen Menschen erzieht. Weil die Ideologie der Unantastbarkeit von Menschen überhandgenommen hat.
Niemand darf Klartext sprechen, niemand will mehr Verantwortung übernehmen. Es ist auch in den Schulen ein weichgespültes Klima geschaffen worden. Und so erziehen wir Kinder nicht mit Leistungsanspruch und auch nicht mehr zu einfühlenden und mitfühlenden Menschen. Der emotionale Persönlichkeitsanteil bleibt unterentwickelt.
Nun wir kennen die Schwächen. Auch die Politik. Man fragt sich, warum der Widerstand so groß ist, das System zu ändern?
Eine mögliche Antwort: es ist anstrengend einen Systemwechsel herbeizuführen. Dazu müssten sich unsere Kultusminister an einen Tisch setzen und sich im ersten Schritt über einheitliche Bildungsstandards auseinandersetzen. Aber der Weg von Bayern nach Bremen ist ein weiter. Dazwischen liegen persönliche Ego- und Machtthemen.
Und ein fataler Denkfehler: Auch Demokratien sind nicht vor Machtinteressen ihrer Entscheidungsträger gefeit. Wer Macht ausüben will, braucht immer jemanden, der sich unterwirft. Je ungebildeter ein Volk, je weniger Status, je weniger Einkommen, desto leichter steuerbar, ist der Denkfehler. Aber der Gedanke stimmt nicht. Je weniger gebildet, desto anfälliger für Populismus und die damit verbundene Gewalt. Was nicht den Umfragen diametral entgegensteht, dass gebildete Menschen keine Anhänger rechtsextremistischer Ideologien sind. Nur diese streben sehr schnell danach in diesen Regierungsformen wieder Macht zu gewinnen. Sie bedienen sich einer Ideologie, um für sich zu profitieren.
Bildung schützt vor Populismusanfälligkeit
Ein wenig gebildetes Volk kann den Unterschied zwischen Demokratie und Populismus nicht erkennen, es glaubt an einfache Rezepte, weil man es nicht gelehrt hat, reflektiert zu denken. Ein zu stark gebildetes und reflektiertes Volk ist auch in Demokratien eine Gefahr. Weil sie politische Entscheidungsträger infrage stellt und damit für die herrschende politische und wirtschaftliche, Elite unbequem wird. Das Beispiel Corona hat gezeigt, wie man mit Menschen umgeht, die anderer Meinung sind und hinterfragt haben. Wer außerhalb des Mainstream denkt und es fachlich begründen kann, wird zwar geduldet, macht sich aber keine Freunde.
Deutschland tut sich schwer mit fachlicher Kritik, obwohl es eine Chance wäre für echte Veränderung. Ich bleibe dabei: dieses Land braucht Experten, Intellektuelle, Talente und ein hohes Bildungsniveau. Unter diesen Voraussetzungen ziehen wir auch keine Talente an. Talente suchen interessante, geistige und intellektuelle Milieus. Und diese haben wir in Deutschland nur marginal.
Alleine, dass man das Wort Elite schon nicht aussprechen darf, weil unangebracht, zeugt von einer Denkhaltung, in der es keine intellektuellen Leistungsträger geben darf. Weil ja alle, zumindest theoretisch einen Anspruch auf Leistungsträgerschaft haben sollen. Was unlogisch ist, weil wir immer einen Teil in einer Gesellschaft haben, die trotz Förderung nie in der Lage sein werden, zu Leistungsträgern zu werden.
Aber um diese Tatsache zu umgehen, nivelliert man alle auf ein unteres Bildungsniveau, damit alle anderen mitkommen. Schon schräg, finden Sie nicht? Psychologisch gesehen, haben wir es hier mit einem Paradoxon zu tun: man will und braucht Talente, tut aber alles dafür, dass man sie nicht bekommt.
Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.