Nun prangert auch Stefan Aust das politische Versagen beim Thema Masseneinwanderung an. Armin Mohler mahnte schon vor mehr als dreißig Jahren, den Anfängen dieser Entwicklung zu wehren. Applaus gebührt nur denen, die schon ihre Stimme erhoben, als noch Zeit war, das Desaster abzuwenden. Ein Kommentar von Karlheinz Weißmann.
Am Donnerstag schrieb der Journalist Stefan Aust in der Welt: „Und wenn jeder Migrant hierzulande de facto ein sozial abgefedertes Bleiberecht bekommt, sobald er das Wort ‘Asyl’ nennt“, muß über dessen Basis neu nachgedacht werden. Jedenfalls „führt kein Weg daran vorbei, das gesamte gegenwärtige Asylrecht zu überdenken. Wenn jeder Bürger eines Staates, dessen System unseren demokratischen Kriterien nicht entspricht, prinzipiell einen Asylanspruch für sich reklamieren kann, ist der Sinn des Asylparagraphen durch die schiere Menge der Asylsuchenden ausgehebelt. Man kann Gesetze auch durch Überstrapazierung im Kern zerstören. Die Höchstgrenze dürfte längst erreicht sein.“
Am 30. Oktober 1992 schrieb Armin Mohler in der Welt: „Der Streit um die Asylanten ist ein Musterbeispiel dafür, wie bundesrepublikanische Rezepte, die sich unter der Glasglocke des Bonner Staates bewährten, im Ernstfall zum Rohrkrepierer werden können. Die Bundesrepublik hat vier Jahrzehnte lang als ‘Insel der Seligen’ (Arnulf Baring dixit) geblüht. Wo die Seligen sind, ist die Hybris nahe. Mit dem Grundgesetz wollte man das Glück im Winkel auf ewig zementieren. Ein Beispiel ist der Asyl-Paragraph.“
Er war eine schöne Geste, als er ins Grundgesetz aufgenommen wurde, denn wer sollte schon im kriegszerstörten, zerstückelten Deutschland um Zuflucht suchen. Aber seither hat sich die Lage dramatisch verändert, und in „dieser Situation ist es ein unerträgliches Schauspiel, wie ein Schwall moralistischer Phrasen, welche ihre Produzenten zu nichts verpflichtet und sie nichts kostet, die in der Ernstfall-Situation unausweichliche Frage zu blockieren sucht. Wir meinen die Frage, wo die Grenze zwischen dem politisch noch Möglichen und dem völlig Unmöglichen verläuft“, führte Mohler damals aus.
Beide Männer waren einst radikal links
In beiden Texten geht es um Masseneinwanderung, in beiden Fällen geht es um das deutsche Asylrecht, das jede Kontrolle derer, die hierherkommen, verhindert, in beiden Fällen geht es um das Versagen der Politischen Klasse, die sich mit ihrer Hypermoral eingerichtet hat und offenbar nicht willens oder nicht fähig oder nicht willens und nicht fähig ist, der Entwicklung zu steuern, obwohl die katastrophalen Folgen der Migrationswellen für unser Land vor aller Augen stehen.
Zwischen beiden Texten liegen mehr als dreißig Jahre. Ein langer Zeitraum, in dem sich eine Entwicklung vollzog, deren destruktiven Charakter ein Stefan Aust heute zum Thema macht, den ein Armin Mohler aber schon unmittelbar nach der Wiedervereinigung erkannt hat. Wie ist das zu erklären? Aust kam ursprünglich von der radikalen Linken, durchlief einen Prozeß der Mäßigung, achtete aber darauf, zu vermeiden, was seiner Karriere schaden konnte.
Heute erlaubt er sich von Fall zu Fall den Luxus, wider den Stachel der Korrekten zu löcken und gibt „die Stimme der Vernunft“ im Hause Springer. Mohler kam ursprünglich von der radikalen Linken und hat eine echte Bekehrung erlebt. Wie ein roter Faden zieht sich durch seine Stellungnahmen der Nachkriegszeit die Warnung vor dem wachsenden Einfluß einer Weltanschauung, die die Realität nicht zur Kenntnis nehmen will, und vor einem Establishment, das für seine guten Absichten belohnt werden will. Deshalb wurde er zuerst an den Rand des akzeptierten Meinungsspektrums gedrängt und dann darüber hinaus.
Aust gebührt kein Applaus
Ein Schicksal, das Mohler mit vielen konservativen oder rechten Intellektuellen der vergangenen Jahrzehnte teilte. Gemeint sind jene, die immer vor den Folgen eines Endsiegs der Linken im Kulturkrieg gewarnt haben: der Zersetzung aller Maßstäbe, der Demontage des Leistungsprinzips und der Wehrbereitschaft, dem demographischen Niedergang im Namen der „Selbstverwirklichung“, dem Zwangsutopia der multikulturellen Gesellschaft, dem Kapern des Bildungssystems und der Medien durch Politsektierer, dem nationalen Selbsthaß, dem Ausbau der Vergangenheitsbewältigung zur Zivilreligion, der Geiselhaft und dem Stockholmsyndrom der Mitte und der Aushöhlung der staatlichen Institutionen.
Mohlers Entschlossenheit, den Anfängen zu wehren, hat sich weder biographisch noch finanziell gelohnt. Austs Vorsicht schon; er witterte Ungemach, verweigerte den Schulterschluß und hielt sich fern. Das mindert den Wert seiner späten Einsicht. Applaus gebührt ihm jedenfalls keiner. Anerkennung, wenigstens die nachträgliche, sollten wir denen zollen, die ihre Stimme erhoben, als noch Zeit war, den Abmarsch ins Desaster aufzuhalten.