Der Kulturbeauftragten der deutschen Regierung wird ihr Verhalten bei der Abschlussgala des Filmfestivals vorgeworfen. Die grüne Politikerin applaudierte, während Preisträger Israel schwerer Verbrechen beschuldigten.
Nach dem Antisemitismus-Eklat bei der Preisverleihung der Berlinale nimmt die Kritik an der deutschen Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu. Aus den Reihen der Opposition wurden sogar erste Rücktrittsforderungen laut.
So sprach die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann gegenüber der «Bild»-Zeitung davon, dass die Grünen-Politikerin Roth für ihr Amt als Kulturbeauftragte der Bundesregierung ungeeignet sei. Wolle sie diesem nicht weiter schaden, müsse sie zurücktreten. So weit wollte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher nicht gehen. Aber auch sie wies Roth eine Mitverantwortung für die Vorfälle zu: «Erst die Documenta in Kassel, jetzt die Berlinale: Claudia Roth hat den wachsenden Antisemitismus im Kulturbereich nicht im Griff», sagte Breher dem Magazin «Stern».
Der langjährige grüne Politiker Volker Beck forderte Roth auf, ein Konzept gegen Antisemitismus vorzulegen. «Seit der Documenta fehlt es an einem kulturpolitischen Konzept zur Begegnung des Antisemitismus im Kulturbetrieb», sagte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft dem «Stern». Er brachte zudem einen Stopp staatlicher Zuwendungen ins Spiel. Tatsächlich fördern sowohl der Bund als auch das Land Berlin das Filmfestival aus Steuermitteln.
Roth erklärt ihren Applaus für israelfeindliche Preisträger
Die 68-jährige grüne Politikerin Roth steht in der Kritik, weil sie sich weder während der Abschiedsgala am Samstagabend noch unmittelbar danach von den israelfeindlichen Aussagen distanzierte, die dabei zu vernehmen waren. Sowohl Juroren wie Preisträger übten mitunter heftige Kritik an Israels Vorgehen in Gaza. Ein Preisträger warf Israel sogar vor, einen Genozid an den Palästinensern zu begehen. Mit keinem Wort hingegen wurde der Terrorangriff der Hamas erwähnt oder verurteilt.
Das anwesende Publikum reagierte auf die Aussagen jeweils mit lautem Beifall. Roth applaudierte den Reden ebenso wie der anwesende Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner. Über die Kanäle ihrer Behörde lobte die Ministerin anschliessend die Veranstaltung und gratulierte den Preisträgern.
Roths Sinneswandel setzte erst am Montag angesichts einsetzender Kritik an der Gala ein. Die Grüne bezeichnete es als nicht akzeptabel, wenn an einem solchen Abend von Filmschaffenden nicht der bestialische Terrorangriff der Hamas angesprochen und auch kein Wort zu den mehr als 130 Geiseln verloren werde, die immer noch in der Gewalt der Hamas seien. Zusammen mit Berlins christlichdemokratischem Bürgermeister Wegner kündigte sie eine Aufarbeitung der Vorkommnisse an.
Roths Applaus soll zudem ausschliesslich dem israelisch-jüdischen Filmemacher Yuval Abraham gegolten haben, wie ihre Behörde auf X mitteilte. Dieser habe sich für eine politische Lösung und ein friedliches Zusammenleben in der Region ausgesprochen. Abraham stand derweil mit dem Palästinenser Basel Adra auf der Bühne, mit dem zusammen er für den gemeinsamen Dokumentarfilm «No Other Land» ausgezeichnet wurde. Adra warf Israel bei einer Dankrede vor, Palästinenser in Gaza abzuschlachten und zu massakrieren.
Roth muss nicht zum ersten Mal Krisenmanagement in eigener Sache betreiben. 2022 geriet die ebenfalls vom Bund bezuschusste Kunstausstellung Documenta in Kassel in die Kritik, weil dort ein antisemitisches Werk eines der BDS-Bewegung nahestehenden indonesischen Künstlerkollektivs ausgestellt wurde. Auf dem Wimmelbild war unter anderem ein Jude mit Schweinskopf zu sehen. Roth verurteilte die antisemitische Bildsprache nach der einsetzenden öffentlichen Kritik zwar schnell und distanzierte sich.
Vor Beginn der Ausstellung hatte sie indes Warnungen des Zentralrats der Juden in Deutschland an der Wahl der Kuratoren zurückgewiesen. Sie wolle nicht Kulturpolizistin spielen, hatte sie erwidert. Seither gilt Roths Verhältnis zur jüdischen Gemeinde in Deutschland als belastet. Die vom Zentralrat der Juden herausgegebene Zeitung «Jüdische Allgemeine» forderte angesichts ihres Agierens bei der Documenta sogar Roths Rücktritt. Bei der Jewrovision, einer Musikveranstaltung junger Juden, wurde sie 2023 in Frankfurt am Main minutenlang ausgebuht.
Jüdische Zeitung attestiert Roth Erkenntnisfortschritt
Im November vergangenen Jahres attestierte die «Jüdische Allgemeine» Roth indes Erkenntnisfortschritte in Bezug auf die israelfeindliche BDS-Bewegung. Späte Einsicht sei besser als keine, hiess es in einem Meinungsbeitrag. Auf Anfrage der Zeitung hatte Roth es als erschreckend bezeichnet, wie Unterstützer der BDS-Bewegung die Terrorattacken der Hamas relativiert hätten.
2019 noch hatte sich die damalige Vizepräsidentin des Bundestages grünen Abgeordneten angeschlossen, die einem fraktionsübergreifenden Antrag zur Verurteilung der BDS-Bewegung die Zustimmung verweigerten. Zwar sei es zutreffend, dass die aus der palästinensischen Zivilgesellschaft entstandene Bewegung in Teilen antisemitische Haltungen zeige und keine klare Haltung zur Zweistaatenlösung erkennen lasse, erklärten Roth und andere damals. Es sei aber falsch, die Bewegung insgesamt als antisemitisch zu verurteilen, wie es der interfraktionelle Antrag tue.
Gegen die Resolution des Bundestages formierte sich 2020 die von deutschen Kulturschaffenden getragene «Initiative GG 5.3 Weltoffenheit». Diese wiederum dankte Andreas Görgen, dem damaligen Abteilungsleiter Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, für seinen fachlichen Rat. Nach ihrer Berufung zur Staatsministerin für Kultur und Medien 2021 berief Roth Görgen zu ihrem Amtschef.