Gabor Steingart

Zentralbanken sind plötzlich im Goldrausch

07.02.2023
Lesedauer: 4 Minuten
Deshalb ist die Vollbremsung der Weltwirtschaft die Chance des Jahrhunderts Foto: FOCUS online/Wochit

Der Goldmarkt verrät uns die Gemütsverfassung der Weltwirtschaft. In diesen Tagen kletterte die Nachfrage nach Gold auf das höchste Level seit einer Dekade. Hier der tiefenpsychologische Befund, warum Gold gerade so gefragt ist.

1. Die Angst treibt die Goldnachfrage

Es sind vor allem die Zentralbanken , die am Weltmarkt als Käufer von physischem Gold auftauchen. „Seit 2010 waren Zentralbanken Nettokäufer von Gold, nachdem sie zwei Jahrzehnte lang Verkäufe getätigt haben“, sagt Krishan Gopaul , Chefanalyst beim World Gold Council.

Die Folge: Die jährliche Goldnachfrage stieg im vergangenen Jahr um 18 Prozent auf 4.741 Tonnen und erreichte damit den höchsten Stand seit 2011, was nach Angaben des World Gold Council auf ein 55-Jahres-Hoch bei den Zentralbankkäufen zurückzuführen ist. Allein im vierten Quartal 2022 beliefen sich die Goldkäufe der Zentralbanken auf 417 Tonnen und waren damit etwa zwölfmal so hoch wie im gleichen Quartal des Vorjahres. Damit hat sich die Gesamtmenge der Goldkäufe der Zentralbanken in 2022 gegenüber dem Vorjahr mit 1.136 Tonnen mehr als verdoppelt.

Der Grund: In Zeiten geostrategischer Unruhen, die in der Ukraine zum Krieg und in Taiwan womöglich zu einem ersten Schlagabtausch zwischen der alten Weltmacht USA und der neuen Weltmacht China führen könnten, scheint den Notenbank-Präsidenten der Goldbarren das probate Wertaufbewahrungsmittel . Zeiten von Krieg hinterlassen in der Währung eines Landes oft ähnlich heftige Spuren wie die Bomben an Brücken und Häusern; auch Inflation und Deflation können ein Gemeinwesen ruinieren.

2. Gold wird zum Symbol nationaler Unabhängigkeit

Die Entkopplung der westlichen Wertschöpfungsketten von der russischen und der chinesischen erfordert auch bei der Geldanlage eine Neuorientierung . Russland musste eben erst die Erfahrung machen, dass seine Dollarreserven eingefroren wurden . Damit bietet der Dollar für die Russen keine Sicherheit mehr. So kam Gold ins Spiel.

Auch die Chinesen , bei denen sich die Devisenreserven insgesamt auf über drei Billionen US-Dollar belaufen und die US-Staatsanleihen rund eine Billion Dollar ausmachen, ziehen ihre Schlossfolgerungen. Das bedeutet: Sie ziehen sich aus dem Dollar als Reservewährung zurück und kaufen Gold .

Der starke Preisanstieg der vergangenen zwei Monate – als der Goldpreis um rund 300 Dollar auf über 1900 Dollar je Feinunze anzog – ist eindeutig auch auf die chinesische Kaufoffensive zurückzuführen, bei der die Notenbank in Peking im November und Dezember etwa 62 Tonnen Gold erwarb. Man will Risiken balancieren und die Dollar-Abhängigkeit reduzieren.

3. Gold hilft gegen Euroschwäche

Die Geldflutungspolitik der EZB hat Spätfolgen, die sich einerseits in erhöhten Inflationsraten und andererseits im geschrumpften Vertrauenskapital bemerkbar machen. Bert Flossbach, von Deutschlands größtem Vermögensverwalter Flossbach von Storch, interpretierte die massiven Goldkäufe auch als Misstrauenserklärung gegenüber dem Euro . Er sagte in diesen Tagen im Handelsblatt:

„Gold ist eine Feuerversicherung gegen die Risiken und Unfälle des Finanz- und Währungssystems, etwa gegen eine Erosion des Euros. Gold ist immer dann stark, wenn Papierwährungen schwach sind. Es ist also kein Zufall, dass der Goldpreis in Euro im vergangenen Jahr deutlich gestiegen ist. “

4. Türkei will durch Goldkäufe zerstörtes Vertrauen wiederherstellen

Der Weltwährungsfonds geht davon aus, dass die meisten Goldkäufe von Notenbanken gar nicht gemeldet werden , weil die Aufkäufer kein Interesse daran haben, die Preise auf dem Weltmarkt zu treiben. Trotzdem haben die gemeldeten Goldkäufe ihr höchstes Niveau seit 1967 erreicht.

Die Türkei dagegen meldet gerne. Die Financial Times schreibt: Von den gemeldeten Käufen in 2022 ist die Türkei mit fast 400 Tonnen Gold der größte Käufer. Die Türkei meldet deshalb gerne, weil dieser angeschlagene Staat seinen Schuldnern wieder Vertrauen einflößen möchte . Die türkische Lira ist gegenüber dem Dollar in den vergangenen zwölf Monaten um knapp 29 Prozent gefallen und die Inflation beträgt derzeit 64,3 Prozent . Da wirkt eine Notenbank, die nicht nur die eigene, zunehmend wertlose Währung hält, sondern in Gold investiert , auf alle vertrauenseinflößend. Man hofft, durch die massiven Goldkäufe die Inflation und den Währungsverfall psychologisch stoppen zu können.

Fazit: Das gestiegene Interesse an Gold zeigt uns eine Welt, die an seelischer Zerrissenheit leidet. Die Welt macht Krieg und sehnt sich nach Frieden; sie zerstört Werte und träumt von Beständigkeit . Alle wollen Sieger sein und sind in Wahrheit schon froh, wenn sie ihre fragil gewordene Position halten können . Vielleicht ist Gold ja nur ein anderes Wort für Illusion.

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