In diesem Jahr wählen drei Ost-Länder ihren Landtag. Überall liegt die AfD vorne. Regierungen zu bilden, wird so gut wie unmöglich werden. Was auch daran liegt, dass sich die Demokratie im Umgang mit der AfD in eine Sackgasse manövriert hat.
1863 wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet. In Leipzig. 1869 wurde die SPD gegründet und ihre beiden prägendsten Figuren, Wilhelm Liebknecht und August Bebel, kamen aus: Leipzig.
Als die SPD-Politikerin Anke Fuchs als West-Import bei den ersten freien Wahlen in Sachsen nach zwei Diktaturen in 57 Jahren 19 Prozent einfuhr, wurde dies noch als heftige Niederlage empfunden. Als Unerklärlichkeit – im doch traditionell „roten Sachsen“. Die SPD war tatsächlich einmal ein Sachse.
Aus und vorbei: Heute steht die SPD in ihrer einstigen Hochburg bei – drei Prozent. In Sachsen ist die AfD schon länger die stärkste politische Kraft, aber inzwischen ist sie zwölf Mal so stark wie die SPD.
Die in Berlin den Bundeskanzler stellt. Sie ist mehr als fünfmal so stark wie die Grünen, die in Berlin den Vizekanzler stellen. Und sie ist 37 mal so stark wie die FDP, die in Berlin den stärksten weil einzigen Minister mit Vetorecht im Bundeskabinett stellt.
AfD schert als einzige Partei aus
Darf man überhaupt Landeszahlen auf die Bundespolitik zurückführen? Man darf nicht, man muss: Der Booster für die AfD in Sachsen und im gesamten Osten ist eindeutig die Bundespolitik, im Einzelnen:
Robert Habecks Heizungsgesetz aus zwei Gründen – wegen der Übergriffigkeit, dem tiefen Eingriff ins Eigentum der Bürger, und wegen der klimapolitischen Begründung, die von den Anhängern der AfD nicht mitvollzogen wird. Die AfD ist die bisher einzige Partei, die aus der klimapolitischen Selbstverständlichkeit der anderen Parteien ausschert.
Das Versagen bei der Steuerung der Migration. Die Ampelregierung begrenzt die irreguläre Migration nicht, in den Augen der meisten Bürger heizt sie sie noch an: durch Erhöhung der sozialen Leistungen und durch schnellere Einbürgerung.
Eine breite Diskussion über die Folgen der Einwanderung für die Sicherheit der Bürger, der Frauen insbesondere, findet in Berlin nicht statt. Auch davon profitiert die AfD überproportional, weil das Beschweigen ihre Erzählung von einer Regierung, die sich nicht um die Belange der Bürger kümmert, stützt.
Keine Partei will mit der AfD ein Bündnis eingehen
Der Krieg in der Ukraine. Wenn die AfD für eine interessengesteuerte Außenpolitik eintritt, meint sie damit, die Milliardenhilfe für die Ukraine liege eben nicht im deutschen Interesse. Dieses Politikfeld besetzt die AfD als einzige Partei – bisher. In Sahra Wagenknechts Partei erwächst ihr darin ein diskursiver Partner und arithmetischer Konkurrent.
In den drei Bundesländern, die in diesem Herbst wählen, liegt die AfD inzwischen vorne. In Sachsen vor einer CDU-geführten Regierung. In Thüringen vor einer Linke-geführten Regierung. Und in Brandenburg vor einer SPD-geführten Regierung.
Die AfD schlägt – in den Umfragen – also die jeweiligen Ministerpräsidenten Kretschmer, Ramelow und Woidke. Und das, obwohl ihre Spitzenleute in diesen Ländern nur Eingeweihten bekannt sind.
Keine Partei will mit der AfD ein Bündnis eingehen, weder formell eine Koalition noch informell eine Tolerierung. Der AfD hilft diese „Brandmauer“ – sie bewahrt sie davor, Verantwortung übernehmen zu müssen.
Und befeuert permanent ihr Narrativ von der Anti-„Kartellpartei“, also der einzigen „Alternative“. Die „Brandmauer“ hat in der Debatte dazu geführt, dass eine für die Demokratie wichtige Frage erst gar nicht mehr gestellt wird: Was würdet ihr machen, wenn ihr morgen regieren würdet? Das hat gravierende Folgen.
Den anderen Parteien fällt außer Empörung wenig ein
In den Ost-Ländern braucht die AfD nicht einmal zugkräftiges Personal, um permanent stärker zu werden. Und sie kommt auch aus ohne ein evaluierbares Regierungsprogramm.
Den anderen Parteien fällt zur AfD außer Empörung nur wenig ein, und die AfD muss nicht den Nachweis führen, dass sie „es“ kann. Im Grunde zeigt die Entwicklung in den Ost-Ländern einen erschreckenden Befund: Die Demokratie hat sich im Umgang mit der AfD in eine Sackgasse manövriert.
In Sachsen und in Thüringen kann man durchdeklinieren, was das bedeutet.
Für Sachsen: Michael Kretschmer hat keine Mehrheit mehr, falls die Zahlen so bleiben oder womöglich – angesichts der teuren Folgen der Berliner Politik – noch einmal schlechter werden. Kretschmer regiert mit Grünen und SPD, und falls die SPD tatsächlich unter fünf Prozent fällt, ist die Mehrheit weg. Dann hat Kretschmer – rein rechnerisch – folgende Möglichkeiten:
Zwei Drittel der Sachsen wollen nicht-links regiert werden
Er kann die SPD ersetzen durch die Linke und eine Koalition aus CDU, Grünen und Linkspartei bilden. Allerdings verbietet dies das CDU-Grundsatzprogramm. Er kann eine Minderheitsregierung bilden, mit den Grünen oder ohne sie, und sich von den anderen tolerieren lassen, also für eine Mehrheit für seine Politik von Fall zu Fall kämpfen. Wie groß das Problem mit der AfD ist, zeigt eine andere Perspektive:
Zieht man die Prozentzahlen von CDU und AfD, also für eine Nicht-Linke Politik zusammen, kommt man auf 70 Prozent. Zweidrittel der Sachsen wollen nicht-links regiert werden. Damit hat Sachsen in Deutschland eine absolute Sonderstellung.
In Thüringen kostet die Berliner Politik den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow dessen Mehrheit. Der hat schon eine Minderheitsregierung, die nun noch „minderheitiger“ wird – die Grünen schaffen die Fünfprozent-Hürde in Thüringen nicht. Ob trotz oder wegen der prominentesten Thüringer Bundesgrünen, Katrin Göring-Eckardt, weiß man nicht.
Da inzwischen auch die FDP, die skandalträchtig einen Kurzzeit-Regierungschef in Thüringen stellte, inzwischen unter fünf Prozent liegt, geht für Ramelow ohne die CDU quasi nichts mehr. Die CDU hat aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss nicht nur für eine Zusammenarbeit mit der AfD, sondern auch mit der Linkspartei gefasst.
Grund zur Entspannung hat nur Dietmar Woidke
Nun gibt es Stimmen im Westen (Daniel Günther), die eine Aufweichung dieses Beschlusses ins Spiel gebracht haben, um eine engere Zusammenarbeit von CDU und Linkspartei zu ermöglichen.
Im Osten Deutschlands würde dies allerdings der CDU wohl massiv schaden. Wie sollten ihre Wahlkämpfer dem Wähler-Argument begegnen: Wer euch wählt, bekommt die Linke, also die Ex-SED?
Grund zur Entspannung hat allein Dietmar Woidke. Der Sozialdemokrat kann – falls die Zahlen so bleiben – mit CDU und Grünen weiter regieren, obwohl auch in Brandenburg die AfD mittlerweile stärkste Kraft ist. Selbst in dem sozialdemokratischen Stammland – Brandenburg wurde das mit Hilfe der damals noch starken NRW-SPD von Johannes Rau – bringt es die AfD auf ein Drittel der Wählerschaft.
Eine tiefe Auseinandersetzung mit der AfD findet, jedenfalls auf der großen Bühne, praktisch nicht statt. Die Studie, die deren Einstufung in Sachsen als „gesichert rechtsextremistisch“ zugrunde liegt, hält der Verfassungsschutz unter Verschluss. Was man weder transparent noch demokratisch finden muss.
Die AfD wird nicht kleiner, sie wächst noch weiter
Wenn es in der AfD ein verfassungswidriges, weil mit der Würde des Menschen unvereinbares, völkisches Menschenbild gibt, sollte dies belegt und öffentlich gemacht werden.
Das gilt auch für Bestrebungen, mit Hilfe der „Straße“ nach Art von Wehrsportgruppen die repräsentative Demokratie auszuhebeln.
Fazit: Die AfD wird nicht kleiner, sie wächst. Und die anderen Parteien haben kein Rezept dagegen. Weder plant die Berliner Regierung eine Begrenzung der Klimaausgaben noch eine Begrenzung der Migration. Besserung ist nicht in Sicht.