Gabor Steingart

Frau Baerbock, die Putin-Sanktionen sind zwar laut, aber auch genauso wirkungslos

19.03.2024
Lesedauer: 6 Minuten
Bundesaußenministerin Annelena Baerbock (Grüne) / Bernd von Jutrczenka/dpa

Woodrow Wilsons Idee, Kriege durch Wirtschaftssanktionen zu beenden, lebt in Annalena Baerbock weiter. Doch die Realität zeigt: Sanktionen zementieren nur die multipolare Weltordnung, ohne den gewünschten politischen Erfolg zu erzielen. Vier Gründe zeigen, wie wirkungslos die Sanktionen gegen Russland sind.

Der Vater aller Irrtümer war Woodrow Wilson. Der pazifistisch gesinnte 28. Präsident der Vereinigten Staaten glaubte an die Allmacht von Wirtschaftssanktionen, um Kriege zu beenden.

„Eine Nation, die umfassend boykottiert wird, hat keine andere Wahl, als aufzugeben. Dank dieser wirtschaftlichen, friedlichen, stummen, aber gleichwohl tödlichen Medizin ist der Einsatz von bewaffneten Streitkräften nicht mehr nötig.“

Wilson ist tot. Sein Irrtum aber lebt weiter. Die Enkeltochter in der Gegenwart heißt Annalena Baerbock.

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Baerbock will 14. Sanktionspaket gegen Russland

Empörung 1.0: Die deutsche Außenministerin ist – verständlicherweise – empört über die Wahl ohne Wahl, die am Wochenende in Russland stattfand und mit der neuerlichen Inthronisation von Wladimir Putin endete.

Empörung 2.0: Sie will – verständlicherweise – der in Bedrängnis geratenen Ukraine beistehen. Beim EU-Außenministertreffen in Brüssel kündigte sie gestern das 14. Sanktionspaket gegen Russland an:

„Für uns als Europäische Union bedeutet dies, wir werden heute Sanktionen auf den Weg bringen mit Blick auf den Tod von Alexej Nawalny.“

Verständigt hat man sich bei dem Treffen in Brüssel auf die Fortsetzung der Wirtschaftssanktionen und neuerliche Strafmaßnahmen gegen Vertreter des russischen Justizsystems zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverstößen.

Wirtschaftssanktionen: nur ein anderes Wort für Hilflosigkeit

Hilflosigkeit mit Ansage: Die Vertreter des russischen Rechtssystems werden ohnehin keinen Fuß in den Westen setzen und die Wirtschaftssanktionen sind in der multipolaren Welt, wo keine Staatengruppe allein die Eskalationsdominanz besitzt, nur ein anderes Wort für Hilflosigkeit.

Sanktionen im Overkill: Der Glaube an die Allmacht von Wirtschaftssanktionen habe dem Westen nicht gutgetan, sagt Agathe Demarais, Ökonomin und Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations, in ihrem Buch „Backfire: How Sanctions Reshape the World Against U.S. Interests“. Es sei in den vergangenen Jahren zu einem „Sanction Overkill“ gekommen.

Es sind im Wesentlichen vier Gründe, die dafür sprechen, dass Agathe Demarais Recht hat. Es geht hier um nichts Geringeres als die Anerkennung von Realitäten.

# 1 Die größte Rohstoffmacht der Welt findet immer neue Abnehmer.

Aberglaube: Wer im Westen geglaubt hat, mit Sanktionen die weltgrößte Rohstoffmacht in die Knie zwingen zu können, hat sich geirrt. Im dritten Jahr nach dem Überfall zeigt sich der russische Angreifer ökonomisch vital. Die westlichen Sanktionen hatten kurzfristige Effekte, die durch die Neuverlegung der Lieferketten und die Etablierung einer Kriegswirtschaft ausgeglichen wurden. Seit dem Kriegsbeginn wächst Russlands Wirtschaft schneller als die deutsche.

Neue Partner: Russland hat in China, Indien und der Türkei politische und ökonomische Partner gefunden, die bereit sind, auch bei erhöhtem Wetteinsatz mitzugehen. Die nicht-westliche Welt – das ist in den vergangenen drei Jahren deutlich geworden – besitzt ein Interesse daran, dass wieder ein Macht-Duopol entsteht.

# 2 Der Ausschluss vom westlichen Zahlungssystem Swift trieb Russland an die Seite der Chinesen.

Exklusiver Club: Zehn russische und vier weißrussische Banken wurden inzwischen aus dem Zahlungssystem Swift ausgeschlossen. Damit können diese Institute keine internationalen Zahlungen mehr abwickeln, also auch keine Fremdwährungen kaufen oder ihre eigenen Werte ins Ausland transferieren.

Die EU ist stolz auf die Sanktionen: Der Europäische Rat schreibt auf seiner Website, dass jede Alternative zu Swift bedeuten würde, in die Zeit zurückzukehren, „als jede Transaktion noch per Telefon und Fax bestätigt wurde.“ Was für ein Irrtum!

Alternative China: Auch das chinesische Zahlungssystem CIPS funktioniert mit modernster Hightech. Dort sind zahlreiche russische Banken mittlerweile gelistet, so dass die Zahlungsströme von und nach Russland keineswegs unterbrochen wurden.

Boom der Geldtransfers: Die Gesamtzahl der Abwicklungen über CIPS stieg im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 21,5 Prozent auf 96,7 Billionen Yuan (14,02 Billionen US-Dollar), wie Daten der chinesischen Zentralbank zeigen. Auch in 2023 wurde eine signifikante Zunahme der Geldtransfers registriert.

# 3 Sanktionen treiben Inflation

Negative Folgen für Europa: Das Öl-Embargo seit dem 5. Dezember 2022 gegen Russland und eine Preisobergrenze haben nicht etwa dazu geführt, dass Russland seine Energie nicht mehr loswurde, sondern dazu, dass Europa seine Energieimporte spürbar verteuert hat.

Inflation entfacht: Das wiederum war ein wichtiger Treiber für die Inflation (Frankreich 2023: 5,7 Prozent; Deutschland 2023: 6 Prozent; Spanien 2023: 3,5 Prozent).

Denn: Viele der größten Kunden des Landes, darunter die Arabischen Emirate und die Türkei, importieren billigen Kraftstoff für den inländischen Gebrauch und exportieren gleichzeitig ihr eigenes, teureres, nicht unter Embargo gestelltes Öl.

Dominoeffekt: Die Notenbanken wiederum haben keine andere Wahl, als die steigende Inflation mit steigenden Zinsen zu bekämpfen. Das hat die Immobilienwirtschaft beschädigt und den Neubau in die Knie gezwungen. Insgesamt werden Investitionen erschwert, weshalb es – im Konzert mit anderen Standortnachteilen – in Deutschland zu einem Kapitalabfluss kam.              

# 4 Beschlagnahmung von Vermögenswerten: Muster ohne Wert

Die Beschlagnahmung von russischen Vermögenswerten von mehr als 200 Milliarden Euro in der EU kann nur die Öffentlichkeit beeindrucken, nicht aber die russischen Oligarchen. Denn die wissen ganz genau, dass eine vollständige Enteignung durch westliche Staaten erstens illegal und zweitens hoch riskant für den Westen wäre. Also sind diese Vermögenswerte nicht weg, nur eingefroren.

Die Gegenreaktion: Auch andere Staaten – China, Saudi-Arabien, Brasilien, Südafrika, um nur einige zu nennen – könnten auf die Idee kommen, sich an amerikanischen und deutschen Vermögenswerten im Ausland zu bereichern. Daran hat niemand in Washington, an der Wall Street, in Frankfurt oder in London ein Interesse. Jeder weiß, die Beschlagnahmung von Vermögenswerten führt zu Gegenreaktionen.

Uneinigkeit: Während in den USA durch die US-Finanzministerin Janet Yellen Rufe laut werden, Gewinne aus russischen Vermögenswerten an die Ukraine weiterzuleiten, trifft das in der EU auf Uneinigkeit. Während Ursula von der Leyen und Christian Lindner einen solchen Schritt als „starkes Zeichen“ bewerten, ist der Plan unter Experten hochumstritten. Es wäre ein Novum und ein Bruch internationalen Rechts mit unabsehbaren Folgen für das Vertrauen in den Finanzmarkt.

Payback Time: Denn irgendwann muss das Geld an Russland zurückgegeben werden. Eine Fehlspekulation mit den russischen Assets hätte Folgen. Der Westen haftet gegenüber den russischen Investoren dafür, dass ihr Vermögen nicht dezimiert wird.

Fazit: Der Westen wäre gut beraten, die ökonomische Wirkung seiner Sanktionen nicht länger zu ignorieren. So schadet er seinen wirtschaftlichen Interessen und seiner politischen Glaubwürdigkeit. Die französische Sanktionsexpertin Agathe Demarais rät zu strategischer Gelassenheit:

„Der Westen und insbesondere Washington müssen wieder lernen, mit ihren Kritikern und Gegnern zu leben, ohne sie gleich bestrafen zu wollen.“

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