Von Marco Gallina

Soll eine kritische Studie zur Windkraft unterdrückt werden?

10.02.2024
Lesedauer: 8 Minuten
IMAGO / imagebroker

Drei Forscher protestieren gegen die Rücknahme ihres Artikels in einem Wissenschaftsjournal. Sie hatten den baden-württembergischen Windatlas kritisiert, weil dieser die Wirtschaftlichkeit von Windanlagen deutlich überschätzte. Die Autoren sehen eine mediale Kampagne gegen sich gerichtet.

Weht der Wind günstig in Baden-Württemberg – und wenn ja, reicht er dafür aus, um Windkraftanlagen ökonomisch sinnvoll zu betreiben? Vor einigen Jahrzehnten hätten Publikationen zur Windstärke kein laues Lüftchen in der öffentlichen Diskussion bewegt. Mit der Energiewende haben solche Fragen dagegen Eskalationspotenzial. Die Windstille wird zum Politikum. Der Begriff „Dunkelflaute“ hat sich auch außerhalb von Fachkreisen weit verbreitet. Wer die Windkraftträume der Politik zerstreut, der muss sich auf Sturm gefasst machen.

In diesen aufgeheizten Kontext fällt eine Publikation. Der neue deutsche Journalismus würde sie mit Sicherheit als „umstritten“ titulieren. Aber: „Umstritten“ ist längst zum Prädikat geworden. Wer umstritten ist, der schreibt und redet gegen den Strich. Genau das haben die drei Forscher Detlef Ahlborn, Jörg Saur und Michael Thorwart getan. In ihrem Beitrag „Der Windatlas Baden-Württemberg 2019 im Realitätscheck“ nehmen sie der Landesregierung buchstäblich den Wind aus den Segeln. Grob gesagt. Denn nach ihren Berechnungen weht weniger Wind im Ländle als dargestellt.

Ahlborn, Saur und Thorwart prüften den „Windatlas“, den die grün-schwarze Koalition als Maßstab nimmt, um Standorte für mögliche Windparks festzulegen. Dabei ist ihr Bekenntnis kein politisches, sondern ein wissenschaftliches. Sie vergleichen die Behauptungen im Windatlas mit den tatsächlichen Werten – deswegen: Realitätscheck. Die Ergebnisse sind für Windkraftenthusiasten ernüchternd. Zitat: „Dabei zeigt sich, dass die Einführung einer Kappgeschwindigkeit, die nicht streng begründet wird, in den Simulationen zu einer Überschätzung der Ertragsprognosen um bis zu 30 % führt.“

30 Prozent mehr – das ist keine Lappalie im windarmen Süden der Republik, wo aufgrund des Atomausstiegs und des lahmenden Netzausbaus Ersatz her muss. Es ist nicht das einzige, kritische Ergebnis. Bereits bestehende Windkraftanlagen erreichten nicht die Vorgaben für einen wirtschaftlichen Betrieb. Der Auslastungsgrad der Anlagen bewege sich im Bereich unter 25 Prozent. Für die grün-schwarze Politik des Landes, die auf die Windkraft setzt, muss die Studie ein Schlag in die Magengrube gewesen sein.

Am 6. Dezember 2023 legten zwei der drei Fachmänner – nämlich Saur und Thorwart – zusammen mit Willy Fritz einen weiteren Beitrag vor. Die Forscher vergleichen den baden-württembergischen Windatlas mit dem bayerischen Gegenstück. TE hatte über die erstaunlichen Ergebnisse berichtet. Bemerkenswert für den Laien: Im Grenzgebiet zwischen Baden-Württemberg und Bayern kommen die Atlanten der jeweiligen Bundesländer auf andere Werte. Beispiel Elchingen. Die Messpunkte der beiden Länder liegen nur 16 Meter auseinander, aber der Wind in Bayern weht einen halben Meter pro Sekunde lauer als in Baden-Württemberg. In Leutkirch liegt die Windleistungsdichte auf baden-württembergischer Seite gar 87 Prozent höher als auf der bayerischen Seite. Ist etwa der alemannische Wind stärker als der bajuwarische? Oder hat man an einigen Stellen etwas nachgeholfen? Die Indizien, dass etwas faul am baden-württembergischen Windatlas ist, mehren sich.

Der zweite Beitrag hätte eine veritable Fortsetzungsgeschichte zum ersten Artikel sein können. Hätte. Denn der Fachverlag SpringerNature, bei dem der Artikel von Ahlborn, Saur und Thorwart 2023 erscheint, zieht die Publikation zurück. Zur Begründung heißt es, dass „Bedenken“ an der in der Studie verwendeten Methodik geäußert worden seien. Von wem – das erfahren die drei nicht. Die berichteten Daten seien jedenfalls „unzuverlässig“. Außerdem sei ein Interessenkonflikt nicht angegeben worden: Ahlborn sei Mitglied der Bundesinitiative Vernunftkraft, Thorwart Mitglied der „Bürgerinitiative Gegenwind Hohenzollern“.

Der letzte Vorwurf verleitet einen zum Sardonismus. Denn dass zahlreiche „Fachgutachten“ von Fachleuten erstellt werden, die manchmal nicht nur gesellschaftlich aktivistisch engagiert, sondern auch an anderen Instituten mit ideologischer Schlagseite angestellt sind, um diesen genau jene Ergebnisse zu liefern, die sie liefern sollen, gilt ansonsten als Regel. Im Falle der windkraftkritischen Akademiker sieht es anders aus. Während ein NABU-Präsident und Agora-Rat in Deutschland Präsident des Umweltbundesamtes oder Staatssekretär im Bundesumwelt- oder Entwicklungsministerium werden kann, führt die Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative zur Ächtung im Wissenschaftsverlag. Man merkt die Absichten und ist verstimmt.

In einer öffentlichen Stellungnahme wehrt sich das Trio gegen das Verlagshaus. Denn ganz abgesehen davon, dass es zum akademischen Betrieb gehört, dass Einspruch, Einwand oder Gegenthese unter Namen angegeben werden und nicht als anonyme Denunziation, hat es ein angebliches Peer-Review nach ihrer Aussage nicht gegeben bzw. haben es die Wissenschaftler nicht erhalten. Konkrete Hinweise habe es neben den allgemeinen Anschuldigungen nicht gegeben, was an der Arbeit zu verbessern sei. Die verwendeten Daten seien öffentlich einsehbar, etwa vom Deutschen Wetterdienst.

Zum Vorwurf des Interessenkonfliktes wissen die Forscher zu entgegnen: „Von einem Interessenkonflikt kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Stattdessen stellen wir unser unabhängig erarbeitetes Fachwissen den genannten Gruppen zur Verfügung.“

Doch: keine Reaktion. Der Verlag antwortet nicht. Stattdessen prangt nun ein fettes „Retracted Article“ über der Digitalausgabe. Da hilft auch offenbar kein Hinweis auf zwei Gutachten vor der Veröffentlichung des Artikels, die den Beitrag positiv bewerten. Heißt: Die wissenschaftlichen Mechanismen zur Veröffentlichung haben funktioniert. Was also mussten für Mechanismen wirken, um den für einige Entscheider unangenehmen Fachartikel aus dem Verkehr zu ziehen?

Das Trio verweist auf eine Medienkampagne. Sie geht von der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) aus, genauer: Denis Schnur. Bereits im Juli 2023 erscheint dort unter dem Titel „Wissenschaft oder ‚Kampfschrift‘?“ ein Artikel, der sich mit der Studie auseinandersetzt. Dort wird schon frühzeitig festgestellt: „Ein kurzer Blick auf die Autoren nährt Zweifel.“ Laut Experten würde die Studie auch inhaltlich wissenschaftlichen Ansprüchen „kaum“ gerecht.

Fakt ist: Gegen das Trio werden mächtige Geschütze aufgefahren. Axel Kleidon vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena „sieht die Autoren in der Tradition von Klimawandelleugnern“ – so steht es im RNZ-Artikel. Ulrich Platt, Umweltphysiker an der Universität Heidelberg, erblickt in dem Beitrag eine „Kampfschrift“ und spricht von „trivialen Aussagen mit populistischer Zielsetzung“. Nun sind allerdings Banalitäten üblicherweise nicht falsch, sondern vielmehr so bekannt, dass man sie nicht auszusprechen braucht. Der Physiker Wolfgang Schlez geht näher auf das Papier ein, spricht davon, dass die Daten mathematisch korrekt, aber falsch dargestellt seien – so hätten die Autoren die falschen Messstationen benutzt und jene, die der Deutsche Wetterdienst für besonders geeignet ausgewiesen hätte, nicht beachtet.

Dass der RNZ-Artikel dabei stark auf den Hintergrund der Autoren als „Aktivsten“ eingeht, bei Schlez jedoch nicht erwähnt, dass seine Firma Mitglied im Windgutachterbeirat des Bundesverbands BWE dabei ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Methoden, die das Blatt anwendet. Derselbe Physiker, der gegenüber der Zeitung davon spricht, dass das Papier nicht hätte durchkommen dürfen, dürfte nicht weniger Interessenkonflikte besitzen als das angeprangerte Trio. Aber wie immer kommt es darauf an, was nicht gesagt wird. Der Leser kann es nur auf eigene Faust recherchieren – aber wozu dann ein Faktencheck, der die Klimawandelleugner und Windkrafthasser mit ihrer faulen Studie entlarven will?

Stichwort Faktencheck. Der Autor Denis Schnur hat mindestens einen Artikel in Zusammenarbeit mit der Plattform Correctiv erstellt („Profitiert Chinas Militär von Heidelberger Forschung?“). So haben Ahlborn, Saur und Thorwart recherchiert. In ihrer öffentlichen Stellungnahme ziehen sie eine Verbindung zum aktuellen Geschehen: „In jüngster Zeit geriet CORRECTIV in einen Medienskandal in Zusammenhang mit eigenen nachweislichen Falschbehauptungen, mit Korrekturen und mehreren Abmahnungen. Es ergaben sich starke Zweifel über die journalistische Integrität des Medienunternehmens. (…) Eine politische Einflussnahme durch CORRECTIV kann also nicht ausgeschlossen werden.“

In der Tat ist es der Artikel aus der RNZ, der die Sache ins Rollen gebracht hat – zuungunsten des Trios. Bereits ein im Oktober angebotenes, zweites Manuskript sei nicht angenommen worden. Die Autoren werfen SpringerNature darüber hinaus „unterschiedliche Maßstäbe“ bei möglichen Interessenkonflikten vor und verweisen auf eine andere Publikation, bei denen die Fachleute von NGOs gefördert werden und ebenfalls „keine Interessenkonflikte“ angeben. Zuletzt halten die Wissenschaftler dem Fachmagazin vor, gegen die eigenen ethischen Richtlinien zu verstoßen, weil die Kritik nicht offen unter Nennung von Namen erfolgt – und das post-Peer Review nicht veröffentlicht worden sei.

Im November 2023 kündigt Springer offiziell die Rücknahme der Studie an. Am 30. Januar 2024 berichtet die RNZ über die Zurückziehung. Wieder sind es die Autoren Denis Schnur und Julia Schulte. Die Zeitung brüstet sich dabei, an dem Vorgang mitgewirkt zu haben: Bereits in der Stichzeile notiert der Beitrag „Nach RNZ-Bericht“. Nicht genug, dass die RNZ so viel Druck auf SpringerNature ausgeübt hat, dass sich der Verlag zur Rücknahme gezwungen sah; getreu nach dem Motto, dass man das treten sollte, was gerade fällt, stellen die Autoren die nächste Frage: Wie konnte diese Veröffentlichung überhaupt passieren? Eine Verlagssprecherin muss sich der Fragen etwas hilflos wie im Verhör erwehren.

Es ist nicht das erste Mal, dass die RNZ mit einer Kampagne Erfolg hat, in der andere Meinungen ausgeschlossen werden sollen, weil sie der politischen Agenda widersprechen. Ein Beispiel dafür ist der Pianist Martin Münch. Er hatte den Fehler begangen, im Jahr 2018 die „Gemeinsame Erklärung“ unterschrieben zu haben. Darin hatten sich Künstler, Publizisten und Wissenschaftler gegen die illegale Massenzuwanderung ausgesprochen. Zu den Unterzeichnern gehörten neben Münch auch Vera Lengsfeld, Uwe Tellkamp und Thilo Sarrazin. Ein Autor der RNZ wetterte kurzerhand gegen Münch – und klapperte Konzertveranstalter und Verbände ab, mit denen Münch in Kontakt stand, um diesen anzuschwärzen. „Auf Nachfrage der RNZ zeigten sie sich erschrocken von den außermusikalischen Aktivitäten des Pianisten, von denen sie größtenteils nichts wussten“, hieß es dann.

40 Künstler sahen sich wegen der gezielten Kampagne gegen einen politisch unliebsamen Pianisten damals dazu genötigt, einen „Offenen Brief zur Kampagne gegen den Pianisten und Komponisten Martin Münch“ zu veröffentlichen. Sie warnten vor der Ausgrenzung Andersdenkender wegen ihrer politischen Ansichten und bewerteten die RNZ-Berichterstattung als „Ideologische Schmutzkampagne“. Bei der öffentlichen Stellungnahme vom 7. Februar 2024, in welcher Ahlborn, Saur und Thorwart gegen die Rücknahme ihres Artikels protestieren und auf die RNZ als Betreiber der Kampagne hinweisen, tun sich interessante Parallelen auf.

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