Mehrere Start-ups arbeiten an neuen Überschallflugzeugen, und die Nasa will sogar den Knall abschaffen. Aber es gibt da noch ein paar Probleme.
Überschallflugzeuge sind die Wiedergänger der Luftfahrt. Mit dem letzten Flug der Concorde schien die Idee eigentlich am Ende. Ab 1976 hatte sie auf rund 7.000 Flügen jeweils ein paar Dutzend Passagiere mit doppelter Schallgeschwindigkeit über den Atlantik befördert. Zwei Jahre nach einem Unfall mit über 100 Toten wurde das bislang einzige zivile Überschallflugzeug 2003 endgültig ausgemustert. Doch inzwischen heischen alle paar Jahre neue Konzepte zur Wiederbelebung eines ultraschnellen Flugverkehrs nach Aufmerksamkeit. Gerade ist es mal wieder so weit. In den nächsten Wochen soll ein X-59 getauftes einsitziges Testflugzeug der Nasa zum ersten Mal abheben und Flugversuche mit anderthalbfacher Schallgeschwindigkeit durchführen.
Konventionelle Verkehrsflugzeuge bleiben unter der Schallgeschwindigkeit, die auf Flughöhe gut 1.000 Kilometer pro Stunde beträgt. Das hohe Tempo ist bei der X-59 aber nicht das Besondere. Militärjets sind regelmäßig noch sehr viel schneller unterwegs. Die Nasa hat die X-59 vor sechs Jahren beim Rüstungskonzern Lockheed Martin in Auftrag gegeben, um in der Praxis zu demonstrieren, dass Überschallflüge auch ohne Knall möglich sind. Die beiden Druckwellen, die bei bisherigen Überschallflugzeugen an der Spitze und am Heck entstehen, sind so stark, dass sie sich selbst aus über zehn Kilometern Flughöhe am Boden so laut anhören wie zwei direkt neben dem Ohr zerplatzende Luftballons. Gebäude werden davon erschüttert, Fensterscheiben können bersten. An Bord eines Überschallflugzeugs dagegen hört man den Überschallknall nicht, da sich die Druckwelle erst hinter dem Flugzeug ausbreitet.
Schon das Design der Concorde war mit einer spitzen, leicht absenkbaren Nase, den Deltaflügeln und dem fehlenden Höhenleitwerk am Heck auf möglichst geringe Erschütterungen beim Durchbrechen der Schallmauer hin optimiert. Bei der X-59 sollen eine noch längere Spitze, flachere Flügel und die Anordnung des einzigen Triebwerks über dem Heck dafür sorgen, dass sich die dann noch auftretenden Druckwellen im Flug möglichst nach oben und nicht nach unten Richtung Erde ausbreiten. Dort soll der Überschallknall dann nur noch die Lautstärke einer in sechs Meter Entfernung zufallenden Autotür haben. Das hätten Computersimulationen gezeigt, versicherte Nasa-Manager Peter Coen bei der öffentlichen Präsentation des Testflugzeugs im Januar.
In der Praxis ist die Zeitersparnis gering
Der Überschallknall gilt als wichtigstes Hindernis, das einem wirtschaftlichen Betrieb von Überschallflugzeugen im Weg steht. Schon die Concorde durfte nur über dem offenen Meer schneller als 1.000 Kilometer pro Stunde fliegen. Die USA, Kanada, Irland, die Niederlande und Deutschland hatten Anfang der 1970er-Jahre Überschallflüge über ihren Ländern verboten. Auch Indien und Malaysia verbannten den Donnervogel aus ihrem Luftraum.
Jetzt erwägt die International Civil Aviation Organization (ICAO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die Standards im Flugverkehr festlegt, sogar ein weltweit einheitliches Verbot. Es soll neben dem Festland alle Meeresgebiete im Abstand von bis zu 280 Kilometern vor den Küsten umfassen. Die Auswahl lukrativer Flugrouten für zivile Überschallflugzeuge würde sich damit noch weiter verringern.
Eine Studie der europäischen Luftsicherheitsorganisation Eurocontrol für das EU-Forschungsprojekt Seneca geht nur auf der Nordatlantikroute zwischen Europa und den USA sowie zwischen der US-Westküste und Ostasien davon aus, dass sich die Flugzeit um mehr als drei Stunden verkürzt. Auf Routen nach Südostasien, Südamerika und Australien wäre die Zeitersparnis geringer. Sie führen zwar großteils über offenes Meer, sind allerdings zu lang für Nonstop-Flüge mit Überschallflugzeugen. Deren Kerosinverbrauch ist so hoch, dass sie nach spätestens 7.500 Kilometern einen Tankstopp einlegen müssen.
Betrachtet man nicht nur die reine Flugzeit, sondern die gesamte Reisezeit, schrumpft der Vorteil des Überschallfliegens selbst zwischen London und New York auf einen recht bescheidenen Wert. Von einer Haustür in Manhattan zu einer Haustür im Zentrum Londons ist man heute, einschließlich der Anreise zum und der Wartezeiten am Flughafen, rund 13 Stunden unterwegs. Mit der Concorde waren es immer noch achteinhalb, also nur ein Drittel weniger.
Zu teuer, zu laut, zu durstig
Und die eingesparten Stunden waren enorm teuer. Weit über 10.000 Euro kostete schon damals ein Concorde-Rückflugticket zwischen New York und London, jede eingesparte Stunde schlug mit mehr als 2.500 Euro zu Buche. Trotzdem machte die Concorde während ihres gut 25-jährigen Einsatzes für Air France und British Airways stets Verluste.
Neben der Wirtschaftlichkeit hätten Überschallflugzeuge auch dann ein Lärmproblem, wenn der Knall auf ein erträgliches Maß reduziert werden könnte. Denn beim Start sind sie ebenfalls wesentlich lauter als konventionelle Jets. Das schlanke Design erfordert eine hohe Startgeschwindigkeit und damit eine Beschleunigung, die auf üblichen Startbahnen nur mit sehr starken und entsprechend lauten Triebwerken erreicht werden kann.
Das EU-Forschungsprojekt MOREandLESS untersucht die Umweltauswirkungen potenzieller Überschallflugzeuge und schlägt vor, die gleichen Lärmgrenzwerte auf sie anzuwenden, die heute für konventionelle Flugzeuge gelten. Bisher gelten für den Betrieb der Concorde höhere Grenzwerte, die nach ihrer Ausmusterung nie verändert wurden.
Einen allgemeingültigen Grenzwert hat die ICAO bereits für den Kerosinverbrauch neuer Flugzeuge festgelegt. Pro Passagier dürfen sie auf 100 Kilometern maximal 3,55 Liter verbrennen. Ein Überschallflugzeug benötigt jedoch das Sieben- bis Neunfache dieser Menge. Davon geht eine Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) aus.
Mehrere Start-ups, die in den USA Millionenbeträge für die Entwicklung neuer Überschallflugzeuge eingeworben haben, wollen diesem Problem mit dem Einsatz von Treibstoff begegnen, der aus grünem Wasserstoff hergestellt werden und damit klimaneutral sein soll. Der allerdings werde auf lange Zeit so teuer bleiben, dass ein wirtschaftlicher Betrieb von Überschallflugzeugen undenkbar sei, argumentiert die Studie des ICCT.
Start-ups arbeiten weiter an der Entwicklung
Ein halbes Dutzend Start-ups, alle in den USA, werben zwar weiterhin mit aufwendig produzierten Werbefilmen Risikokapital für ihre Konzepte ein. Bis zu einem flugtauglichen Prototyp hat es bisher aber keines dieser Unternehmen gebracht. Im Gegenteil: Aerion, eines der finanzkräftigsten Start-ups, ging 2021 pleite. Seit 2004 hatte es an der Entwicklung eines Überschall-Businessjets für zehn Passagiere gearbeitet und dafür mit den Flugzeugherstellern Boeing, Airbus und Lockheed Martin kooperiert.
Boom Supersonic, ein Start-up aus Denver, Colorado, wirbt mit 130 Vorverträgen, die es für den Kauf seines geplanten Überschalljets für bis zu 80 Passagiere bereits mit American Airlines, United Airlines und Japan Airlines abgeschlossen habe. Im März hob erstmals ein Miniaturmodell ab und erreichte halbe Schallgeschwindigkeit. Von dem geplanten Linienjet selbst existieren bisher allerdings nur Animationen. Und die sehen einem klassischen Flugzeug ähnlicher als dem bisher einzigen zivilen Überschallflugzeug, der Concorde. Bei Boom ist der Name Programm: Den Überschallknall (Englisch: sonic boom) zu verringern oder ganz zu vermeiden, ist nicht geplant.