Hubertus Knabe

Stasi-Experte erklärt, warum er Anzeige gegen Faeser erstattet hat

13.09.2023
Lesedauer: 5 Minuten
Bundesinnenministerin Nancy Faeser will hessische Ministerpräsidentin werden Bildquelle: Helmut Fricke/dpa

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat monatelang gegen einen Beamten ermitteln lassen, obwohl dessen Unschuld feststand. Laut Strafgesetzbuch ist dies eine Straftat. Stasi-Experte Hubertus Knabe hat deshalb Anzeige erstattet. Seine Beweggründe hat er für FOCUS online aufgeschrieben.

Vielleicht ist es eine Berufskrankheit. Aber wenn ein Arbeitgeber im Streit mit seinem Mitarbeiter den Verfassungsschutz um Hilfe bittet, werde ich hellhörig. Seit mehr als 30 Jahren beschäftige ich mich mit der Stasi und ihren Methoden. Ich weiß deshalb sehr genau, wie wichtig es ist, den Bürger vor allumfassender staatlicher Überwachung zu schützen.

Knabe: Darum habe ich Nancy Faeser angezeigt

Aus diesem Grund habe ich bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erstattet. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich eine Ministerin angezeigt. Manche gratulierten mir anschließend zu meinem „Mut“, obwohl in Deutschland doch alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Aber ich gebe zu, dass es einen Unterschied macht, ob man der Polizei einen Kellereinbruch meldet oder der für Bundeskriminalamt und Bundespolizei verantwortlichen Ministerin die Verfolgung Unschuldiger vorwirft.

Was war geschehen, dass ich mich zu diesem Schritt veranlasst sah?

Hubertus Knabe
Hubertus Knabe. (Foto: dpa/Paul Zinken)

Die „Bild“-Zeitung hatte ein Dokument veröffentlicht, das der Verwaltungschef des Bundesinnenministeriums verfasst hatte. Dieser berichtet darin, dass er Frau Faeser über den Abschluss sogenannter Vorermittlungen informiert habe. Dabei ging es um den Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm. Der Komiker Jan Böhmermann hatte diesem im Oktober 2022 zu Unrecht nachrichtendienstliche Kontakte nach Russland beschuldigt. Zehn Tage später hatte Frau Faeser dem Beamten die weitere Ausübung seines Amtes und jede öffentliche Äußerung zu den Vorwürfen verboten.

Um seine Unschuld zu beweisen, beantragte Schönbohm damals gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren. Nach monatelangen Ermittlungen teilte der Verwaltungschef – der privat zugleich Faesers Vermieter ist – der Ministerin mit, dass an den Vorwürfen tatsächlich nichts dran gewesen sei. Wie er seinen Untergebenen schrieb, sei sie mit diesem Ergebnis jedoch „sichtlich unzufrieden“ gewesen. „Sie fand die Dinge, die wir ihr zugeliefert haben, zu ‚dünn‘“. Als der Verwaltungschef entgegnete, „dass wir alle relevanten Behörden und Abteilungen bereits beteiligt hätten und es schlicht nicht mehr gäbe,“ verlangte Frau Faeser, das Bundesamt für Verfassungsschutz nochmals abzufragen „und alle Geheimunterlagen zusammentragen.“

Verfolgung Unschuldiger ist strafbar

Wenn ein Amtsträger jemanden verfolgt oder auf seine Verfolgung hinwirkt, obwohl er weiß, dass es dafür keinen Grund gibt, ist dies in Deutschland eine Straftat. Nach § 344 Absatz 2 Strafgesetzbuch wird er dafür mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Dem Gesetz zufolge gilt dies auch für eine Amtsträgerin wie Frau Faeser, wenn sie zur Mitwirkung an einem Disziplinarverfahren berufen ist. Selbst der Versuch einer solchen Verfolgung Unschuldiger ist strafbar.

Genau dieser Fall scheint mir hier vorzuliegen. Obwohl nach über viermonatiger Prüfung feststand, dass gegen den Beamten nichts vorlag, verlangte Frau Faeser von ihren Mitarbeitern eine erneute Abfrage beim Verfassungsschutz. Die Ministerin ließ weiter nach Belastungsmaterial suchen. Dabei sind Disziplinarverfahren einzustellen, wenn ein Vergehen nicht erwiesen ist. Im Fall Schönbohm vergingen jedoch zwei weitere Monate, bis das Verfahren endlich beendet wurde.

Aus gutem Grund haben Minister in Deutschland nicht das Recht, Nachforschungen über ihre Mitarbeiter beim Verfassungsschutz anstellen zu lassen. Erlaubt sind diese nur mit einer Rechtsgrundlage – zum Beispiel bei einer Sicherheitsüberprüfung. Auch dabei dürfen jedoch keine nachrichtendienstliche Mittel genutzt werden. Wenn es tatsächlich Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass Herr Schönbohm mit dem russischen Geheimdienst kooperiert hätte, hätte der Verfassungsschutz den Generalbundesanwalt von sich aus informieren müssen.

War es politisch motiviert?

Warum Frau Faeser wegen der Behauptungen eines Fernsehkomikers über sechs Monate gegen einen Unschuldigen ermitteln und mehrfach beim Verfassungsschutz nach „Geheimunterlagen“ suchen ließ, ist mir nicht bekannt. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der Betroffene Sohn des ehemaligen CDU-Politikers Jörg Schönbohm ist. Augenscheinlich ging es jedenfalls nicht darum, wie im Bundesdisziplinargesetz vorgeschrieben, belastende und entlastende Umstände unvoreingenommen zu ermitteln.

Darauf deutet auch ein weiterer Vermerk hin, der von „Bild“ veröffentlicht wurde. Unter Bezugnahme darauf, dass Claudia Plattner Schönbohms Nachfolger als Präsident des Bundesamtes werden sollte, heißt es darin wörtlich: „Da nun die Personalie Plattner steht, können wir den Abschluss des Verfahrens angehen.“ Der Ministerin sollte dazu ein entsprechendes Votum vorgelegt werden. Das heißt: Als Schönbohms Nachfolge geregelt war, wurde das Verfahren sang- und klanglos eingestellt.

Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft diese und weitere Unterlagen des Innenministeriums heranzieht, um das Verhalten der Ministerin strafrechtlich zu beurteilen. In einem funktionierenden Rechtsstaat ist das ihre Aufgabe. Dass Frau Faeser entgegen dem Gesetz ein Disziplinarverfahren willkürlich in die Länge gezogen hat, scheint mir bereits jetzt belegt.

Was wollte Faeser vom Verfassungsschutz?

Offen ist noch, in welchem Maße Frau Faeser dabei auf Informationen des ihr unterstellten Verfassungsschutzes zurückgegriffen hat. In der Öffentlichkeit hat sie erklärt, dass gegen Herrn Schönbohm keine nachrichtendienstlichen Mittel angewandt worden seien. Dies wäre in der Tat ein gravierender Verstoß gegen geltendes Recht. Der gesunde Menschenverstand sagt einem allerdings, dass man nicht nach „Geheimunterlagen“ fragt, um nur allgemein Bekanntes zu erhalten.

Die Staatsanwaltschaft sollte sich daher von Frau Faeser darlegen lassen, was genau sie vom Verfassungsschutz wissen wollte. Noch wichtiger wäre es, sich dessen Antwort anzusehen. Sollte diese ganz oder teilweise als „geheim“ eingestuft sein, wäre dies ein Hinweis darauf, dass womöglich doch nachrichtendienstlich gewonnene Informationen eingeflossen sind. Nicht nur die Staatsanwaltschaft, auch das Parlamentarische Kontrollgremium hat das Recht, sich darüber informieren zu lassen.

Und damit sind wir wieder beim DDR-Staatssicherheitsdienst. Personenauskünfte waren auch bei der Stasi gang und gäbe. Die Akten im Bundesarchiv sind voll davon. Damit es in Deutschland nicht dazu kommt, dass Minister den Verfassungsschutz für die Austragung persönlicher Fehden missbrauchen, ist es in meinen Augen wichtig, dass die Staatsanwaltschaft sich des Falles Faeser annimmt – unabhängig und möglichst bald.

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