Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, wehrt sich gegen Kritik an seiner Behörde. Doch seine Argumentation überzeugt Experten nicht, im Gegenteil.
Thomas Haldenwang sieht sich im Recht. In einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hat der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz seine Behörde nun gegen die Kritik der vergangenen Wochen verteidigt. Das ist für sich genommen nicht überraschend. Würde Haldenwang es anders sehen, müsste er von seinem Amt zurücktreten. Interessant ist, wie er im Einzelnen argumentiert.
Haldenwang schreibt zunächst, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland einen besonders hohen Schutz geniesse. Allerdings sei «Meinungsfreiheit kein Freibrief». Für den Chef des Inlandgeheimdienstes fallen darunter nicht allein strafbare Äusserungen wie beispielsweise Volksverhetzung. Vielmehr gebe es auch «unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität» Meinungsäusserungen, die für den Verfassungsschutz relevant sein könnten. Er bezieht sich vor allem auf die «Delegitimierung des Staates». Diese Kategorie hat das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst 2021 eingeführt, im Zuge der Corona-Proteste. Eine Begründung war damals, dass sich viele Extremisten nicht mehr den klassischen Lagern zuordnen liessen, vor allem dem Links- beziehungsweise dem Rechtsextremismus.
Im jüngsten Verfassungsschutzbericht wird diese Delegitimierung so beschrieben: Die Akteure machen «demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich oder rufen dazu auf, behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen zu ignorieren». Diese Form der Delegitimierung erfolge «oft nicht über eine offene Ablehnung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates».
Ist das ein Witz oder schon ein Angriff auf die Verfassung?
Diese Definition ist undeutlich, und schon damals gab es Kritik. Denn auch Witze über Versprecher etwa der grünen Aussenministerin Annalena Baerbock kann man im Zweifelsfall als Verächtlichmachung der Politikerin auffassen.
Dass sich Haldenwang nun, nach Wochen der Kritik, weiter auf ausgerechnet diese Kategorie beruft, kritisieren Rechtswissenschafter deutlich. Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg etwa sagte der NZZ: «Die Kabarettisten werden ihrer Grundlage beraubt.» Aus seiner Sicht sei die Delegitimierung kein verfassungsschutzrechtlicher Begriff, sondern eine «Erfindung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.»
Lindner kritisiert, dass der Geheimdienst auf diese Weise nicht eingehegt werde, sondern entfesselt: «Der Verfassungsschutz ist ja nicht nur ein Segen, sondern auch eine Bedrohung.» Man könne, wenn man die Kategorie weit auslege, «jede überspitzte Kritik an der Politik, an Politikern und ihren Entscheidungen darunter fassen. Das halte ich für eine äusserst bedenkliche Entwicklung.»
Auch Volker Boehme-Nessler von der Universität Oldenburg kritisiert den Verfassungsschutzpräsidenten: «Es gehört zur Demokratie und Meinungsfreiheit dazu, dass man den Staat kritisieren kann, auch ganz überspitzt, auch ganz grundsätzlich und polemisch.» Boehme-Nessler stört sich vor allem daran, dass der Geheimdienst selbst definiert, was in die fragliche Kategorie fällt. Das sei zwar auch bei anderen Formen des Extremismus so, aber der Begriff der «Delegitimierung» sei eben besonders unscharf.
«Man darf durchaus heftige Dinge in einer Demokratie sagen, zum Beispiel, dass das Bundesverfassungsgericht nicht funktioniere, das Parlament eine Schwatzbude sei, all das erlaubt die Verfassung», sagt der Jurist. Mit der Kategorie «Delegitimierung des Staates» könnten einen solche Aussagen zu einem Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes machen. «Durch diese unscharfe Kategorie werden schleichend die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes erweitert, und gleichzeitig wird schleichend die Freiheit eingeschränkt. Das ist der Punkt.»
Der Verfassungsschutz sei eine Behörde, die in das Weisungsgefüge des Innenministeriums eingebunden sei, sagt Boehme-Nessler. Er sehe deshalb die «Gefahr des politischen Missbrauchs».