Wirtschaftsforscher Manfred Hübner hat der Bundesregierung und Wirtschaftsminister Robert Habeck in der Energiekrise Versagen vorgeworfen. Hat der Gaspreisdeckel seine Meinung geändert? Nur teils, sagt Hübner. Die Furcht vor einer Deindustrialisierung Deutschlands sei leider weiter real, sagt er im Interview mit FOCUS online.
Am Montag warf Manfred Hübner, Geschäftsführung des Wirtschaftsforschungsinstituts Sentix, der Bundesregierung in der Energiekrise Versagen vor, beschrieb den Zustand der Deutschen Industrie als „katastrophal“ und stellte eine so schlechte Stimmung unter Unternehmern fest, wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2008. Weil gleichzeitig auch die Zukunftserwartungen der Firmen so schlecht ausfielen wie nie zuvor, schrieb Hübner Richtung Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Politiker seien „schon für weniger von ihren Aufgaben entbunden worden“.
Nun, da die Gaskommission der Bundesregierung ihren Entwurf eines Gaspreisdeckels vorgestellt hat, haben wir mit Hübner darüber gesprochen, ob sich die Lage aus seiner Sicht verbessert hat und wie er auf die Zukunft der Industrie blickt.
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Gaspreisdeckel: Pragmatisch, aber entscheidende Probleme bleiben
FOCUS Online: Herr Hübner, Sie haben die Bundesregierung und besonders Wirtschaftsminister Robert Habeck hart für ihre Energiepolitik kritisiert. Nun kommt der Gaspreisdeckel. Bessert die Entscheidung Ihr Bild der Regierung?
Manfred Hübner: Der Gaspreisdeckel ist eine pragmatische Lösung, die die Not erst einmal mildert und die Verbraucher entlastet. Das will ich nicht kritisieren. Weil er aber erst im Frühling greift, müssen sich die Bürger dennoch auf knappe Budgets einstellen. Das wird die Wirtschaft stark dämpfen.
Außerdem löst der Preisdeckel nicht das grundsätzliche Problem, dass wir weiter auf die am besten angekündigte Rezession aller Zeiten zusteuern. Die Versorgungsunsicherheit bleibt, die Abhängigkeit der Unternehmen vom Staat wächst und die Spar-Anreize für Verbraucher sinken. Außerdem muss irgendwann jemand die Schulden bezahlen, die der Preisdeckel verursacht. Er ist eine sinnvolle Maßnahme. Aber er hat seinen Preis.
Sie erwarten also eher, dass sich die Stimmung der Industrie nicht weiter abdunkelt, als dass sie sich erhellt?
Hübner: Wer schon am Boden liegt, kann nicht noch tiefer abrutschen. Es wird demnächst vielleicht sogar leicht aufwärts gehen. Aber wir erwarten einen sehr hartnäckigen Abschwung, mit dem wir uns mindestens das ganze kommende Jahr herumschlagen.
Drohende Krise „viel schwerer, als wir das in den vergangenen 30 Jahren gewohnt sind“
Verglichen mit Finanzkrise und Corona-Pandemie: Wie schlimm wird der Abschwung?
Hübner: Viel schwerer, als wir das von früheren Abschwungphasen in den vergangenen 30 Jahren gewohnt sind.
Warum?
Hübner: Weil der Politik die Mittel fehlen, um schnell gegenzuwirken.Wirtschaftsabschwünge entstehen meist durch eine geringe Nachfrage der Kunden. 2008 wurde die Krise über den Finanzmarkt ausgelöst und vom Häusermarkt verstärkt. Dem konnten Staaten durch Zinssenkungen und viel Geld gegensteuern; Unternehmen konnten ihre Preise senken. Wir erleben derzeit aber durch die teure Energie einen Angebotsschock, indem diese Mittel nicht helfen: Mehr Gas bekommen wir nicht, egal wie viel Geld wir in den Markt pumpen. Also müssen Unternehmen Energie und Geld sparen. Manche beheizen Bürogebäude und Hallen zwei Grad kälter. Andere fahren ihre deutschen Standorte runter. Letztere bleiben dann auch dauerhaft aus.
Damit bricht zig Dienstleistern das Geschäft weg, die an diesen Standorten gehangen haben. Das ist keine Delle, die sich in drei, vier Monaten wieder ausdellt. Das sind dauerhafte Entscheidungen, die trotz Kurzarbeit irgendwann die Arbeitsmärkte und die Gehälter erreichen. Dann gehen die Verbraucher weniger oft essen, kaufen kleinere Autos und sparen sich den ein oder anderen Einkauf. Hat sich diese Entwicklung einmal eingegraben, ist sie sehr, sehr schwer zu überwinden.
Noch wirkt die Nachfrage aber stark.
Hübner: Die Nachfrage passt sich dem sinkenden Angebot nur langsam an, weil die Leute noch viel Geld übrig haben, dass sie während der Corona-Pandemie nicht ausgeben konnten. Sie erkennen erst mit der Zeit, wie der Preisanstieg ihre Finanzen einschränkt. Sinkt die Nachfrage aber irgendwann, öffnen die Unternehmen stillgelegte Produktionsstätten womöglich nicht wieder, weil es an Absatzchancen mangelt. Dadurch sinkt die Nachfrage weiter. Deswegen befürchten wir, dass wir keinen Abschwung erleben wie nach der Finanzkrise ab 2007 oder während Corona, als die Wirtschaft schnell zurückkam. Wir fürchten, dass unser Wohlstand dauerhaft beschädigt wird.
Befürchtung Sie eine Deindustrialisierung Deutschlands?
Hübner: Diese Befürchtung ist leider real. In allen energieintensiven und energieabhängigen Branchen dürfte der Standort Deutschland bei Zukunftsinvestitionen noch kritischer gesehen werden.
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„Bundesregierung hat die Lage unterschätzt“
Was haben Robert Habeck und die Bundesregierung falsch gemacht, damit es soweit gekommen ist?
Hübner: Habeck und die Bundesregierung scheinen dem Irrglauben zu unterliegen, dass die Wirtschaft aus der aktuellen Krise ähnlich schnell zurückkommen wird wie nach der Corona-Krise. Damals haben viele Firmen, vor allem aus dem Dienstleistungsbereich, vorübergehend das Geschäft eingestellt. Dienstleistungen kann ich aber sehr leicht wieder reaktivieren. Die Produktion dagegen ist auch während Corona weitgehend durchgelaufen. Jetzt reden wir über nachhaltige Abschaltungen oder Produktionsstilllegungen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit. Solche Unternehmen sind weg und kommen nicht auf Knopfdruck wieder.
Was fordern Sie von der Politik?
Hübner: Es darf jetzt keine Tabus geben. Die Lage war noch nie so schlecht und die Erwartungen gleichzeitig noch schlechter. Es fehlt das Licht am Ende des Tunnels. Das unterschätzt die Bundesregierung. Ich denke, sie würde schon ein wichtiges Signal senden, wenn sie die ihre ideologischen Zwänge überwindet und alles tut, die Angebots-Probleme vor allem im Energiemarkt zu mildern.
Was meinen Sie konkret?
Hübner: Wir haben einen Angebotsmangel an Energie. Darauf gibt es nur eine Antwort: Die Politik muss alle Quellen unverzüglich in Gang setzen. Dass die Laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke nicht sofort verlängert wurden, war absurd und muss sich schnellstmöglich ändern. Ich bin auch dafür, zu prüfen, ob wir die im Jahr zuvor abgeschalteten Meiler für eine begrenzte Zeit wieder ans Netz holen können.
Es kann auch nicht sein, dass wir aus den USA Fracking-Gas beziehen, dass per Schiff über das Meer transportiert, erst verflüssigt und dann wieder entflüssigt wird, aber deutsches Fracking-Gas ignorieren. Das wäre zumindest teils schon in diesem Winter verfügbar gewesen, wenn man im Frühjahr dafür offen gewesen wäre. Die USA verfügen zwar über eine große Gasproduktion. Aber auch dort erhöht die Nachfrage aus Europa die Preise und vereinzelt wurde schon über Gasknappheit berichtet. Wird es am eigenen Markt zu teuer, werden die USA ihr Gas nicht weiter an uns verkaufen. Wir brauchen mehr Versorgungssicherheit. Wenn wir eigene Quellen haben und diese wirtschaftlich und umweltgerecht gefördert werden können, muss dies auch in Erwägung gezogen werden.