Innenministerin Nancy Faeser hat keine Lösung für die neue Flucht- und Migrationskrise. Von richtigen Grenzkontrollen will die Sozialdemokratin nichts wissen.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Marc Felix Serrao, Chefredaktor der NZZ in Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser hat bei ihrem «Flüchtlingsgipfel» am Dienstag ein zutreffendes Lagebild entworfen. Einmal ging es um die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine, einmal um die ungeregelte Migration aus anderen Ländern der Welt. Die Lösungsvorschläge der Sozialdemokratin können allerdings nicht überzeugen.
Es ist richtig, dass die Bundesrepublik seit Beginn des Krieges in der Ukraine Ausserordentliches geleistet hat. Nach Jahren der ungeregelten Massenmigration ins eigene Land binnen siebeneinhalb Monaten noch einmal mehr als eine Million Menschen zusätzlich aufzunehmen, war und ist tatsächlich ein «Kraftakt», wie es die Sozialdemokratin formulierte. Darauf kann das Land stolz sein, vor allem die vielen hilfsbereiten Privatpersonen. Kein anderer Nicht-Anrainerstaat hat annähernd so viele Flüchtlinge aus dem Kriegsland beherbergt. Zum Vergleich: Tschechien hat rund 442 000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, Italien 171 000, die Schweiz 65 000.
Es ist auch richtig, dass Faeser einen Unterschied zwischen Flüchtlingen aus der Ukraine und Migranten macht, die übers Mittelmeer nach Europa kommen oder/und auf der sogenannten Balkanroute nach Nordwesteuropa und dort vor allem nach Deutschland drängen. Meist sind es junge Männer, vor allem aus Afghanistan, Syrien und Nordafrika.
Der angekündigte Austausch kommt zu spät
Die illegalen Einreisen müsse man stoppen, um denen weiter helfen zu können, die Hilfe brauchten, sagte Faeser. In anderen europäischen Ländern mag so ein Satz eine Selbstverständlichkeit sein. Im Mutterland der regellosen «Willkommenskultur» ist er es bis heute nicht, zumal in den Parteien links der Mitte.
Faesers Vorschläge zur Krisenbewältigung waren dann allerdings mau. Dass die Innenministerin einen regelmässigen Austausch mit den Bundesländern und den vielerorts überlasteten Kommunen ankündigt, ist nicht etwa eine Leistung, sondern ein Beleg für deren Fehlen. Einen solchen Austausch hätte sie schon vor Monaten initiieren müssen. Das Ganze fand erst statt, als immer mehr deutsche Bürgermeister und Landräte Alarm schlugen, weil sie keine Flüchtlinge mehr unterbringen können und bis jetzt auf den Kosten sitzen bleiben.
Faesers Vorschläge in Sachen Grenzschutz waren ebenfalls unzureichend. Die bereits stattfindenden Kontrollen an der Grenze zu Österreich sollen um ein halbes Jahr verlängert, die Schleierfahndung nahe der tschechischen Grenze soll fortgesetzt werden. Anders ausgedrückt: Es gibt einen besorgniserregenden Anstieg der unerlaubten Einreisen, also machen wir weiter mit den Instrumenten, die auch bisher kaum geholfen haben. Beispiel Schleierfahndung: Wer unerlaubt einreist und von der deutschen Polizei aufgegriffen wird, muss nur «Asyl» sagen und kann bleiben. Das gilt in der Regel auch, wenn der Antrag dann, meist sehr viel später, abgelehnt wird.
Warum keine richtigen, stationären Grenzkontrollen? Über die freut sich Frau Faeser doch auch, wenn sie anderswo in Europa stattfinden, etwa an der Grenze zwischen Tschechien und der Slowakei. Weil ein echter Grenzschutz Deutschlands Selbstbild als «weltoffenes» Land beschädigen würde? Weil so etwas «im Moment nicht nötig» sei, sagt die Ministerin. Na, dann.
Auch Faesers zweite Ankündigung – ein paar tausend zusätzliche Unterkünfte in Liegenschaften des Bundes – wird allenfalls ein bisschen helfen. Bisher kamen vor allem Menschen aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine. Sollte Russland die Städte im Rest des Landes dauerhaft unter Beschuss nehmen, dürfte der Flüchtlingsdruck noch einmal erheblich ansteigen. Statt ein paar tausend Unterkünfte zu organisieren, hätte Faeser ihren Gipfel nutzen sollen, um die anderen europäischen Länder in die Pflicht zu nehmen.
Deutschland macht viel mehr als andere Länder
Gewiss, einen solchen Solidaritätsappell hat die Bundesrepublik schon einmal an den Rest Europas gerichtet, während der Flüchtlingskrise der Jahre 2015/16. Damals hielt sich die Hilfsbereitschaft in Grenzen, weil man die Kausalität des Migrationsdrucks im Ausland sehr viel klarer sah. Nicht nur Krieg, autoritäre Regime und Hoffnungslosigkeit trieben Menschen aus aller Welt nach Europa. Deutschlands grosszügige Versorgungsleistungen und seine Unfähigkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder ausser Landes zu schaffen, waren ein starker Pull-Faktor. Sie sind es noch.
Aber im Fall der Ukraine liegen die Dinge anders. Es kommen, erstens, nicht überwiegend junge Männer, sondern vor allem Frauen und Kinder. Erstere werden erfahrungsgemäss weit überproportional kriminell (siehe hier, hier oder hier), Letztere sind kein Problem für die Sicherheit. Zweitens ist die alleinige Ursache der russische Angriffskrieg; die Ukrainer sind vor dem 24. Februar nicht in Massen ins europäische Ausland gezogen. Und drittens ist Hilfe für ein in Not geratenes europäisches Land für andere Länder des Kontinents – und nicht nur für Mitgliedsstaaten der EU – auch strategisch geboten. Irgendwann wird der Krieg zu Ende und normale politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder möglich sein. Die Ukrainer werden diejenigen Länder nicht vergessen, die ihnen in der Not beigestanden haben.
All das hätte die Innenministerin sagen können, um dann den Rest Europas öffentlich in die Pflicht zu nehmen. Es wäre dieses Mal angemessen gewesen.
Aus deutscher Sicht bleibt jeder politische Gipfel, der an der Attraktivität des Landes für Asylsuchende und Migranten aus aller Welt nichts ändert, ein folgenloses Gipfelchen. Und solange die etablierten politischen Kräfte und die relevanten Medien nicht erkennen, dass die vielen jungen Männer, die seit Jahren ins Land kommen, ganz überwiegend nicht die «Fachkräfte» sind, die Deutschland braucht, sondern, im Gegenteil, eine immer grösser werdende Belastung für den Sozialstaat und die innere Sicherheit, so lange kann man das Land nur bedauern.