Der „Me-Too“-Skandal der hessischen Linkspartei war der Auslöser für den Rücktritt der Parteichefin Hennig-Wellsow. Doch die Krise der Linken geht tiefer.
Für eine linke Partei, die sich selbst als feministischer, diverser und progressiver als die gesamte politische Konkurrenz versteht, ist der „MeToo“-Skandal um sexuell übergriffige hessische Genossen der GAU. Denn im Zentrum des Skandals steht ausgerechnet die Parteivorsitzende Janine Wissler. Die frühere hessische Fraktionsvorsitzende sieht sich dem Vorwurf des Täterschutzes ausgesetzt, da sich der Verdacht der sexuellen Nötigung einer sehr jungen Parteifreundin gegen ihren damaligen Lebenspartner richtet.
Es waren die Enthüllungen über den womöglich größten Fall sexueller Übergriffe in einer im Bundestag vertretenen Partei, die ihre Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow am Mittwoch zum sofortigen Rückzug aus der Parteispitze bewogen haben. Der Thüringer Politikerin, die mit Bodo Ramelow als Kronzeugen für die Regierungsfähigkeit der Linken warb, war aber schon nach dem Debakel ihrer Partei in der Bundestagswahl klar, dass sie auf verlorenem Posten stand. In ihrer Erklärung über die Gründe des Rücktritts gibt sie jedoch nur weichgespülte, vage Hinweise auf die Defizite der kleinsten Oppositionspartei.
Im Westen ist die Linke längst marginalisiert
In der Bewertung des russischen Überfalls auf die Ukraine tun sich Abgründe in der Partei auf, in der auch noch Uraltgenossen und Putin-Freunde wie Hans Modrow ihr Unwesen treiben. Kein Wort über den Umgang miteinander, der links mitunter genauso rüde ist wie bei der AfD. Die Schlammschlacht an der Saar, die zum Austritt der einstigen Lichtgestalt Oskar Lafontaine führte, ist nur ein Beispiel von vielen. Die Dauerfehde seiner außerhalb der Linken populären Ehefrau Sahra Wagenknecht mit Gregor Gysi ist nicht weniger abschreckend.
Im Westen ist die Linke längst marginalisiert, allein im kleinen Bremen sitzt sie am Katzentisch der Macht. Verzweifelt fordert Hennig-Wellsow eine programmatische Erneuerung mit neuen Gesichtern. Der Appell der Gescheiterten klingt nach letztem Gefecht.
Quelle: F.A.Z.