„Alles andere als attraktiv“

Traditionsunternehmen verlassen Deutschland in Scharen

04.04.2024
Lesedauer: 4 Minuten
Die Sonne scheint hinter einer Kolonne zur Phenolherstellung bei der Domo Chemicals GmbH. © Jan Woitas/dpa

Es sind schwere Zeiten für die deutsche Wirtschaft. Schon seit geraumer Zeit wird von einer schleichenden Deindustrialisierung gesprochen. Wie viele Firmen gehen gerade wirklich?

Berlin – Die wirtschaftliche Stimmung in Deutschland könnte kaum schlechter sein: Nach einem Jahrzehnt des Booms und einer wachsenden Wirtschaft beginnt sich das Blatt zu wenden. Der Standort Deutschland verliert mit seinen hohen Steuern, hohen Energiepreisen und überbordenden Bürokratie an Attraktivität. Noch dazu locken Länder wie die USA mit Investitions-Programmen wie dem Inflation Reduction Act zahlreiche Unternehmen ins Land, auch viele deutsche sind mittlerweile dabei.

Immer mehr liest man angesichts dessen von einer „Deindustrialisierung“ im Land, von Firmen, die diesem Land den Rücken kehren. Experten zufolge wird sich diese in den nächsten Jahren nur noch verstetigen.

Miele, Stihl, Volkswagen & Co: Unternehmen streichen Stellen und verlagern Produktion

„Die Deindustrialisierung Deutschlands ist in vollem Gange“, sagt Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA), gegenüber dem Fachmagazin produktion.de vor wenigen Wochen. „Es geht nicht mehr um die Frage ob, sondern nur noch um die Fragen wie und wie schnell“, fügt er hinzu. Viele Unternehmen hätten schon lange erkannt, welche Herausforderungen durch die Energiewende auf das Land zukommen – und schützen sich mit einer Abwanderung ins Ausland davor. Er geht davon aus, dass ganze Wirtschaftszweige gänzlich aus dem Land verschwinden werden.

Diese Entwicklung ist auch schon zu erkennen. So hat es in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Meldungen über Stellenabbau im Bereich der Automobilbranche gegeben, insbesondere bei Zulieferern. Dazu gehören Continental (7000 Stellen gestrichen, Standortschließungen), Reifengigant Michelin (1500 Stellen), ZF Friedrichshafen (Schließung eines Standortes) oder auch Volkswagen (Kostensenkung um 20 Prozent bis 2026).

Aber auch andere Branchen sind betroffen: So wollen die deutschen Traditionsunternehmen Miele und Stihl beide den Fokus künftig mehr auf ausländische Standorte legen. Beide Unternehmen bekräftigten jedoch ihre grundsätzliche Treue zum Standort, sie wollen keine Werke in Deutschland schließen – zumindest vorerst. Für Wellen sorgte auch die Schließung des deutschen Werks des Solarherstellers Meyer Burger, der aufgrund der Konkurrenz aus China beschlossen hat, in die USA zu gehen.

Auslands-Investitionen sacken ein

Zudem investieren auch ausländische Firmen immer weniger hierzulande. Die Höhe der Direktinvestitionen aus dem Ausland lag 2023 laut einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) bei etwa 22 Milliarden Euro, weniger war es zuletzt vor zehn Jahren. Zum Vergleich: 2018 und 2020 waren durch Investitionen ausländischer Firmen noch jeweils rund 140 Milliarden Euro nach Deutschland geflossen.

„Die Politik macht es für Unternehmen alles andere als attraktiv, in Deutschland zu investieren“, sagte IW-Ökonom Christian Rusche. Ein Grund dafür sei, dass Förderprogramme – wie für Elektroautos oder energieeffizientes Bauen – kurzfristig gestoppt würden. Die Politik müsse die Investitionsbedingungen drastisch verbessern, andernfalls „könnte sich die Deindustrialisierung stark beschleunigen“.

Das dritte Jahr in Folge haben ausländische Unternehmen hierzulande damit deutlich weniger investiert als deutsche Firmen im Ausland. Obwohl sich die Situation bei den Energiekosten nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre wieder etwas entspannt haben, seien die Netto-Abflüsse aus Deutschland mit 94 Milliarden Euro weiterhin hoch. Seit 1971 sei lediglich 2021 und 2022 mehr Geld abgeflossen. Die Häufung in den vergangenen Jahren zeige, dass es sich jeweils nicht nur um Einzelfälle oder Nachholeffekte gehandelt habe, sondern eine tiefergehende Entwicklung vermutet werden könne, so Rusche. Dies sei „ein Warnsignal“.

Ampel spart bei Digitalbudget und Start-ups

Die Signale hat die Bundesregierung auch gehört. Doch tut sich die Ampel-Koalition immer wieder schwer damit, die richtigen Maßnahmen auch zu ergreifen. Besonders anschaulich wurde dies mit dem Wachstumschancengesetz, das nach zähem Ringen mit sechs Monate Verspätung erst beschlossen werden konnte. Das Entlastungsvolumen des Gesetztes schrumpfte in einem Vermittlungsverfahren merklich. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte deshalb auch schon an: „Das Gesetz war nur ein Anfang. Notwendig sind weitere Wachstumsimpulse, daran arbeiten wir in der Regierung.“

Noch dazu wird wenig darüber diskutiert, wie Deutschland neue Wirtschaftszweige anlocken könnte, es geht vielmehr häufig darum, alte Industrien zu halten. Dass die Energiepreise hier aber sehr wahrscheinlich immer höher sein werden als anderswo, müsste eigentlich auch die Akzeptanz nach sich ziehen: energieintensive Industrien werden gehen (müssen). Die Förderung einer lebhaften Start-up-Kultur und Investitionen in die Digitalisierung wären hier wichtige Stellschrauben, um eine neue Generation an Unternehmen anzulocken.

Stattdessen hat die Ampel-Regierung genau an diesen Stellen gekürzt: Zuschüsse für Start-ups werden von 25 auf 15 Prozent gekürzt und das Digitalbudget wurde von 377 auf 3,3 Millionen Euro zusammengestrichen. Zukunftskoalition? Fehlanzeige.

Mit Material von dpa

Das könnte Sie auch interessieren

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024
ARD-Show "Die 100"
26.11.2024
Abstimmung über neue EU-Kommission
27.11.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

vier × zwei =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

Abstimmung über neue EU-Kommission
27.11.2024
Nach Berichten über Menschenrechtsverletzungen in Uiguren-Region
27.11.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien