Der AfD-Politiker Björn Höcke ist vom Landgericht Halle wegen der Verwendung einer verbotenen NS-Parole zu einem Strafgeld von 13.000 € verurteilt worden. Ob das Urteil so tatsächlich die erwartete und von vielen gewünschte Wirkung hat, bezweifelt Politik-Experte Jürgen W. Falter.
Ich halte Björn Höcke für einen gefährlichen Rechtsextremen, der versucht, mit völkisch-nationalistischen Parolen am extremen rechten Rand des politischen Spektrums zu fischen – und zuweilen auch mit antikapitalistischen am linken Rand. Wie geschickt er schon seit längerem mit doppeldeutigen Parolen arbeitet, zeigt sein Spruch vom „Mahnmal der Schande“, mit dem er das Holocaust-Mahnmal in Berlin verächtlich zu machen suchte. Doppeldeutig war seine Charakterisierung des Mahnmals, da sie sich in zweierlei Hinsicht auslegen lässt: als eine Schande für Deutschland, dass es ein derartiges Mahnmal errichte, und als ein Mahnmal der Schande, die Deutschland durch die millionenfache Judenvernichtung auf sich geladen hatte.
Es ist gut möglich, dass sein Ruf auf einer Wahlveranstaltung der AfD „Alles für Deutschland!“ durchaus von ihm als Zitat dieses auch von der SA verwendeten Mottos gedacht war und er von der Strafbarkeit des Spruches wusste, weil in der Vergangenheit in AfD-Kreisen darüber diskutiert wurde. Wissen kann nur er es.
Im Strafprozess wie schon davor bestritt Höcke, gewusst zu haben, dass es sich um eine verbotenes NS-Parole handele. Vorgehalten wurde ihm bereits vor Beginn des Prozesses, als Geschichtslehrer müsse er sie gekannt haben. Das ist alles andere als überzeugend. Ich selber beschäftige mich seit mehr als drei Jahrzehnten wissenschaftlich mit der Massenbasis des Nationalsozialismus und wusste doch nicht, dass dieser so harmlos klingende Ausruf „Alles für Deutschland!“ ein Motto der SA war.
Der Historiker Rainer Zitelmann, von dem eines der wichtigsten Bücher über die wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen Adolf Hitlers stammt, hatte nach eigenem Bekunden ebenfalls nicht gewusst, dass es sich um ein, wenn nicht das SA-Motto handelte. Mir selbst war es nur als Parole des demokratischen, der SPD nahestehenden Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold bekannt. Und selbst wenn ich es gewusst hätte, wäre mir nicht bekannt gewesen, dass es 2006 von einem Oberlandesgericht zu einer der verbotenen Parolen der NS-Zeit erklärt worden war. Denn im einschlägigen Gesetzestext selbst findet sich keine explizite Erwähnung dieses Slogans.
Einer der wichtigsten Leitsätze unseres Strafrechts lautet: „Im Zweifelsfall für den Angeklagten“. Das Landgericht Halle hat das umgedreht und im Zweifelsfall gegen den Angeklagten entschieden. Die Begründung, soweit sie durch die Medien bekannt geworden ist, ist relativ dürftig: Einem so intelligenten und wortgewandten Menschen wie Höcke müsse die Herkunft der Parole bekannt gewesen sein. Das ist eine ziemlich starke Unterstellung. Ich bin mir sicher, dass 99 Prozent aller Geschichtslehrer (und ich schließe meine historischen Kollegen an den Universitäten dabei ein) vor dem Bekanntwerden der Strafbarkeit der Verwendung dieses Slogans nichts von seiner SA-Herkunft wussten.
Wer meint, jeder Geschichtslehrer bzw. jeder Historiker oder selbst jeder Historiker der NS-Zeit müsse den Spruch kennen, beweist damit nur, dass er nichts von Geschichtswissenschaft versteht und keine Vorstellung hat von den schier unermesslichen Fakten, die sich in tausenden von Werken über diese dunkle Zeit finden. Zudem: Andere Slogans sind bekannter, da hätte man mit Fug und Recht davon ausgehen können, dass Höcke sie kannte, hätte er sie benutzt, beispielsweise „Arbeit macht frei“ oder „Meine Ehre heißt Treue“, das SS-Motto. Aber bei ausgerechnet so einem harmlos patriotisch klingenden Spruch, den viele, darunter völlig unbescholtene Politiker, Sportler und wer sonst noch lange vor Höcke verwendet hatten, zu unterstellen, diesen habe er kennen müssen , ist für mich nicht nachvollziehbar.
- Eine andere Meinung zum Urteil hat FOCUS online-Chefredakteur Carsten Fiedler: Kommentar – So geht Rechtsstaat! Warum dieses Urteil Höcke hart trifft – und genau richtig ist
Manchmal zweifelt man an der Urteilsfähigkeit oder sagen wir vielleicht Weisheit unserer Gerichte. Höcke wird dieser Richterspruch bei seinen Anhängern nicht schaden. Ganz im Gegenteil dürften diese sich in ihrem Misstrauen gegen die Institutionen der Bundesrepublik und insbesondere die Gerichte bestätigt fühlen. Man muss nur in die Kommentare unter den Beiträgen auf focus.de schauen. Tatsächlich ist der Richterspruch Wasser auf die Mühlen vieler AfD-Anhänger.
Er schadet eher dem Ansehen des Gerichts und unseres Rechtssystems als dem der AfD und Björn Höckes. Auch passt er zum in der Bevölkerung weit verbreiteten Gefühl einer immer stärker eingeengten Meinungsäußerungsfreiheit. Wie wir aus Umfragen wissen, ist eine zunehmende Zahl von Bürgern der Auffassung, sie könnten in der Öffentlichkeit nicht mehr offen ihre Meinung sagen; man müsse vorsichtig sein, weil man gleich politisch stigmatisiert und in die rechte Ecke gestellt werde. Und wenn etwas strafbar sein sollte, von dem ich nicht weiß und als Normalbürger auch nicht wissen kann, dass es das ist, trägt das zur Entfremdung vieler, nicht nur von AfD-Anhängern, vom politischen System der Bundesrepublik bei.
Es gibt eine gefährliche Tendenz in Deutschland, schnell nach Verboten zu rufen, wenn einem bestimmte Meinung nicht passen – das gilt auch für islamistische Kundgebungen, vor allem aber für rechtsextremistische. Es ist besser, dass sichtbar ist und bleibt, was eine Gefährdung unserer politischen Ordnung bedeuten könnte. Die Verwendung des Spruches „Alles für Deutschland“ hat unserer liberalen Demokratie mit Sicherheit nicht mehr geschadet als das juristische Vorgehen dagegen. Das Landgericht Halle bzw. die entsprechende Kammer, die Höcke zu einer Strafzahlung von 13.000 € verurteilte, hat im vermeintlichen Dienst einer guten Sache dieser mit seinem Urteil keinen guten Dienst erwiesen.
Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.