Ursula von der Leyen will ihre Laufzeit als EU-Kommissionspräsidentin verlängern und eine zweite Amtszeit antreten. Warum das aber keine gute Idee für Europa ist.
Wie die Endmoräne eines Gletschers, so ragt Ursula von der Leyen aus der Merkelzeit in die Gegenwart hinein. Sie will – aus persönlich nachvollziehbaren Gründen – für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin kandidieren. Hier sind die 7 Gründe, warum das für Europa keine gute Idee ist:
#1 Europa wurde zum Schuldner
Sie hat Europa, das über keine eigenen Steuereinnahmen verfügt, als Schuldner an den Kapitalmarkt herangeführt. Erstmals in der Geschichte der EU hat sich die Gemeinschaft im Zuge der Coronakrise für das Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ selbst verschuldet.
Es geht um ein Volumen von 750 Milliarden Euro, die nun als Gemeinschaftsschulden existieren. De facto hat von der Leyen damit Eurobonds eingeführt. Nur zur Erinnerung: Die Union hatte ihren Wählern versprochen, dass das niemals passieren würde.
#2 Europa kommt beim Freihandel nicht voran
In der für den Kontinent überlebenswichtigen Handelspolitik konnte diese Präsidentin keine Impulse setzen. Und wenn sie doch Impulse setzte, dann in die falsche Richtung.
An vorderster Stelle trat sie als Befürworterin harter Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf, die in ihrer Konsequenz nicht die russische Volkswirtschaft, sondern die europäischen Volkswirtschaften schädigten. Im Chinahandel folgte sie treuherzig den Amerikanern, die ihren Erzrivalen aus Asien gerne mithilfe des Protektionismus loswerden wollen.
Von der Leyen hat es nicht geschafft, das Freihandelsabkommen mit den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten vom Konzeptpapier in die Wirklichkeit zu befördern. Der Grund: Sie unternahm den untauglichen Versuch, die Idee einer wertegebundenden Außenpolitik auf die Handelsbeziehungen zu übertragen.
Das stößt weltweit auf allergische Abwehrreaktionen. In Asien und Lateinamerika will man gerne europäische Waren importieren, aber nicht die politischen Vorgaben der EU-Kommissionspräsidentin. Die sind international unverkäuflich.
#3 Sündenfall: Green Deal
Die 34 Gesetzentwürfe unter der Überschrift „Green Deal“ haben Europa weiter denn je von einer funktionierenden Marktwirtschaft entfernt. Der Staat will nicht nur in der Energiepolitik – Stichwort Strommarktdesign – die entscheidende Rolle spielen, sondern greift auch tief in die industriellen Wertschöpfungsketten des Kontinents ein.
Mit dem Verbot der Neuzulassung von Verbrennermotoren setzte Ursula von der Leyen ein Symbol ihrer grünen Gesinnung, das der Kontinent allerdings – und hier insbesondere die Automobilnationen Italien, Frankreich und Deutschland – mit Wohlstandsverlusten bezahlen wird.
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Von der Leyen ist der weibliche Robert Habeck. Ihr Rivale und intimer Feind, der EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU), will das für 2035 geplante Verbrenner-Aus verständlicherweise rückgängig machen. Die Automobilindustrie steht auf seiner Seite.
#4 Europa wurde zum Feindesland für die Künstliche Intelligenz
Der „AI Act“ – das Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (KI) – ist politisch korrekt und ökonomisch unbrauchbar. Die europäischen KI-Forscher haben die Aufholjagd zu den USA verloren, bevor sie sie begonnen haben.
Sie werden von der EU-Kommissionspräsidentin dazu verdonnert, ihre Arbeit künftig engmaschig zu dokumentieren und auch die Trainingsdaten gegenüber dem Staat transparent zu machen. Da es in den USA solche Vorschriften nicht gibt und eine gemeinsame transatlantische Regulierung nicht zustande kam, betrat Europa das neue Zeitalter mit Bleigewichten an den Füßen.
#5 Europa ohne Kapitalmarkt
Die dringend notwendige Kapitalmarktunion, also die Harmonisierung der Geldkreisläufe, kam in ihrer Amtszeit nicht voran. In den USA stellt der Marktwert börsennotierter Unternehmen 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) dar, in Frankreich mehr als 80 Prozent, in Deutschland weniger als 60 Prozent. Dies hat vor allem damit zu tun, dass dem Kapitalmarkt in Europa die Tiefe fehlt. Also wenige Investoren, kleinere Börsenbewertungen und kleine Indizes.
Die Nutznießer ihres Scheiterns sind die Finanzinstitutionen in New York. Wenn die Wall Street könnte, würde sie Ursula von der Leyen wählen.
#6 Europa versagt in der Migrationspolitik
Dieses Scheitern wiegt politisch am schwersten, weil es den Aufstieg der Rechtspopulisten überall in Europa begünstigt. Erst gestern meldete das Bundesinnenministerium einen erneuten Anstieg der festgenommenen Schleuser an den deutschen Grenzen; in den ersten elf Monaten des Jahres 2023 wurden bundesweit 2767 Schleuser aufgegriffen. Im Jahr 2022 wurden 2728 und im Jahr davor 2132 Schleuser gefasst. Während der großen Flüchtlingsströme 2015 wurde ein Rekordwert von 5226 Personen gemessen.
Der Syrer Hasan gab gegenüber der Tagesschau zu Protokoll, dass sein Vater umgerechnet 4.100 Euro für die Überfahrt seines Sohnes nach Italien bezahlt habe. Andere sagen, sie hätten bis zu 6000 Euro für einen Platz im Boot bezahlt. Ein Schlepper aus Tunesien, den die italienische Zeitung La Repubblica interviewte, nennt sein Geschäftsmodell „ein illegales Reisebüro“.
Die Expansion dieser Menschengeschäfte unter den Augen des Staates nehmen die Bürger der Politik übel. Oder anders gesagt: Der Aufstieg der AfD ist auch das Werk einer Politikerin wie Ursula von der Leyen.
#7 Europa wurde international marginalisiert
In ihrer Amtszeit konnte die europäische Außen- und Militärpolitik keinerlei Konturen gewinnen. Amerika bestimmt im Westen wie gehabt das Geschehen. Die Russen trumpfen auf – auf dem europäischen Gefechtsfeld mit ihrer Armee und in den europäischen Datennetzen mit ihren Trollfarmen.
Die Überlegungen zur europäischen Verteidigung kommen nicht voran und Ursula von der Leyen schaut tatenlos zu, wie Donald Trump und führende Republikaner die EU den Russen zum Fraß vorwerfen. Erst kürzlich sagte Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung:
„Ich würde Russland ermutigen, alles zur Hölle zu tun, was sie tun wollen. Du musst bezahlen. Du musst deine Rechnungen bezahlen.“
Fazit: Ursula von der Leyen hat ihre Chance gehabt. Die Ära Merkel ist vorbei. Und vielleicht kann ja beim nächsten Mal nicht der Hinterzimmer-Poker der Regierungschefs entscheiden, sondern das Volk in Gestalt seiner Volksvertretung. Das nennt man in den Schulbüchern: Demokratie.