Ulrich Reitz

Scholz und Baerbock erleiden mit ihrer Moralpolitik die dritte Pleite

18.04.2023
Lesedauer: 6 Minuten
Harmonie pur? Eher das Gegenteil beim Kanzler und seiner fürs Auswärtige zuständigen Ministerin Foto: IMAGO/photothek

Der schweizerische Bundespräsident Alain Berset besuchte den deutschen Bundeskanzler und es ereignete sich Bemerkenswertes: Ein Rückschlag für die wertegebundene Außenpolitik, der sich die Bundesregierung verpflichtet fühlt. Es war schon der der dritte. Innerhalb von nur einer Woche.

Unmittelbar vor Bersets Besuch hatten deutsche Spitzenpolitiker aus den Ampelparteien noch versucht, die Schweiz moralisch unter Druck zu setzen. Es waren jene wie die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, die immer wieder auch den Kanzler wegen deutscher Waffenlieferungen öffentlich getrieben hatten. Sie argumentierten, im Ukraine-Krieg könne man nicht neutral bleiben. Und beide drohten via Presse, keine Rüstungsaufträge mehr in die Schweiz zu vergeben. Genutzt hat es freilich nicht.

Dies war und ist die Berliner Hoffnung, Scholz formulierte sie im Beisein seines Gasts Berset: Deutschland bricht mit seiner „Zeitenwende“ mit einem Dogma, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Und so wie Deutschland mit einem seiner vordem ehernen Grundsätze brechen könne, könnten dies doch auch andere Staaten.

Waffenlieferungen: An der Schweiz beißt sich Scholz die Zähne aus

Die Schweiz aber tut das nicht. Sie hält an ihrem Neutralitäts-Dogma fest – und liefert keine Waffen an die Ukraine, auch nicht indirekt. Scholz biss sich an der Schweiz die Zähne aus. 

Der Schweizer Berset, ein Sozialdemokrat, teilte dies dem „lieben Olaf“ heute Mittag auch unverblümt mit. Die Schweiz halte an ihrer Neutralität fest, das sei eine Frage auch ihrer internationalen Glaubwürdigkeit – und bedeute auch nicht „Gleichgültigkeit“. Was es indes bedeutet, ist, dass die Schweiz „keine Seite“ militärisch unterstützt. 

Hinter dieser Formulierung des Präsidenten verbirgt sich diese schweizerische Auslegung der Neutralität: Entschied Bern, der Ukraine Waffen zu liefern, dürfe dies auch Russland nicht verweigert werden. Kritiker in der Schweiz halten dem entgegen, das Völkerrecht habe sich inzwischen weiterentwickelt. Während Anfang des vergangenen Jahrhunderts Krieg noch die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln war, sei Krieg inzwischen geächtet, mit harten Folgen: Einem Überfallenen dürfe man bei dessen Selbstverteidigung mit Waffenlieferungen helfen, ohne selbst Kriegspartei zu sein.

Bundespräsident der Schweiz in Berlin
Kay Nietfeld/dpa

China, Brasilien, Schweiz: Die anderen wollen halt nicht so, wie Deutschland will

Jedenfalls: Rechnet man den vergeblichen Versuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, China auf die Positionen des Westens im Ukraine-Krieg zu ziehen, den Versuch des Bundeskanzlers und seines Wirtschaftsministers Robert Habeck, das gleiche in Brasilien zu erreichen, mit dem heutigen Schweiz-Flop von Scholz zusammen, dann kommt ein Dreifach-Wumms zusammen. 

Die anderen wollen halt nicht so, wie Deutschland will. Nicht China, nicht Brasilien, nicht die Schweiz. Die wertebasierte, idealistische Hoffnung, ein deutsches Vorbild könnte andere Länder gleichfalls zu einer „Zeitenwende“ veranlassen, ist nun in drei Fällen innerhalb von gerade einmal einer Woche gescheitert. 

Die Chinesen verbitten sich eine Einmischung in ihre Angelegenheiten und wollen von einem deutschen „Lehrmeister“ keine Lektionen über Taiwan und die Menschenrechte hören.

Die Brasilianer nehmen von den Deutschen gerne 200 Millionen, um den Regenwald zu retten, um ihn dann umso stärker abzuholzen. Und im Ukraine-Krieg vertritt der linke Lula da Silva unverhohlen russlandfreundliche Positionen – und fordert einseitig Amerikaner und Europäer zum Frieden auf. So hatten sich vor allem Rote und Grüne den Wechsel vom rechten Bolsonaro auf den linken – und damit ideologisch befreundeten – Lula wirklich nicht vorgestellt. Und die die Schweizer bleiben eben, was sie immer waren: politisch neutral.

Fast sieht es so aus, als sei die Werte-Außenpolitik auf dem Holzweg

Alle drei Länder folgen ihren Interessen, und nicht Moralvorstellungen, wie sie Deutschland mit seiner Ampelregierung lautstark öffentlich vertritt. Es ist zwar nicht klar, ob die „stille Diplomatie“ im Umgang mit unliebsamen Ländern früher besser funktionierte, aber der öffentlich ausgetragene Konflikt hilft jedenfalls, das zeigen die drei Beispiele, auch nicht weiter.

Auf eine Kurzformel gebracht: Nationale Interessen schlagen übernationale Werte. Fast sieht es so aus, als sei die Werte-Außenpolitik auf dem Holzweg. Vielleicht ist sie auch ein Holzweg. 

Schon vor einem Jahr sprach Annalena Baerbock einen so großen wie schillernden Satz aus. Die grüne Bundesaußenministerin eröffnete die Diskussion um eine nationale Sicherheitsstrategie für die Bundesrepublik und sagte dann dies: „Bei Fragen von Krieg und Frieden, bei Fragen von Recht und Unrecht kann kein Land, auch nicht Deutschland, neutral sein.“

Woher kommt diese Gewissheit, auch anderen Ländern ihre Politik vorschreiben zu können?

Weshalb sollte Deutschland festlegen können, dass in Fragen von Krieg und Frieden „kein Land“ neutral bleiben kann? Woher kommt diese Gewissheit, auch anderen Ländern ihre Politik vorschreiben zu können? Man kann studieren, dass andere Länder jene „Ordnung des Rechts“, auf die sich Baerbock beruft, völkerrechtlich anders auslegen. 

Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die Schweiz das anders sieht. Und pikanterweise vertreten die Schweizer Grünen in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine die gegenteilige Ansicht zu ihren deutschen Parteifreunden. Überhaupt wird über die Neutralität des Landes und mehr noch darüber, wie dieses Dogma zu verstehen sei, in der Schweiz heftig diskutiert.  

Die konservative Schweizer Volkspartei SVP will sie sogar mittels Volksabstimmung noch einmal verschärfen. Damit dürfte sich die Schweiz nicht einmal mehr an Sanktionen beteiligen, was sie gerade gegen Russland tut. Und der Gast von Olaf Scholz, Alain Berset, hatte in der aufgewühlten Debatte um Schweizer Waffenlieferungen erst unlängst im Stil von Wagenknecht, Schwarzer und Co. vor einem „Kriegsrausch“ gewarnt.

Neutralität als Schutz für bisweilen schmutzige Geschäfte?

In ihrem gemeinsamen Auftritt zählte Scholz allerhand Gemeinsamkeiten auf zwischen der Schweiz und Deutschland. Etwa die vielen persönlichen Beziehungen – allein rund um den Bodensee pendeln täglich 60.000 Menschen zwischen der Schweiz und Deutschland. Scholz hob auch hervor, die Schweiz trage die vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen mit. 

Dass erst unlängst die Schweizer Regierung ihre Mitarbeit an einem internationalen Projekt versagte, um die Milliarden russischer Oligarchen im Land dingfest zu machen, ließen Scholz und Berset diplomatisch unter den Tisch fallen. Die Regierung in Bern begründete das mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten, dem Datenschutz etwa, die in der Schweiz seit jeher einen hohen Rang hätten. 

Die Neutralität dient seit dem Wiener Kongress von 1815 ihrem Schutz. Heute wird in der Schweiz gestritten, ob die Schweiz überhaupt gefährdet ist und falls ja, ob sie sich überhaupt allein schützen kann. Die Schweiz ist von Nato-Ländern umgeben. Von Links wird häufig der Vorwurf erhoben, die politische Neutralität diene heute vor allem als Schutz für bisweilen sogar schmutzige Geschäfte.

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