Die Preise für Grundnahrungsmittel sind seit April vergangenen Jahres um acht Prozent gestiegen. Bundeskanzler Olaf Scholz spricht lieber über Krieg, Frieden und sein Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr. Hat er seine Stammwähler vergessen?
Die Frage, ob Olaf Scholz nach Kiew reist, ist den meisten Medien wichtig und den meisten Deutschen schnuppe. Bei der Frage der steigenden Inflationsraten verhält es sich genau andersherum.
Als wichtigen Grund für die Niederlagen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben die Zentralen von FDP und SPD daher auch nicht die Ukraine-Politik, sondern die Inflationssorgen identifiziert – und die Kaltschnäuzigkeit, mit der die Ampel-Koalition diese ignoriert.
Kanzler Scholz tourt durch Afrika, während seine Wähler fassungslos im Lidl stehen
- Der Kanzler tourt durch Afrika und seine Stammwähler umkreisen fassungslos bei Lidl und Rewe die Regale. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind seit April vergangenen Jahres um acht Prozent gestiegen. Bei Speiseöl und Mehl sind Aufwärtsbewegungen zu beobachten wie sonst nur an der Technologiebörse der Wall Street.
- Der SPD-Mann Scholz spricht über Krieg, Frieden und sein 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr, nur über die „Zeitenwende“ der kleinen Leute verliert er kein Wort. Die vom Steuerzahler-Präsident geforderte Regierungserklärung verweigert er. Scholz, der Schweiger.
Er schweigt auch deshalb, weil er das Inflationsrisiko, das der Geldflutungs- und Schuldenpolitik immanent war, jahrelang bestritten hat. Er wolle „allen die Sorge nehmen, dass wir mit der Inflation ein allzu großes Problem kriegen“, sagte der Finanzminister Scholz im Juni 2021.
Scholz vergaß Millionen seiner Stammwähler
Scholz, sein Ministerium und auch die EZB veröffentlichten bis zum Eintritt des Schadenfalls mehrfach rosige Prognosen, die von der Wirklichkeit schnell überholt wurden. Scholz war meist in guter Gesellschaft, gewissermaßen ein Blinder unter Blinden, was ihn zwar beruhigt, aber nicht das breite Publikum.
Und dann ereignete sich die Mutter aller Fehler. Und der Vater heißt: Scholz. Er ließ ein 15 Milliarden-Entlastungspaket schnüren, das jedem Einkommensteuerzahler 300 Euro einbringt – und er vergaß Millionen seiner Stammwähler. Nur Menschen mit Arbeitsvertrag und Lohnsteuerkarte profitieren von dieser Entlastung. Studenten und Studentinnen und so gut wie alle Rentnerinnen und Rentner gingen leer aus.
Nur die Trickreichen profitieren. Jeder Rentner, der für die Enkelbetreuung bei seinen Kindern auch nur einen Tag als Minijobber zum Mindestlohn von derzeit noch 9,82 Euro abrechnet und damit bei der Einkommensteuer veranlagt wird, darf die Steuergutschrift von einmalig 300 Euro einstreichen. Wer mit seinen Kindern, Nachbarn oder Vereinsfreunden ein ehrenamtliches und daher bargeldloses Verhältnis pflegt, geht leer aus.
In den unteren Schichten der Gesellschaft brodelt es
Selbst wer als Arbeiter in den Genuss der Steuergutschrift kam, ist ein Verlierer. Das hat eine aktuelle Studie des DIW gestern ergeben. Denn der Energiepreisschub ist derart wuchtig, dass auch nach der staatlichen Entlastung eine zweiprozentige Nettobelastung bleibt. Auf breiter Front erleiden die deutschen Arbeitnehmer derzeit Reallohnverluste.
Kein Wunder also: In den unteren Schichten der Gesellschaft rumort es nicht mehr nur, es brodelt. Das Thema Inflation ist – auch wenn Scholz nicht darüber spricht – das Top-Thema der Republik.
SPD-Mann Stephan Weil in Niedersachsen weiß, dass er im Klima einer vorsätzlichen Ignoranz nur schwerlich Wahlen gewinnen kann. Das Thema sei „hochsensibel“ und die geplanten Entlastungen unzureichend, sagte er jetzt beim Auftakt für seinen Landtagswahlkampf. Der „Höhepunkt der Teuerungswelle“ stehe erst bevor. Viele Rentner seien „auf der Zinne“. In Niedersachsen wird in 137 Tagen gewählt.
Die SPD-Stammwähler sind die eindeutigen Verlierer der Inflationsrepublik
Die neue DGB-Chefin ist mit Weil in Besorgnis vereint. Auch die Präsidentin des Sozialverbandes VdK Verena Bentele – die rund zwei Millionen Mitglieder vertritt – will die Enteignung ihrer Klientel (und nichts anderes bedeutet eine derart massive Inflationswelle) nicht hinnehmen. Sie fordert eine Befreiung aller Bürger von der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel.
Diese Absenkung von heute sieben Prozent auf Brot, Butter, Milch und andere Grundnahrungsmittel (Vorsicht: Es muss Kuhmilch sein, Sojamilch besteuert der Staat mit vollen 19 Prozent) auf dann 0,00 Prozent würden den Staat zwar mindestens 20 Milliarden Euro kosten, aber zumindest schnell und unbürokratisch bei den sozial Bedürftigen wirken.
Fakt ist: Die SPD-Stammwähler – Rentner, Arbeiter und Sparer – sind die eindeutigen Verlierer der Inflationsrepublik Deutschland. Und die Regierungs-SPD – die einst mit Finanzministern wie Helmut Schmidt, Karl Schiller, Manfred Lahnstein und Peer Steinbrück – Kompetenz ausstrahlte und Vertrauen einflößte, steht blank da.
Ihre Wähler erleiden Wohlstandsverluste – und die SPD leistet ausweislich der Zahlen keine effektive Gegenwehr. Der bekennende Zyniker Kurt Tucholsky hat es geahnt: „Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben.“