Zehn Jahre nach ihrer Gründung nützt der AfD die Ausgrenzung innerhalb der deutschen Parteienlandschaft weiterhin, weil sie zum politischen Diskurs erst gar nicht mehr gezwungen wird.
Die Frage, warum sich in Deutschland die AfD so radikalisiert hat, wird in diesem Frühjahr zum zehnten Jahrestag ihrer Gründung in deutschen Medien gestellt, aber kaum selbstkritisch. Dagegen fliesst ein breiter Strom der Verachtung. Wo einst Franz Josef Strauss für die deutsche Parteienlandschaft konstatierte, dass es rechts der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, heisst das jetzt im Umkehrschluss: Jeder Gruppierung, die sich rechts der bayrischen Staatspartei positioniert, wird die demokratische Legitimation abgesprochen.
Entsprechend wird die AfD seither behandelt. Als eine Partei, der jegliche Mitwirkung versagt wird. Das bekam schon Bernd Lucke zu spüren, als er eine Euro-kritische Professorenschar versammelte, um eine Alternative zu der nach links gerückten CDU unter Angela Merkel zu positionieren. Obgleich langjähriges CDU-Mitglied, war der Ökonomieprofessor aus Hamburg fortan als verachtenswerter Rechtsabweichler gebrandmarkt.
Ähnlich ging es nach ihm der ostdeutschen Unternehmerin Frauke Petry, dem einstigen Industriepräsidenten Olaf Henkel oder auch dem Hochschullehrer Jörg Meuthen. Erst seitdem diese und andere führende Funktionäre ihrem hässlichen Kind enttäuscht den Rücken gekehrt und sich als Kronzeugen für dessen Radikalisierung zur Verfügung gestellt haben, werden sie nun als verirrte Rechtsliberale etwas milder beurteilt.
Das Narrativ der Inklusion gilt nur für die radikal Linke
Gleichwohl wird den Aussteigern zur Last gelegt, die schleichende Unterwanderung durch Deutschtümler, Islam-Hasser, verquere Wirrköpfe und hetzerische Selbstdarsteller nicht unterbunden zu haben. Möglich war dies allerdings, weil die liberalkonservativen Kräfte mit leeren Händen dastanden. Ein Björn Höcke, der seit 2015 mit dem Rechtsaussen-Flügel zunehmend an Einfluss gewinnt, konnte den Gemässigten stets entgegenhalten: Ihr könnt euch noch so um Anerkennung bemühen, ihr werdet stets als Faschisten diffamiert.
Tatsächlich hatten weder Lucke noch Meuthen erreicht, dass der AfD ein Mindestmass an Gremienteilhabe gewährt wurde. Selbst als stärkster Oppositionspartei wurde ihr ein Sitz im Präsidium des Parlaments ebenso verwehrt wie der staatliche Geldsegen für ihre Parteistiftung, was nun selbst das Bundesverfassungsgericht als diskriminierend gerügt hat. In Talkshows wurden ihre Vertreter erst als Faschisten in die braune Ecke gedrängt und dann gar nicht mehr eingeladen.
Nach links aussen, gegenüber den Postkommunisten, die sich heute Die Linke nennen, ist man da viel toleranter. Hier lebt das Narrativ der Inklusion, wonach selbst extreme Kräfte zurück auf den demokratischen Teppich gebracht und Nichtwähler wieder eingebunden werden müssen.
Was Strauss und seine Nachfolger in CSU und CDU anbelangt, hatten sie das Beispiel der Partei Die Republikaner im Fokus. Diese Konkurrenz von rechts wurde nach 1983 mit einer Mischung aus Dämonisierung, Ausgrenzung und Nichtbeachtung in die politische Bedeutungslosigkeit getrieben.
Bald auf Augenhöhe mit SPD und Grünen
Doch bei der AfD ging dieses Kalkül nicht auf. Ihre grösste Förderin war ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit ihrer Grenzöffnung und der postulierten Willkommenskultur ab 2015 hat die CDU-Vorsitzende der damals siechenden Gruppierung regelrecht eine Frischzellenkur verpasst. Seither hält sich die AfD stabil bei rund fünfzehn Prozent und ist damit bald auf Augenhöhe mit SPD und Grünen. In Ostdeutschland hat sie die SED-Erben als Volkspartei abgelöst. In jüngsten Umfragen überflügelt die AfD gar die Grünen.
Heute existiert die AfD nach dem Motto «Ist der Ruf erst ruiniert, provoziert sich’s ganz ungeniert». Die Ausgrenzung nützt ihr sogar, weil sie zum politischen Diskurs erst gar nicht mehr gezwungen wird. Kein Forum, keine Talkshow, in der ihre Funktionäre Rede und Antwort stehen müssen. Die Demaskierung, die sich insbesondere die selbsternannten Demokratiewächter von ARD, ZDF und Deutschlandfunk aufs Banner geschrieben haben, findet nicht statt. Und wenn, dann sind die Enthüllungen und Kommentare in so viel Wut getränkt, dass es der AfD leichtfällt, dies als Agitation statt Information zu beklagen, um sich als Opfer linker Medien zu gerieren. Die eigene Anhängerschaft hat das Vertrauen in die mit über acht Milliarden Euro an Pflichtgebühren versorgten öffentlichrechtlichen Medien ohnehin verloren. Sie versorgt sich lieber in der eigenen Blase bei Twitter, Facebook und Co.
Zuerst die Moral, dann die Herrschaft
Auch das trägt zur allseits beklagten Radikalisierung bei – und belegt die Sorge als Heuchelei. Gerade die politische Linke hat keinerlei Interesse daran, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie will nationalkonservative Wähler gar nicht zurück zur politischen Mitte zu führen. Denn dies würde ja nur der Union nützen. Stattdessen haben die ideologisch gefestigten Kräfte bei SPD, Grünen und Linkspartei bei Antonio Gramsci (1881–1937) gelernt, dass zunächst die moralische Deutungshoheit gewinnen muss, wer die politische Herrschaft erringen will.
Dafür ist die AfD sehr dienlich: Sie ist die Projektionsfläche des «Nie wieder!», dem sich die Bundesrepublik nach der Schande des «Dritten Reiches» verschrieben hat. Wer nationale Interessen einfordert, wie das in jedem anderen Land selbstverständlich ist, wird in Deutschland misstrauisch als Nationalist beäugt. Wer ein Grenzregime fordert, wie es die AfD in Übereinstimmung etwa mit Österreich, Italien oder gar Schweden tut, sieht sich mit den Nazi-Schergen auf den KZ-Rampen konfrontiert, die Menschen nach lebenswert und nicht lebenswert sortierten.
Kritik ohne Differenzierung
Was immer die AfD fordert oder unterstützt, ist latent faschistoid gebranndmarkt. Auch deshalb wird jede Debatte über eine pragmatische Migrationspolitik im Keim erstickt. Schlicht deshalb, weil Grüne, SPD und Linkspartei keine Begrenzung wollen und sich von einem möglichst hohen Anteil bedürftiger Migranten einen politischen Vorteil versprechen. Und sei es nur, weil eine steigende Armutsquote die Forderung nach antikapitalistischer Umverteilung oder immer neue Anti-rechts-Programme rechtfertigt.
Damit wird der AfD eine Deutungshoheit zugemessen, die man ihr sonst rigoros abspricht. Sie definiert nicht nur die Themen, die unsagbar sind. Kritiker etwa der nach wie vor ungesteuerten Zuwanderung werden von ihr in Misskredit gebracht. Das erklärt, warum sogenannte bürgerliche Medien wie «FAZ» oder «Welt» jedes Mass an Differenzierung fahren lassen, sobald es um die AfD geht: Mit ihrer radikalen Kritik stellen sie sich selbst das Zeugnis aus, mit dieser «Gefahr von rechts» nichts zu tun zu haben. Selbst dann nicht, wenn man punktuell ähnliche Positionen vertritt.
CDU und CSU haben das Nachsehen
Wirkliches Opfer dieser Strategie der Ausgrenzung sind CDU und CSU. Sie berauben sich nicht nur Themen, um wieder regierungsfähige Mehrheiten zu gewinnen, sondern auch eines möglichen Koalitionspartners. Stattdessen müssen sie selbst dann bei Grünen und SPD um Bündnisse betteln, wenn sie, wie jetzt in Berlin oder Frankfurt, stärkste Kraft geworden sind. Die Konservativen merken gar nicht, wie das politische Koordinatensystem ständig zu ihren Lasten nach links verschoben wird. Kaum hat die CDU gegen ihr langjähriges Mitglied Hans-Georg Maassen, immerhin einmal Präsident des Verfassungsschutzes, ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet, kommt schon die Forderung, die ganze Werte-Union auszuschliessen.
Den Christlichdemokraten fehlt indes das historische wie ideologische Bewusstsein, um die moralischen Fallen überhaupt zu erkennen, die ihnen die politische Linke stellt. Sie trinken den Kakao, durch den sie gezogen werden, auch noch brav aus. Aus purer Angst, in die Nähe der AfD gerückt zu werden, die einmal überwiegend aus enttäuschten CDU-Mitgliedern bestand. Den Schaden haben jedoch nicht nur die Christlichdemokraten. Schaden nimmt ein Land, in dem sich Unbehagen an der Politik zunehmend zu Demokratieverdrossenheit verklumpt. Die AfD freut’s. Sie wächst und macht eine rechte Radikalisierung salonfähig.
Wolfgang Bok ist freier Publizist und lehrt an der Hochschule Heilbronn strategische Kommunikation. Er war Chefredaktor der «Heilbronner Stimme».