Bald greift das Öl-Embargo gegen Russland. Unser Kolumnist analysiert, warum das eine neue Teuerungswelle auslöst.
Die guten Nachrichten sinkender Börsenpreise für Strom- und Gas werden leider bald getrübt. Der Grund: Die EU setzt im Wirtschaftskrieg zur Attacke gegen Wladimir Putins Ölkonzerne an.
Gegen Russland, den bis vor kurzem noch größten Öl- und Diesellieferanten der EU, werden gleich mehrere Sanktionen umgesetzt. Ab dem 5. Dezember verbietet die EU, russisches Öl über Tanker in die EU zu schiffen. Zeitgleich soll gemeinsam mit den G7-Staaten ein Ölpreis-Deckel in Kraft treten, um Russland teure Exporte an andere Länder zu vermiesen. Die deutsche Regierung geht noch weiter und will bis Jahresende auch auf russisches Öl aus Pipelines verzichten. Ab Februar gilt das Embargo dann auch für Ölprodukte wie Diesel, Benzin und Heizöl.
Wettbieten um knappes Öl treibt die Preise
Die EU ist trotz ambitionierter Klimaziele immer noch ein Öl-Junkie. Ohne Öl geht hier nicht viel. Öl ist Energieträger und Rohstoff zugleich. Ohne Öl stünde der Verkehr lahm, die Chemieproduktion würde gedrosselt, die wummernde Wirtschaftsmaschine stünde still. Die EU muss Öl also woanders einkaufen. Das Problem: Öl ist knapp. Die größten Ölförderer der Welt haben sich zu einem großen Kartell zusammengeschlossen, dem OPEC-Kartell. Sie stimmen die Fördermengen ab, damit der Preis auf dem Weltmarkt so hoch ist, dass es sich für alle Öl-Förderer lohnt. Wenn die EU ihr Öl woanders einkauft, ist das kein neues, zusätzliches Öl, sondern sie konkurriert mit anderen Abnehmern über die bisherigen Mengen – und treibt so die Preise in die Höhe. Für alle wohlgemerkt. Auch für arme Entwicklungsländer, die am Wirtschaftskrieg gar nicht beteiligt sind.
Die Abnehmer, denen Deutschland das Öl aus den USA, Saudi-Arabien oder Norwegen wegkauft, müssen am Ende doch bei Putin kaufen. Kein Öl ist schließlich auch keine Lösung. Und Russland immerhin der zweitgrößte Öl-Exporteur der Welt. Nur weil die EU also auf russisches Öl verzichtet, bleibt es nicht im Boden. Verkauft wird trotzdem, dann sogar zu höheren Weltmarktpreisen – sofern die Logistik klappt.
Tankerflotten als schwimmende Gelddruckmaschinen
Nicht nur das Öl selbst, auch der Transport wird teurer. Denn Russland hat das meiste Öl bisher über Pipelines in die EU gebracht, nicht über Tanker. Wenn die Pipelines nicht genutzt werden, braucht es weltweit mehr Tanker, die zudem längere Strecken zurücklegen müssen. Die Tanker sind aber ebenso knapp wie das Öl selbst und werden deshalb teuer. Die Aktienkurse der großen Reedereien haben sich bereits vervielfacht. Deren Geschäft wird dank der Sanktionen zur Gelddruckmaschine.
Verhindern will das die EU gemeinsam mit den G7-Ländern mit dem Ölpreisdeckel. Ein kompliziertes Vorhaben, denn zu welchem Preis Russland beispielsweise an Indien verkauft, entscheiden ja nicht die G7-Länder, sondern Russland und Indien. Das Einfallstor sind die Versicherungen für Tankertransporte, die zu großem Teil in britischer Hand sind. Den riesigen Versicherern aus London wird mit der Maßnahme also verboten, Transporte zu versichern, bei den der Ölpreis im Kaufvertrag größer als die Preisobergrenze ist. Lange wurde darüber verhandelt, wo die liegen soll. Vermutlich zwischen 60 und 70 USD pro Barrel. Scheiden die westlichen Versicherer aus dem Markt aus, öffnet sich der Markt für andere Anbieter. Etwa aus China, Indien oder Russland selbst. Die können dann sogar noch höhere Preise verlangen und Öl damit weltweit noch teurer machen.
Geht Berlin bald der Sprit aus?
Wer in der Region Berlin-Brandenburg Diesel und Benzin tankt, mit Öl heizt oder in den Flieger steigt, nutzt Öl-Produkte aus der PCK-Raffinerie in Schwedt. Auf sie gehen sage und schreibe 95 Prozent der Versorgung der Hauptstadt zurück. Dazu kommt ein Drittel des deutschlandweiten Bitumens aus der Raffinerie. Bitumen wird als Bindemittel für Asphalt beim Straßenbau oder für Abdichtungen in Bauten genutzt. Die Raffinerie gehört mehrheitlich der Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Rosneft, Rosneft Deutschland. Ihr Geschäftsmodell war: Öl aus russischen Gasfeldern über die Druschba-Pipeline nach Schwedt bringen, dort zu Diesel, Benzin, Heizöl, Bitumen und Kerosin machen – und verkaufen. Im September hat die Bundesregierung das Unternehmen unter eine Treuhandverwaltung gestellt, also quasi enteignet. Rosneft hat deswegen im Oktober das Wirtschaftsministerium verklagt – bisher erfolglos.
Weil Deutschland noch über das EU-Embargo hinausgeht, fließt bald kein Rosneft-Öl mehr durch die Pipeline. Zwar soll das Öl dann aus anderen Ländern per Tanker am Hafen in Rostock ankommen und von dort über eine bestehende Pipeline nach Schwedt transportiert werden, aber die Rechnung geht nicht auf. Der Hafen und die Pipeline sind zu klein, um genug anderes Öl in die Raffinerie zu bringen. „Das Öl wird nicht ausreichen, dieselbe Menge Benzin, Diesel und Kerosin herzustellen“, warnt der PCK-Geschäftsführer Schairer.
Die nächste Runde im Wirtschaftskrieg (eine bessere Bezeichnung für diese gegenseitige wirtschaftliche Entkoppelung als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine gibt es kaum) ist also wieder eine schlechte Nachricht für die Verbraucher. Es wird wieder teuer, vielleicht geht den Tankstellen sogar vereinzelt der Sprit aus. Auch die Firmen müssen sich auf höhere Produktionskosten einstellen. Selbst in Ländern, die mit den Sanktionen nichts zu tun haben. Für Putins Ölkonzerne wird es zwar komplizierter, ab nächstem Monat so viel russisches Öl wie bisher außer Landes zu schiffen, doch bei hohen Weltpreisen rechnet sich das Geschäft mit China, Indien und Co. noch immer. Auf lange Sicht wird Russland erst Recht kein Abnehmerproblem haben. Denn was es hat – Energie und Rohstoffe – wird die Welt noch lange brauchen. Dagegen kommen noch so gut gemeinte westliche Sanktionen nicht überall an. Leider.
Buchtipp: In seinem Buch „Der neue Wirtschaftskrieg“ beleuchtet Maurice Höfgen auch die Finanzsanktionen und deren Auswirkungen.
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