Hugo Müller-Vogg

Vier Wörter in ihrem Rücktritts-Statement zeigen, dass Spiegel nichts verstanden hat

12.04.2022
Lesedauer: 3 Minuten
Trat ohne Einsicht für ihre Fehler zurück.: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne). Foto: dpa

Dieser Rücktritt war überfällig. Spätestens nach Anne Spiegels Auftritt am Sonntagabend war auch den letzten, ihr noch wohlwollenden Politikern und politischen Beobachtern klar: Diese Grünen-Politikerin war und ist in einem verantwortungsvollen Amt heillos überfordert.

Dieser Rücktritt kommt viel zu spät, um noch als ehrenvoller, Respekt gebietender Rückzug gelten zu können. Schlimmer noch: Die als rheinland-pfälzische Umweltministerin gescheiterte Grüne versucht geradezu verzweifelt, sich als Opfer zu stilisieren. Sie habe sich „aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht“, heißt es in ihrer schriftlichen Rücktrittserklärung. Vor die Presse trat sie nach dem desaströsen Auftritt von Sonntagabend am Montag lieber nicht.

Spiegel hat noch immer nicht verstanden, warum sie untragbar wurde

Mit dieser Stellungnahme und den vier Wörtern „aufgrund des politischen Drucks“ offenbart Spiegel, dass sie noch immer nicht verstanden hat, warum sie für ihre eigene Partei wie für die Ampel-Regierung untragbar geworden war. Ihr Krisen-Management während der Jahrhundertflut an der Ahr war unzureichend, ihre Sorge um das eigene Image angesichts der Toten peinlich, ihr Beharren auf politischem-korrektem Gendern im Katastrophenfall lächerlich, ihr vierwöchiger Familienurlaub in einer Zeit, als an der Ahr noch immer der Ausnahmezustand herrschte, ebenso verantwortungs- wie instinktlos, ihre falschen Angaben zur Teilnahme an Kabinettssitzungen verheerend. Den „politischen Druck“, von dem Spiegel spricht, hat sie durch ihr eigenes Verhalten, durch ihr eigenes Versagen selbst erzeugt.

Kein einziger Grüner von Rang hat Spiegel verteidigt

Was ihr auch zu denken geben müsste: Kein einziger Grüner von Bedeutung ist ihr beigesprungen oder hat ihre Aktionen zu rechtfertigen versucht. Die Grünen spürten mit einiger Zeitverzögerung, dass man nicht aller Welt Moral predigen kann, während man die vielen Fehltritte einer Spitzenpolitikerin aus den eigenen Reihen auszusitzen versucht.

Amt, Großfamilie, Krankheit: Sie wollte einfach zu viel

Politisch im Dauerstress, zuhause vier kleine Kinder und obendrein einen kranken Mann – dass eine solche Belastung zu viel werden kann, ist verständlich. Aber auch in dieser Hinsicht war und ist die Ex-Ministerin nicht Opfer. Sie hat sich der Karriere zuliebe neue Aufgaben aufgehalst, ungeachtet der Erkrankung ihres Mannes. Niemand hätte Anne Spiegel verübelt, wenn sie angesichts der familiären Belastungen etwa auf die Spitzenkandidatur in Rheinland-Pfalz verzichtet oder ihr Ministeramt zeitweilig hätte ruhen lassen – mit einer vom Kabinett geregelten Vertretung auf Zeit. Aber sie wollte alles, sie wollte einfach zu viel.

Direkt vom Hörsaal in die Politik

Anne Spiegel ist vorerst politisch aus dem Rennen. Sie steht zudem beruflich vor dem Nichts, da sie mehr oder weniger direkt aus dem Hörsaal in die Politik gewechselt ist. Zwei Jahre als Sprachtrainerin nach dem Studium sind nicht gerade ein Ausweis besonderer beruflicher Fähigkeiten. Ob ihr seit vielen Jahren nicht mehr berufstätiger Mann nach seinem 2019 erlittenen Schlaganfall einen Vollzeit-Job übernehmen könnte, weiß niemand. Den Spiegels stehen jetzt knapp 76.000 Euro an Übergangsgeld zu. Das entspricht knapp vier Monatsbezügen eines Ministers. Davon kann eine sechsköpfige Familie nicht lange zehren.

Rasant aufgestiegen, brutal abgestürzt

Jeder kann scheitern; das allein ist keine Schande. Aber das Wiederaufstehen fällt umso schwerer, je weniger man sich der eigenen Fehler bewusst ist. Anne Spiegel hat einen rasanten Aufstieg hinter sich: in zehn Jahren von einer Landtagsabgeordneten zur Bundesministerin. Umso tiefer ist jetzt ihr Sturz. Die besondere Tragik liegt darin, dass es – wenn sie ehrlich zu sich selbst ist – keinen anderen Schuldigen gibt, als sie selbst.

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