Gabor Steingart

Hemmungslose Staatsverschuldung treibt uns in die nächste Weltfinanzkrise

12.05.2023
Lesedauer: 5 Minuten
US-Präsident Joe Biden, CEO von "JPMorgan Chase & Co" James Dimon, Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: The Pioneer

Die Regierungen in Europa und den USA treiben die Staatsverschuldung hemmungslos in die Höhe. Von einem vernünftigen Umgang mit den Staatsfinanzen kann keine Rede sein. Die Folgen sind fatal: Die nächste Weltfinanzkrise ist die am besten vorhersehbare der Weltgeschichte.

Wenn es um neue Schulden geht, sind Politiker überall auf der Welt nicht rechts oder links, sondern hemmungslos. Die steigenden Zinsen, die sie eigentlich zur Ordnung rufen und zur Seriosität zwingen sollten, werden ignoriert oder fantasiereich umgangen.

Die Regierungen in Deutschland, Europa und den USA wollen jetzt nicht sparsam, sondern unvernünftig sein. Nur mit kollektiver Unvernunft glaubt man, die Bürger am Wahltag gewinnen oder besser gesagt kaufen zu können. Dafür werden internationale Verträge gebrochen, Verfassungsvorschriften ignoriert und die großen Lehren der Finanzkrise von 2009 in ihr Gegenteil verkehrt.

Fünf-Punkte-Programm des vorsätzlichen Wahnsinns

Es wirkt, als hätten sich die Regierungen in Berlin, Washington und die EU-Kommission in Brüssel auf ein geheimes Fünf-Punkte-Programm des vorsätzlichen Wahnsinns verständigt:

Wahnsinn 1: Nie wieder sollte ein einziges privatwirtschaftliches Institut „too big, to fail“ sein. Barack Obama versprach im Januar 2010: „Never again will the American taxpayer be held hostage by a bank that is ‚too big to fail‘. “ Und nun? Der durch die amerikanischen Regionalbanken in Bedrängnis geratene Staat ermuntert seine großen Banken, noch größer zu werden.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama (r) wird von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Bundeskanzleramt verabschiedet.
Der ehemalige US-Präsident Barack Obama (r) wird von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Bundeskanzleramt verabschiedet. Bildquelle: Michael Kappeler/dpa

JP Morgan hat die First Republic Bank für rund elf Milliarden Dollar übernommen und konnte damit Kundenstamm, Bilanzsumme und Börsenwert enorm steigern. Nie war ein privates Geldhaus mächtiger als JP Morgan. In der Schweiz, wo die UBS die angeschlagene Credit Suisse retten sollte und damit ebenfalls ihre Marktdominanz entscheidend stärkte, beobachten wir dasselbe Spiel. Die UBS wurde dadurch zur drittgrößten Bank der westlichen Welt. Ein The-Winner-Takes-It-All-System entsteht.

Wahnsinn 2: Die von steigenden Zinsen normalerweise ausgehenden Wirkungen – eine vorsichtigere Kreditvergabe und die durchaus gewollte Kontraktion der Volkswirtschaft – werden gezielt unterlaufen. Der Finanzgigant Blackstone, eine Private-Equity-Gruppe mit einer Marktkapitalisierung von 100 Milliarden US-Dollar, wird von der Notenbank der USA aufgefordert, den notleidenden Regionalbanken Liquidität in Form neuer Kreditlinien zur Verfügung zu stellen.

Der CEO von Blackstone, John Gray, ist laut einem Bericht der „Financial Times“ in Gesprächen mit den großen regionalen US-Banken, um ihnen zusätzliche Mittel zur Kreditvergabe zu verabreichen. Damit werden die Risiken nicht, wie nach der großen Finanzkrise beabsichtigt, breit gestreut, sondern sie werden in den Händen weniger Menschen gebündelt.

Die neue Normalität

Wahnsinn 3: Der Staat ändert die Spielregeln für die Banken so, wie es ihm passt. Und im Moment passt es ihm, dass in den Bilanzen auch wertlos gewordene Vermögenswerte zu Fantasiepreisen in den Büchern stehen dürfen. Banken müssen Verluste aus Anleihen rechtlich gesehen nicht mehr abschreiben, wenn sie bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden.

Diese Verluste kommen erst zum Vorschein, wenn die festverzinslichen Wertpapiere vorzeitig verkauft werden müssen. Ansonsten aber können die Banken, trotz objektiv gesunkener Vermögenswerte und damit auch geschrumpfter Eigenkapitalmittel, auf dieser verschmälerten Basis weiterhin ihre Kreditgeschäfte betreiben. Das wäre vor wenigen Tagen noch Bilanzbetrug gewesen. Jetzt ist es die neue Normalität.

Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission.
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission. Bildquelle: Philipp von Ditfurth/dpa

Wahnsinn 4: Die im Stabilitäts- und Wachstumspakt verbindlich festgeschriebenen Schuldenquoten für die Euro-Staaten sollen nicht länger verbindlich sein. Die EU-Kommission hat Vorschläge für individuelle Fiskalregeln – und das heißt eine weiterhin großzügige Schuldenaufnahme – unterbreitet, die von der Mehrzahl der Schuldenstaaten freudig, um nicht zu sagen begierig, aufgenommen wurden.

Das bei der Euro-Einführung von Helmut Kohl und seinem Finanzminister Theo Waigel gegebene Versprechen, „der Euro wird so stark wie die D-Mark“, haben die Nachfolger stillschweigend kassiert. Der Euro hat gegenüber dem Dollar seit seinem Höchststand am 15. Juli 2008 rund 33 Prozent seines Wertes verloren.

Wann werden die Politiker aufwachen?

Wahnsinn 5: Auf der anderen Seite des Atlantik das gleiche Spiel: Kongressabgeordnete auf Capitol Hill wollen erneut die in der Verfassung festgelegte Schuldengrenze für den Staatshaushalt der USA anheben. Die Schuldenobergrenze wurde erstmals 1917 mit dem „Second Liberty Bond Act“ eingeführt und auf 11,5 Milliarden US-Dollar taxiert.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben der Kongress und der Präsident die Schuldenobergrenze mehr als 100 Mal erhöht – zuletzt im Dezember 2021 um 2,5 Billionen US-Dollar auf 31,4 Billionen US-Dollar.

Jetzt kämpfen Joe Biden und seine Finanzministerin Janet Yellen erneut mit allerlei apokalyptischen Drohungen darum, die Schuldengrenze anheben zu dürfen, um nur ja nicht sparen zu müssen. Bei einem Treffen der G7-Finanzminister und Zentralbanker in Japan betonte sie gestern: “Ein Zahlungsausfall würde die Errungenschaften gefährden, die wir in den letzten Jahren bei der Erholung von der Pandemie so hart erarbeitet haben. Und er würde einen globalen Abschwung auslösen.“

Der „Economist“ widmet dieser Unvernunft in seiner amerikanischen Ausgabe diese Woche die Titelgeschichte („Fiscal Fantasyland – When will politicians wake up?“) und ermahnt die Regierung in Washington zur Wahrhaftigkeit: „Politicians need to get real, fast. Public debts are in danger of becoming unmanageable.“

Fazit: Der Schriftsteller Johann Gottfried von Herder hat gesagt: „Wer der Vernunft dient, kommt der Notwendigkeit zuvor.“ Aber die Staats- und Regierungschefs wollen jetzt nicht der Vernunft dienen, sondern der Augenblicksgier ihrer zu groß geratenen Staatsapparate. Die nächste Weltfinanzkrise ist die bestprognostizierbarste der Weltgeschichte.

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