Reagan und Thatcher: Symbole einer Ära mit weniger staatlichen Eingriffen. Doch ihre Geister verlassen uns wieder, die Welt tritt erneut in eine Ära des „Big Government“ ein. Wer zahlt den Preis für diese neu entfachte Staatstätigkeit?
Ronald Reagan und Margaret Thatcher sterben in diesen Tagen ein zweites Mal. Nach seiner offiziellen Beisetzung am 11. Juni 2004 in Washington vor 2100 geladenen Trauergästen und ihrer feierlichen Beerdigung am 17. April 2013 in London wird nun auch der Geist jener Ära zu Grabe getragen.
Es war eine Zeit, in der die Staaten sich zurückgezogen hatten aus dem Leben ihrer Bürger. Wirtschaft fand in der Wirtschaft statt, nicht im Planungsstab eines Ministeriums. „Schlachtet nicht die Gans, die das goldene Ei legt“, rief Thatcher den Wählern zu. Und die folgten ihr.
„Es ist nicht die Aufgabe eines Politikers, allen zu gefallen“
Thatcher wurde von den Linken gehasst, von den Gewerkschaften bekämpft, aber von den bürgerlichen Wählern für ihre Steuersenkungen und ihre Privatisierungspolitik reich belohnt. Bei ihrer Wiederwahl am 9. Juni 1983 holte sie mit 42,4 Prozent einen bis heute ungeschlagenen Rekord in Großbritannien. Ihr Credo: „Es ist nicht die Aufgabe eines Politikers, allen zu gefallen.“
Ronald Reagan war aus ähnlich hartem Holz geschnitzt. Zur Amtseinführung am 20. Januar 1981 sagte er: „Die Regierung ist nicht die Lösung unseres Problems. Sie ist das Problem.“ Die Wirtschaft wurde dereguliert, die Steuern gesenkt, der Sozialstaat zurechtgestutzt. Ronald Reagan rangiert bis heute im Beliebtheitsranking des Gallup-Instituts vor Bill Clinton, Donald Trump und Joe Biden.
Wir haben erneut ein Zeitalter von „Big Government“ betreten
Doch der Geist jener Zeit ist zurück in der Flasche. Wir haben erneut ein Zeitalter von „Big Government“ betreten, das die Welt zuletzt zu Zeiten von Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg und später dann, fast zeitgleich mit Reagan und Thatcher, in Frankreich unter François Mitterand erlebte. Seine „Planification“, die mit der Verstaatlichung der französischen Schlüsselindustrien endete, gilt bis heute als kostspieligste Verirrung der französischen Nachkriegsgeschichte.
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Die heutige Phase von Planification ist eine weltweite, aber sie kommt geschmeidiger daher. Die Regierungen, weder die von Joe Biden noch die von Olaf Scholz, sind keine ideologischen Überzeugungstäter. Aber sie sind die Kinder ihrer Zeit. Global kommt es zu einer gewaltigen Verschiebung von Macht und Ressourcen; die Spielräume der Privatwirtschaft und der Bürger werden verengt, um die des Staates zu erweitern – finanziell und regulatorisch.
Die aggressivsten Treiber dieser Entwicklung sind auf folgenden Feldern zu besichtigen:
1. Die Aufrüstung Chinas und der Krieg Russlands haben dem Militär und dem militärisch-industriellen Komplex überall im Westen eine neue Bedeutung verliehen. In den USA wird der Rüstungsetat 2024 mit rund 842 Milliarden eine historisch nie gesehene Größenordnung aufweisen. Das entspricht dem operativen Gewinn der acht gewinnstärksten Unternehmen der Welt 2022 – zu denen unter anderem Saudi Aramco, Apple, Microsoft, Alphabet, ExxonMobil und Shell gehören.
In Deutschland hat Olaf Scholz ein 100 Milliarden Aufrüstungsprogramm gestartet, das es in dieser Massivität seit der Wiederbewaffnung der Bundeswehr nicht gegeben hat. Und in Japan, wo man sich durch China in besonderer Weise bedroht fühlt, steigt der Verteidigungshaushalt im kommenden Jahr um 57 Prozent.
2. Der politische Wille, den menschengemachten Klimawandel zu verlangsamen, hat in allen westlichen Staaten den Retterstaat auf den Plan gerufen. Mit gigantischen Geldsummen – McKinsey schätzt, dass für die grüne Transformation insgesamt 9,2 Billionen US-Dollar pro Jahr aufgewandt werden müssen – und einer hohen Regelungsdichte für den Verkehrssektor, den Hausbau und die industrielle Fertigung reagiert die Politik auf diese Herausforderung. Auch in den urkapitalistischen USA. Die Financial Times bilanziert kühl:
„Die derzeitige US-Regierung greift so stark in die Wirtschaft ein wie seit den 1930er Jahren nicht mehr.“
Ob es tatsächlich gelingt, die Welttemperatur wie eine Klimaanlage herunter zu pegeln, ist offen. Fest steht aber: Der Staat greift in seinem ökologischen Eifer tief in die unternehmerischen Entscheidungen und auch in das Privatleben seiner Bürger ein. Dafür allerdings, das darf nicht verschwiegen werden, besitzt er in den westlichen Demokratien das Mandat seiner Wähler.
3. Der Geburtenrückgang in vielen westlichen Staaten weist dem Sozialstaat eine größere Rolle zu. Es kommt zu einer ständigen Expansion des Wohlfahrtsstaates, der 1970 erst 20 Prozent des Bundeshaushaltes ausmachte, 2022 waren es bereits 36 Prozent. Allein die gesetzliche Rentenversicherung muss mit über 100 Milliarden Euro subventioniert werden, damit die den Bürgern gemachten Zusagen erfüllt werden können.
Deutschland ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen und die Renten werden weiterhin stark ansteigen. Der demografisch bedingte Belastungsquotient – berechnet als Anteil der über 65-Jährigen im Vergleich zur Zahl der 20- bis 64-Jährigen – wird in der gesamten OECD von 33 Prozent im Jahr 2023 auf 36 Prozent im Jahr 2027 ansteigen, bevor er bis zum Jahr 2050 um etwa einen Prozentpunkt pro Jahr auf 52 Prozent ansteigt.
Studierende, Erwerbstätige, Unternehmer zahlen dafür mit ihrem Geld
Fazit: Über die Schattenseiten dieser erweiterten Staatstätigkeit wäre mit den Bürgern zu sprechen. Denn die Aktiven, das heißt die Studierenden, die Erwerbstätigen und die Unternehmer, zahlen dafür mit ihrem Geld und der Einschränkung ihrer individuellen Freiheit. Doch dieses Gespräch – das auch ein Gespräch über Alternativen sein müsste – wird derzeit verweigert.
Die neuen Interventionisten sind Leisetreter. Sie exekutieren den Zeitgeist auf lautlose Weise. Der Mut zur Wahrheit ist bei ihnen nicht sehr ausgeprägt. Maggie Thatcher wäre damit nicht einverstanden:
„Wenn ich etwas in der Politik verabscheue, dann den Typ des Aals, der sich vor lauter Geschmeidigkeit am liebsten selbst in sein Hinterteil beißen möchte.“