Christian Böhm

Causa Graichen: Jetzt steht Habecks Integrität auf dem Spiel

03.05.2023
Lesedauer: 6 Minuten
Graichen (l.) und Habeck vor der Bundespressekonferenz Bild: IMAGO/Political-Moments

In der Politik ist es nicht ungewöhnlich, Vertraute um sich zu scharen. Auch die Wahlverwandtschaften an der Spitze eines Ministeriums sind nicht illegal. Die Besetzung eines Chefpostens mit dem Trauzeugen des Staatssekretärs aber kann für Wirtschaftsminister Habeck nun zum Bumerang werden.

Glanz oder gar Glamour ist nichts, was einem beim Stichwort „Beamteter Staatssekretär“ als erstes einfällt. Dabei ist der Job mit 15.000 Euro monatlich plus Ministerialzulage durchaus ordentlich besoldet. Hinzu kommen eine gewisse Machtfülle und Entscheidungsbefugnis.

Gleichwohl sind es für gewöhnlich die Minister, die als Köpfe der Bundesregierung in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Bei Patrick Graichen ist das anders. Er ist Staatssekretär unter Robert Habeck, doch mittlerweile bekannter als so manches Kabinettsmitglied.

Das liegt daran, dass er für seinen Boss nicht nur dessen heißes Eisen Klima-, Energie- und Heizwende schmieden muss, sondern ihm im laufenden Betrieb nun ein Malheur unterlaufen ist, das selbst Habeck in einem Interview mit dem „RND“ als „Fehler“ bezeichnen musste. „Da beißt die Maus keinen Faden ab.“

Graichen fand seinen Trauzeugen am Besten

Graichen hatte Habeck Anfang letzter Woche darüber in Kenntnis gesetzt, dass der designierte neue Geschäftsführer der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur, Michael Schäfer, sein Trauzeuge war. Graichen war Mitglied der Findungskommission zur Neubesetzung des Postens.

Dieses Verfahren soll nun überprüft und gegebenenfalls neu aufgesetzt werden. Graichen bedauerte am Freitag sein Vorgehen und sprach wie Habeck von einem Fehler. Kann ja mal passieren – unter 18 möglichen Kandidaten ausgerechnet den Trauzeugen auszuwählen.

Habeck jedenfalls hat seinem Edel-Helfer bereits verziehen und ihm einen wahren Candy-Storm zuteilwerden lassen: „Patrick Graichen ist meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat.“ Er habe die Kohlekraftwerke ans Netz gebracht, die letzten Atomkraftwerke länger laufen lassen und die Flüssiggasspeicher wieder in eine gesetzliche Norm gebracht.

Also, Schwamm drüber?

Familiäre Verflechtungen an der Spitze des Bundeswirtschaftsministeriums

Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, will die Causa Graichen nicht so einfach stehen lassen. „Ich kommentiere Vorwürfe zu persönlichem Fehlverhalten nur, wenn es sich um Fakten handelt, denn Tendenzberichterstattung kann unbegründet Menschen und ihrem Ansehen schaden“, betont er. Deshalb habe er sich zur Berichterstattung um die familiären Verflechtungen zwischen der Leitungsebene des Wirtschaftsministeriums und beauftragten Instituten bisher nicht geäußert.

Familiäre Verflechtungen wichtiger Mitarbeiter Habecks hatten bereits zuvor für Kritik gesorgt – mit Graichen im Zentrum. Dessen Schwester Verena arbeitet bei der Naturschutzorganisation BUND und, wie auch ein weiterer Bruder, beim Öko-Institut. Verena Graichen ist wiederum verheiratet mit dem parlamentarischen Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne). Das Ministerium hatte erklärt, dass Vorkehrungen zur Verhinderung von Interessenkonflikten getroffen worden seien.

https://twitter.com/berlindirekt/status/1652739440106967040?s=20

„Das ändert sich aber, denn in der Empfehlung des eigenen Trauzeugen für eine Führungsposition liegt eine Grenzüberschreitung, die jedes Fingerspitzengefühl vermissen lässt“, stellt FDP-Mann Kruse klar. „Wenn es stimmt, dass Patrick Graichen in einer Vorauswahl seinen Trauzeugen empfohlen hat, dann ist das Maß überschritten.“

„Habeck muss diesen Sachverhalt schnell aufklären“

Denn: „Staatssekretäre müssen über jeden Verdacht der Vorteilsannahme erhaben sein. Robert Habeck muss diesen Sachverhalt schnell aufklären und erläutern, wie er verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen will.“

CDU-Generalsekretär Mario Czaja forderte sogar personelle Konsequenzen. Habeck müsse Verantwortung zeigen und seinen Staatssekretär Graichen entlassen, sagte Czaja der „Bild“.

Mit Blick auf Habeck kritisierte er in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“: „Er hat sich immer mehr eingeigelt im Kreise von denen, die sein Parteibuch haben, aber vor allem auch im Verwandtschaftsverhältnis mit seinen Staatssekretären stehen.“ Habeck sei nicht Vorsitzender der Grünen, „sondern er ist der Wirtschaftsminister der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und so muss er sich auch in diesem Ministerium verhalten“.

„Das zerstört Akzeptanz, anstatt sie zu schaffen“

Auch die Kommentatoren sehen die Personalpolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) kritisch:

  • Der Vertrauensbruch wiegt umso schwerer, als dass Graichen und Habeck mit der Energiewende und dem Heizungstauschgesetz gerade tief in das Leben der Menschen eingreifen. Von den Bürgern Opfer verlangen und zugleich den Eindruck erwecken, Macht und Posten zum eigenen Vorteil zu nutzen: Das ist eine toxische Mischung. Das zerstört Akzeptanz, anstatt sie zu schaffen. Das verstärkt das Gefühl vieler von „die da oben und wir hier unten“. (Neue Osnabrücker Zeitung)
  • Neuer Vorwurf: Staatssekretär Michael Graichen habe gerade seinen Trauzeugen an der Spitze der Energie-Agentur Dena untergebracht. Graichen habe ein regelrechtes Familienministerium eingerichtet, kritisiert die Union, andere Teile der Opposition sprechen gar von „Clan-Strukturen“. Diese Vorwürfe gilt es aufzuklären – mit allen Konsequenzen. Wer den Verdacht in Kauf nimmt, Vetternwirtschaft zu betreiben und mit Kalkül Posten zu besetzen, die die eigene Legislaturperiode überdauern, schadet der Demokratie, stärkt die politischen Ränder und fördert massiv die Politikverdrossenheit. (Frankenpost)
  • Es ist zunächst zu klären, wie es dazu kommen konnte, also wie die jeweiligen Personen überhaupt ausgewählt wurden. Und in welchen Konstellationen sie jetzt bei Entscheidungen und Beauftragungen zusammenwirken. Ob der heutige Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen, der das Zentrum dieses familiären Grün-Geflechts bildet, im Amt bleiben kann, ist Stand jetzt fraglich. Seine Glaubwürdigkeit ist schon jetzt beschädigt. Ebenso wie die seines Ministers Robert Habeck, der all dies hat lange wuchern lassen. Im Gegensatz zum durchgestochenen Heizungswende-Gesetz, bei dem der Minister die Schuld für Kommunikationspannen von sich weist, kann er hier nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Für diesen Filz ist er ganz allein selbst verantwortlich. (Allgemeine Zeitung, Mainz)

Glaubwürdigkeit und Integrität Habecks stehen auf dem Spiel

Die Grünen, insbesondere Habeck und die seinen, verlangen den Bürgern in der Tat viel ab. Entsprechend hoch sind die Ansprüche, die diese an die Partei stellen. Und umso verheerender ist die Wirkung dieser Personalentscheidung zugunsten eines Trauzeugen und, man darf annehmen, sehr guten Freundes.

Dabei sind es sonst immer die Grünen, die als Erste auf die politischen Wettbewerber zeigen, wird dort auch nur der Hauch von Vetternwirtschaft ruchbar. An dem ist nichts auszusetzen. Im Gegenteil.

Gleichwohl gilt auch für den früheren Grünen-Chef und heutigen Vizekanzler Habeck einen Fehler als solchen nicht nur zu benennen, sondern ganz konkret für Aufklärung zu sorgen. Dazu gehört auch, das kritisierte Auswahlverfahren transparent zu machen.

War Schäfer wirklich der beste Kandidat für den Geschäftsführerposten? Wenn nicht – wieso wurde er trotzdem auserkoren?

Die Verwandtschaftsverhältnisse an der Spitze des BMWK sind nicht illegal, wenn auch ziemlich ungewöhnlich. Was aber die Postenvergabe betrifft, kann Habeck die Sache nicht einfach laufen lassen, bis sich womöglich niemand mehr daran erinnert. Seine Glaubwürdigkeit und Integrität stehen nun auf dem Spiel. Er muss jetzt handeln.

Verkennt Habeck den Ernst der Lage, bleibt womöglich immer ein Geschmäckle an ihm haften. Das riechen auch die Wähler.

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