Ulrich Reitz

Das grüne Amigo-System ist viel größer, als Sie für möglich halten

10.05.2023
Lesedauer: 6 Minuten
Graichen (l.) und Habeck vor der Bundespressekonferenz Quelle: IMAGO/Political-Moments

Habeck gerät immer stärker unter Druck, Patrick Graichen sei Dank. Und hier sind die nächsten Details aus dem mächtigen Klima-Netzwerk der Grünen. 

Ablenkung, Reue, „Whataboutism“ – Robert Habeck und die Grünen versuchen allerhand, um die Affäre um ihren Staatssekretär Patrick Graichen zu entschärfen. So richtig gelingen will das nicht. Was vor allem an einem liegt: Den eigentlichen Sachverhalt aufzuklären, daran haben die Grünen kein Interesse. 

Hätten sie es, dann würde deutlich, dass alle wesentlichen Positionen in und außerhalb der Bundesregierung bei der Klimapolitik mit Grünen besetzt sind. Weiter würde offenbar, dass die Grünen daran lange gearbeitet haben, jahrzehntelang sogar. Sie haben ihr Ziel fast erreicht: Bei der Energiewende sollen andere gar nicht erst mitreden dürfen. Vor allem Menschen oder gar Wissenschaftler, die anderer Meinung sind. Die Grünen haben das Klimaprojekt monopolisiert.

Klimapolitik heute ist eine einzige grüne „Bubble“, in die andere möglichst keinen Zutritt haben

Das ist der eigentliche Grund, weshalb sie kein Unrechtsbewusstsein haben, wenn, wie schon bei der Gasumlage, etwas grundlegend schiefläuft. Auch dafür war Patrick Graichen verantwortlich, wie schon für die Trauzeugen-Personalie Schäfer – oder den Heizungs-Abteilungsleiter, den Habeck für ihn holte – ohne Ausschreibung. Klimapolitik heute, das ist eine einzige grüne „Bubble“, ein Öko-Blase, in die andere möglichst keinen Zutritt haben.  

Geholfen hat den Grünen aktuell jenes Netzwerk, das sie in Jahren aufgebaut haben. Und bei dem Stiftungen eine wesentliche Rolle spielen – amerikanische, aber auch deutsche. Der „Fehler“, den Patrick Graichen machte, als er einem Freund die Leitung der Deutschen Energieagentur Dena zuschanzen wollte, war nicht die Vetternwirtschaft. Der Fehler war, sich dabei erwischen zu lassen.  

Der Grundfehler des beamteten Staatssekretärs lag in der arroganten Annahme, damit komme er schon durch. Weil die anderen vom Klima- und Energiethema ohnehin keine Ahnung hätten – oder, wie zuletzt Jürgen Trittin, der Urvater der E-Wende, unverblümt behauptete, diese ohnehin hintertreiben wollten. Arroganz ist meistens das letzte, was vor dem Fall kommt.

Habeck versucht, durch demonstrierte Reue und in Aussicht gestellten Pragmatismus Druck aus dem Kessel zu nehmen

Robert Habeck gibt sich nun zerknirscht: „Es ist ein Fehler, es ist ein Fehler, es ist ein Fehler – Punkt“. Eine Basta-Selbstbezichtigung via Radio. Ergänzt durch zwei Aussagen: Er gebe Fehler gerne zu, und: Das hoch umstrittene Projekt Gebäude-Energiegesetz lasse sich womöglich zeitlich verschieben. Durch demonstrierte Reue und in Aussicht gestellten Pragmatismus Druck aus dem Kessel nehmen, das ist nun die Devise des Ministers in höchster Not. Habecks Problem: Kleiner dürfte seine Not eher nicht werden in der nächsten Zeit. 

An diesem Mittwoch muss Graichen in den Wirtschaftsausschuss des Bundestages. Und dort schiebt die Opposition jetzt schon einmal die Hürden hoch, zum Beispiel Tilman Kuban, der für die CDU in dem Parlaments-Gremium sitzt. Was er wissen will, klingt nicht gerade nachgiebig. Zu FOCUS online sagt Kuban: 

„Patrick Graichen muss aufklären: Zu welchem Zeitpunkt wusste er von der Bewerbung seines Trauzeugen? Und warum ist er dennoch in der Auswahlkommission geblieben? Wir wollen auch wissen, wie viele Beschäftigte neu im Ministerium eingestellt wurden, die zuvor beim Öko-Institut, Agora-Energiewende oder ähnlichen Institutionen beschäftigt waren.“ Damit nicht genug.

Die Grünen fangen an, ihren einstigen Hoffnungsträger zu verteidigen

Graichen hat auch versucht, am Haushaltsausschuss des Bundestags vorbei sich für das Ministerium Fachkräfte von der Dena auszuleihen, worüber das „Handelsblatt“ schrieb. Dazu Kuban: „Wieso fand die Dena-Personalausleihe hinter dem Rücken des Parlaments und ohne Ausschreibung statt?“ Graichen müsse den Transparenzansprüchen gerecht werden – „und reinen Tisch machen“. 

Tagelang hatte die Führung der Grünen zugeschaut, wie Habeck und Graichen sich im selbst gebuddelten Sumpf abstrampelten und dabei immer tiefer sanken. Nun fangen sie an, ihren einstigen Hoffnungsträger zu verteidigen. Und das nicht eben geschickt. Ricarda Lang sagte dies:  

„Wenn das jetzt aber am lautesten unter anderem von der CSU und Markus Söder kommt, der mit der Amigo-Affäre, der mit der Maskenaffäre Vetternwirtschaft zu so einer Art Arbeitsmodell gemacht hat, dann muss man auch ehrlich sagen, da ist der Vorwurf der Doppelmoral auch eher Projektion.“ 

Nun verhält es sich aber mit der „Projektion“ so, dass Söder, als in Bayern die „Amigo-Affäre“ den CSU-Vormann Max Streibl hinwegfegte, Markus Söder noch Mitglied der Jungen Union war und dem bayerischen Landtag noch nicht einmal angehörte. Und ob die „Maskenaffäre“ als Referenz für die Grünen zum Schutz der Grünen taugt, sollten die Grünen vielleicht noch einmal überdenken.

Ist die Maskenaffäre die Bezugsgröße, hat Patrick Graichen keine Chance mehr

Denn: Es setzte sofort nach Bekanntwerden der Bereicherungsaffären in Corona-Anfangszeiten ein Selbstreinigungsprozess ein. Maßgeblich betrieben vom nun angegriffenen Markus Söder. Manche wie der prominente Christsoziale Sauter hatten die Partei zu verlassen, andere wie der Abgeordnete Zech verloren ihr Bundestagsmandat. Ist die Maskenaffäre die Bezugsgröße, hat Patrick Graichen keine Chance mehr. Robert Habecks wichtigster Mann müsste gehen.

Und dann der zweite Parteivorsitzende, Omi Nouripour: „Wir reden nicht über systematische Netzwerke, wie wir sie kennen aus der Maskenaffäre, wie wir sie kennen aus der Moskau-Connection“, sagte der Grünen-Chef. Das mit den „systematischen Netzwerken“, über die Nouripour nicht reden will, ist gerade das interessante.

Denn: Das systematische Netzwerk der Grünen startete mit einem Ober-Netzwerker, einem der ausgefuchstesten Öko-Strippenzieher, den die Grünen haben. Durchsetzungsstark, kenntnisreich, ein Überzeugungsträger: Rainer Baake war schon Staatssekretär bei Joschka Fischer, als der Umweltminister in Hessen war. Bei Jürgen Trittin, als der der erste grüne Bundesumweltminister war und den Atomausstieg klarmachte. Und dann auch noch bei dem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Davor war er bei der Deutschen Umwelthilfe, die man aus dem Dieselskandal kennt. Und bei der Agora-Energiewende, wo Patrick Graichen als dessen Nachfolger diente.

Von Baake lernte Graichen das machiavellistische Handwerk

Graichen ging bei Baake in die Schule, sozusagen. Von Baake lernte Graichen das machiaviallistische Handwerk, wie man als Grenzgänger zwischen Öko-Lobby und deutschem Staatsapparat die maximale Wirkung entfaltet. Baake, der personifizierte „Marsch durch die Institutionen“ der 68er, leitet heute die „Stiftung Klimaneutralität“, und in deren Beirat sitzt ein Mann, den die „Zeit“ einmal „den mächtigsten Grünen der Welt“ nannte: Hal Harvey. Der verteilt auch in Europa amerikanisches Stiftungsgeld höchst wirksam. 

Harvey war Mitgründer der Agora, und auf der anderen Seite zog ein bulliger Mann die strippen, der die betuliche deutsche Stiftungslandschaft komplett ummodelte. Bernhard Lorentz wollte als Stiftungschef nicht nur das Geld seiner philantropischen Gönner verteilen, sondern: handfest und knallhart Politik machen.

Die Grünen haben ein Öko-Amigo-System aufgebaut

Mit Hilfe der Mercator-Stiftung aus Essen gründete er die Agora – und das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, in dem Professor Otmar Edenhofer öffentlichkeitswirksam arbeitet. Hinter der Mercator-Stiftung steht die eher scheue Familie Schmidt-Ruthenbeck, die 15,7 Prozent an der Metro besitzt. 

Zu den Paradoxien der Energie- oder Klimawende zählt mithin, dass sie mit Geldern aus der amerikanischen und deutschen Industrie gefördert wird. Bernhard Lorentz arbeitet nach seinem Ausscheiden bei der Mercator-Stiftung als Leiter der Nachhaltigkeitsabteilung bei Deloitte. Deloitte ist die umsatzstärkste Management-Beratung der Welt. 

Die Grünen haben ein Öko-Amigo-System aufgebaut, mit dem verglichen die CSU-Amigos von dereinst ausschauen wie ein Kleingartenverein. 

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