Alan Posener

Lebt Robert Habeck in einer Traumwelt?

09.03.2023
Lesedauer: 7 Minuten
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in einer Fabrik für Windturbinen in Cuxhaven © Gregor Fischer/​Getty Images

Die Bundesregierung will also ab 2024 den Einbau neuer Öl- und Gasheizungen verbieten. Bloß: Das wird nicht funktionieren. Es braucht Hilfe, keine Verbote.

Es war eine heftige Woche. Endlich wurde die Solaranlage, die ich vor einem Jahr bestellt und angezahlt hatte, aufs Dach montiert. Die Chaostruppe, die das machte, hätte sich dabei fast umgebracht: „Wir sind ein ganz neues Unternehmen, und die Einweisung in den Schrägaufzug dauerte gerade mal fünf Minuten.“ Andere Handwerker mussten kommen, um die Paneele zu justieren und die Leitungen in den Keller zu legen, und der Elektriker, der den Speicher anschließen wollte, wurde krank. Nun hoffe ich, dass ich in einer Woche Solarstrom produzieren kann.

Die ebenfalls vor fast einem Jahr bestellte, angezahlte und – Wunder über Wunder – vor Monaten von der Umweltbehörde genehmigte Geothermie-Anlage lässt weiter auf sich warten, weil die Bohrfirma keine Termine frei hat. Und wenn sie noch in diesem Frühjahr kommen und die 80 Meter tiefen Löcher bohren, ohne sich und anderen zu schaden: Wer weiß, ob ich die bestellte Wärmepumpe noch zum damaligen Angebotspreis bekomme, und vor allem: wann. Urlaubsplanung? Vergiss es. Ich sitze zu Hause und warte auf die Handwerker.

Ist das Jammern auf hohem Niveau? Aber hallo. Ich friere nicht. Die Gasheizung funktioniert. Und nach wie vor kommt bei mir der Strom aus der Steckdose, auch dank Gas, Kohle, Braunkohle und Atom. Andererseits: In meinem Leben werden sich meine Ausgaben – insgesamt an die 50.000 Euro – nicht mehr amortisieren. Ich habe mir halt eine Lebensversicherung auszahlen lassen; noch muss ich dank Artikeln wie diesem nicht von der Rente leben, die ich eigentlich mit der Versicherung aufstocken wollte.

Die Mehrheit wohnt sanierungsbedürftig

Mir geht es also gut. Millionen Hausbesitzern aber geht es schlecht. Mein Nachbar braucht einen Kredit, um sein Haus fit für die Zukunft zu machen. Den günstigen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau bekommt er nicht, weil er im letzten Jahr der Rückzahlung Rentner wäre. Alte Leute sind ein Kreditrisiko. Dabei hat er wie ich ein Haus, das sich – Baujahr 2000, ordentlich gedämmt, Fußbodenheizung – für die Energiewende eignet. Freundinnen, die in einem Dorf in Brandenburg leben, wissen nicht, mit welchen Geldmitteln sie das alte Bauernhaus Haus dämmen wollen, damit sie die Ölheizung durch etwas Vernünftiges ersetzen können; und so wie ihnen geht es dem ganzen Dorf.

Da hören sie, dass Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck schon ab 2024 den Einbau neuer Öl- und Gasheizungen verbieten will. Viele überlegen sich, jetzt eine neue Öl- oder Gasheizung anzuschaffen, das kostet nur 5.000 Euro und hält bis zum anvisierten Verbot aller mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizungen im Jahr 2045. Und dann sehen wir weiter. Die Leute wollen mit erneuerbaren Energien und modernen Techniken heizen, aber sie brauchen Hilfen, nicht Verbote.

Um vom Anekdotischen wegzukommen: Gebäude in Deutschland werden je nach ihrem Energieeffizienzgrad in neun Klassen eingeteilt, von A+ bis H. Nur 13 Prozent aller Wohnungen haben die Klasse A+, A oder B. Selbst bei Neubauten sind es nur 71 Prozent! Hingegen haben 75 Prozent aller Immobilien hierzulande eine Energieklasse von D oder niedriger. Das heißt, dass dort ohne erhebliche Investition in die Substanz – Fassaden- und Fußbodendämmung, Dachmodernisierung und so weiter – die Umstellung auf eine Wärmepumpe schlicht nicht sinnvoll ist.

Sanierungskosten steigern die Mieten

Und weiter: Von den 43 Millionen Haushalten in Deutschland heizen 49,5 Prozent mit Gas. Weitere 24,8 Prozent mit Öl. Das heißt, Habecks Verbote treffen fast 75 Prozent aller Haushalte: gut 32 Millionen. Besitzt man ein Eigenheim, sieht man Ausgaben von mehreren Zehntausend Euro entgegen – wenn man wie ich Glück hat. Erheblich mehr wird es, wenn man wie meine Brandenburger Freundinnen in alten Häusern mit niedriger Energieeffizienz lebt. Wohnt man zur Miete, sollte man wissen, dass die Eigentümerin die Kosten auf die Miete umlegen wird, die viele schon jetzt als zu hoch empfinden. Bei den begehrten großen Altbauwohnungen in der Innenstadt mit hohen Decken, Dielenfußböden und nicht ganz dichten Fenstern, dürfte die energetische Sanierung besonders teuer werden.  

Wenn sich die Leute in Diskussionen über die Energiewende besonders eifrig für Verbote einsetzen, frage ich immer, wie sie wohnen und wie da geheizt wird. Fast alle sind Mieter, viele wissen nicht einmal so genau, woher die Wärme kommt. (Wie die Pressestelle der Bundesregierung, als ich fragte, womit das Schloss Meseberg geheizt wird, in dem die Regierungsklausur am Wochenende stattfand.) Wenn sie nicht das Glück haben, an die Fernwärme angeschlossen zu sein, müssen sie zwar mehr zahlen: ärgerlich genug. Dafür haben sie das gute Gewissen, das Gute zu wollen. Wie heißt es in der Kreditkartenwerbung? Unbezahlbar.

Den praktischen Ärger – unübersichtliche Angebote, überlastete Genehmigungsbehörden, hohe Kreditzinsen und unwillige Banken, fehlendes Material, nicht vorhandene oder schludrig arbeitende Handwerker – haben jedoch andere.

Ist es schon politisch ein Kamikaze-Unterfangen, mehr als 70 Prozent der Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen und Dinge von den Bürgern zu fordern, die weder finanziell noch praktisch zu erfüllen sind? Man fragt sich, in welcher Traumwelt Olaf Scholz lebt, wenn er nach der Regierungsklausur auf Schloss Meseberg angesichts des Fachkräftemangels verkündet, in den nächsten Jahren werde Deutschland „das Problem der Arbeitslosigkeit hinter sich lassen“. Am selben Tag wurde bekannt, dass seit 2011 jedes Jahr fast 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen; das sind sechs Prozent eines Jahrgangs. Keine Sorge, Herr Scholz, wir produzieren zwar kaum noch Solarpanels selbst, dafür unsere künftigen und gegenwärtigen Arbeitslosen. Es sind Menschen ohne Qualifikation, ohne Zukunft, ohne Aufstiegschancen.

Und während die Europäische Kommission und Teile der Bundesregierung die Automobilindustrie wider alle Vernunft zwingen wollen, auf eine einzige Technik zu setzen, nämlich den Elektroantrieb, und E-Fuels wie grüner Wasserstoff oder Biogas genauso in Acht und Bann schlagen wie Öl- und Gasheizungen, kommt die Meldung, dass Deutschland, bislang Stromselbstversorger, den eigenen Strombedarf bald nicht mehr decken kann. Der Beratungsagentur McKinsey zufolge droht bereits 2025 eine Lücke von vier Gigawatt, die bis 2030 auf 30 Gigawatt anwächst. Das entspreche „etwa 30 thermischen Großkraftwerken“. Viel Spaß also beim Betrieb der neu eingebauten Wärmepumpe und beim Tanken des Teslas. Und wenn Sie der Krankenwagen in 20 Jahren mit Ihrem Herzinfarkt nicht schnell genug in die Notaufnahme bringt, weil die Batterie alle ist: Bedanken Sie sich bei den Leuten, die den jetzigen Verkehrsminister als Gottseibeiuns hinstellen.

Fast niemand heizt aus Daffke klimaschädlich

Bis dann freilich wird eine Regierung, die dergestalt die Menschen kujoniert, längst abgewählt sein. Gewinner einer solchen Politik werden die radikalen Ränder sein – mit dem Ergebnis, dass künftig wieder „alternativlos“ eine sogenannte Große Koalition regiert. Wie in Berlin, wo die rot-grün-rote Koalition abgestraft und eine geschrumpfte SPD bald mit einer vor Kraft strotzenden CDU regiert, die im Wahlkampf vor populistischer, ja rassistischer Stimmungsmache nicht zurückscheute. Gut gemacht, Leute.

Was Deutschland braucht, sind nicht mehr Verbote und Verordnungen, sondern mehr Anreize und Hilfen. Niemand, fast niemand, heizt aus Daffke klimaschädlich, fährt aus Trotz mit Benzin oder Diesel, stellt aus Böswilligkeit keine Jugendlichen ohne Abschluss ein und so weiter. Jahrzehntelang hat sich der Staat darauf beschränkt, Leitplanken in Form von Verboten einerseits, Steuererleichterungen andererseits aufzustellen und ansonsten die Wirtschaft laufen zu lassen. Das mag gut ordoliberal gedacht worden sein; es reicht aber nicht. Der Staat muss aktiv werden und auf seine Bürger zugehen.

Quartiers- und Dorfprojekte zur Umsetzung der Energiewende wären wichtig, damit sich nicht jeder Bürger – wie ich – allein im Dschungel der Angebote, Genehmigungsverfahren, Förderanträge und praktischen Umsetzungsschwierigkeiten verkämpft. Aktivierende Sozialhilfe, die Hartz-IV-Karrieren durch Weiterbildung beendet, ist angesagt. Nicht das beschwichtigende Märchen von der Arbeitslosigkeit, die von selbst verschwindet. Technologieoffenheit bei Motoren und Kraftstoffen fördert den Wettbewerb, mit dem Ergebnis, dass Batterien und Wasserstoff billiger werden. Alle reden von der Klimakatastrophe, aber von einem Katastropheneinsatz ist nichts zu sehen.

Wenn Sie das in einer Mietwohnung lesen, mögen Sie mich für einen Alarmisten halten. Wenn Sie Hausbesitzer sind, werden Sie vermutlich denken, ich untertreibe. Stimmt. Ich untertreibe. Neulich saßen wir wieder in der Doppelkopfrunde zusammen, lauter Hausbesitzerinnen, allesamt (außer mir) Grünenwähler oder -sympathisantinnen. Alle (mich eingeschlossen) überzeugte Fahrradfahrer und Freunde grüner Energie. Niemand weinte der abgewählten Koalition in Berlin eine Träne nach. Wir brauchen nicht noch mehr stillgelegte Straßen wie die zum Symbol dieser Debatte avanciert Friedrichstraße in Berlin, die von November bis April nur trostlos aussehen, bloß um der Antiautolobby in der eigenen Klientel einen Gefallen zu tun. Wir brauchen Hilfe, um die Energiewende zu stemmen.

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