Zensur in Russland

Russland will sich abkoppeln

28.03.2022
Lesedauer: 9 Minuten
Ein Kabel, das auseinandergerissen wird: Ganz so leicht können sich Staaten nicht vom globalen Internet abkapseln. © Ray Massey/​Getty Images

Instagram, Twitter, Google News – viele digitale Dienste sind in Russland nicht mehr verfügbar. Wohl nur der erste Schritt: Wladimir Putin plant ein abgeriegeltes Netz.

Jetzt sind sie auch verboten. Geblockt war das soziale Netzwerk Facebook in Russland bereits seit Anfang März. Instagram, das andere, in Russland deutlich populäre Meta-Netzwerk, folgte kurze Zeit später. Nun sind die Plattformen Anfang vergangener Woche ganz offiziell zu „extremistischen Organisationen“ erklärt worden. 

NetflixTwitterPayPalTikTokGoogle NewsSpotify – die Liste der digitalen Dienste, die in Russland nicht mehr oder nur teilweise verfügbar sind, wird immer länger. Manche Konzerne, wie TikTok oder PayPal, schränken selbst ihre Funktionen im Land ein, entweder weil sie unter die westlichen Sanktionen fallen oder weil sie sich neuen russischen Regelungen nicht beugen wollen. Andere Dienste wie Twitter und Instagram werden von der Regierung geblockt. Das russische Internet fühle sich an wie eine Geisterstadt, schrieb kürzlich das US-Magazin Time

Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, ist auch ein Informationskrieg entbrannt – weltweit, aber vor allem in Russland selbst: Der Kreml will im eigenen Land das Narrativ kontrollieren, das über den Krieg verbreitet wird. Deshalb wurden Websites von ausländischen und kritischen Medien blockiert. Und deshalb verschwinden nach und nach digitale Plattformen, auf denen Menschen sich frei äußern können. 

Manche Dienste, etwa WhatsApp, Telegram und YouTube, sind zwar in Russland noch aktiv, doch das Verbot könnte noch kommen. „Wir rechnen mit allem: Google, Wikipedia“, schreibt Stanislaw Schakirow, einer der Gründer der russischen Nichtregierungsorganisation Roskomsvoboda, die sich für ein freies Internet einsetzt, auf Anfrage von ZEIT ONLINE. Zur Blockade von YouTube habe es bereits Experimente gegeben. Vieles deutet darauf hin, dass es der russischen Regierung darum geht, das gesamte Internet des Landes zu kontrollieren – und möglicherweise sogar eine Art autonomes russisches Internet zu betreiben. 

„Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass das russische Internet in Zukunft vom globalen Netz mehr oder weniger vollständig abgekoppelt ist“, sagt Thomas Reinhold, der am Lehrstuhl Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) der TU Darmstadt unter anderem zur Militarisierung des Cyberspaces forscht. Die russische Regierung verfolge schon lange das Ziel, „nach chinesischem Vorbild die Kontrolle über das nationale Internet zu festigen, und das bis auf die Ebene der Infrastruktur“, sagt Daniel Voelsen, Forschungsgruppenleiter Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Ein autonomes Netz

Bereits am 1. Mai 2019 unterzeichnete Putin das „Gesetz über das souveräne Runet“. Kern der Regulierung ist es, den Datenverkehr durch Filter der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor zu leiten. Dieses System sei in den vergangenen Jahren weiterentwickelt und ausgebaut und auch schon eingesetzt worden, um den Zugang zu Twitter zu verlangsamen, berichtete die New York Times Ende vergangenen Jahres. Im Juli 2021 schrieb das Staatsmedium RT, das „autonome Internet“ sei erfolgreich getestet worden. Angeblich sei das „Runet, das russische Segment des Internets, vom globalen Netzwerk abgekoppelt“ worden. 

Diese Bestrebungen haben, daraus macht der Kreml kein Geheimnis, im Wesentlichen zwei Gründe: erstens die Inhalte kontrollieren zu können, die im russischen Internet zu sehen sind. Und zweitens unabhängig zu sein, um sich vor Sanktionen zu schützen.

Tatsächlich gibt es seit der russischen Invasion der Ukraine immer wieder Forderungen, Russland gewissermaßen den Datenhahn zuzudrehen, zum Beispiel vom ukrainischen Vizepräsidenten und Digitalminister Mychajlo Fedorow. Das Kalkül dahinter ist wie bei anderen Sanktionen, die Arbeit russischer staatlicher Institutionen zu erschweren, die Wirtschaft zu schwächen und den Druck auf die Bevölkerung zu erhöhen, die so möglicherweise immer unzufriedener mit Putins Krieg wird.

Wie könnte sich Russland abkoppeln?

Manche Unternehmen haben ihre Dienste in Russland schon eingestellt. Der Internet-Service-Provider Cogent, der ein großes Netz an Internetleitungen betreibt, schaltete etwa alle Verbindungen nach Russland komplett ab. Damit ist Cogent allerdings eher die Ausnahme. Denn viele gehen davon aus, dass man der Regierung in Moskau eher in die Karten spiele, wenn man die russische Bevölkerung vom Netz ausschließt.

Es bestehe die Gefahr, dass ein solcher Schritt vor allem den Zugang der russischen Bevölkerung zu freien und vertrauenswürdigen Informationen einschränken würde, schreibt der Betreiber des größten Internetknotens der Welt, DE-CIX, in Frankfurt auf Anfrage von ZEIT ONLINE. Noch deutlicher drückt es die russische Nichtregierungsorganisation Ozi aus, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Internet in Russland vor Zensur zu schützen: „Alle Sanktionen, die den Zugang der russischen Bevölkerung zu Informationen behindern, stärken nur Putins Regime.“

Weit verzweigt, auf verschiedenen Ebenen

Schon rein logistisch stellt sich die Frage, wie eine Abkopplung Russlands vom globalen Internet überhaupt aussehen könnte. Das Internet ist bekanntlich ein weltweites Netz. Internetdienste können sehr verschieden aussehen, von E-Mails, Netflix-Serien, WhatsApp-Nachrichten bis hin zu Pornoseiten, Cloudspeichern oder Internettelefonie. Alle diese Anwendungen basieren auf einer gemeinsamen Infrastruktur, die dafür sorgt, dass die Daten dort ankommen, wo sie hinsollen.

Dieses Fundament des Internets wird als Modell mit mehreren Ebenen (layer) beschrieben. Die unterste Ebene ist die physische, damit sind zum Beispiel armdicke Kabel gemeint, die auf dem Meeresboden liegen und es überhaupt erst ermöglichen, dass dieser Artikel auch in Alaska gelesen werden kann. Auf diesem physischen Netz setzen verschiedene sogenannte Protokolle auf, Organisationsstrukturen, die zum Beispiel dazu genutzt werden, jedem der Millionen angeschlossenen Teilnehmern des Netzes eine Adresse zuzuweisen (das ist das wohl bekannteste dieser Protokolle: Internet Protocol, IP). Andere Protokolle kümmern sich darum, dass die Datenpakete zur richtigen Adresse transportiert werden (TCP) oder – noch eine Ebene weiter darüber – dass bestimmte Domains bestimmten IP-Adressen zugewiesen werden (DNS). Letzteres ist nötig, damit man eine Internetadresse wie www.zeit.de eingeben kann und auch auf der richtigen Seite landet.

Weil das Netz weltweit verzweigt ist, ist es gar nicht so einfach für ein Land, einzelne Inhalte zu sperren. Wenn eine Userin in Russland Facebook ansteuert, werden Datenpakete von den Servern Metas an ihren Computer geschickt. Um das zu verhindern, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man könnte einfach alle Datenpakete, die von der IP-Adresse dieses Servers kommen, blockieren. Dafür braucht man aber erst einmal Zugriff auf den Datenverkehr. Das soll offenbar durch spezielle Hardware, die in den Serverräumen großer russischer Telekommunikationsanbieter installiert wurde, erreicht werden. Bedeutet: Möchte eine russische Userin künftig Facebook ansurfen, würde mithilfe der Hardware erkannt, dass es sich um einen Facebook-Server handelt, und der Zugang blockiert.  

Ganz einfach ist dieses Vorgehen allerdings nicht: Schon einmal scheiterten die russischen Behörden daran, den Messenger Telegram zu sperren. Sie blockierten die IP-Adressen der Telegram-Server, doch das Unternehmen wich auf andere aus. Deshalb erweiterte die Medienaufsicht die Sperre auf Millionen andere IP-Adressen. Dadurch aber waren plötzlich auch viele andere Apps und Websites offline, unter anderem die des Kremlmuseums. 

Man könnte nun versuchen, nicht nur Empfänger und Absender der Datenpakete zu analysieren, sondern auch deren Inhalt, um herauszufinden, welches Paket unerwünschte Inhalte enthält. Deep Packet Inspection heißt dieses Verfahren, Russland setzt es Berichten zufolge bereits ein. Allerdings funktioniert das nur, wenn die Pakete nicht verschlüsselt sind. Ein großer Teil des Internet-Datenverkehrs ist mittlerweile aber verschlüsselt, erkennbar ist das daran, dass die meisten Webseiten das Protokoll https verwenden, statt http – das „s“ steht für secure, sicher. 

Doch auch dafür hat die russische Regierung offenbar eine Idee: Um https zu verwenden, braucht eine Webseite ein sogenanntes TLS-Zertifikat. Solche Zertifikate werden seit Kurzem auch vom russischen Staat ausgestellt. Wer die Zertifikate ausgibt, könnte wohl auch die Verschlüsselung umgehen. Ähnlich ist es mit DNS. Ein DNS-Dienst ist gewissermaßen ein Adressbuch: Wer ihn kontrolliert, kann die Verbindung kappen zwischen einer Domain (etwa facebook.com) und der IP-Adresse, auf die diese Domain zeigt. Vor einigen Tagen war ein Schreiben bekannt geworden, in dem das russische Ministerium für Digitale Entwicklung, Kommunikation und Massenmedien anordnete, dass sämtliche staatliche Stellen ausschließlich einen russischen DNS-Server nutzen sollen.

Zumindest einige diese Möglichkeiten zur Zensur nutzt Russland offenbar bereits. Perfekt funktionieren sie nicht: Mit etwas Mühe ist es möglich, die Sperren zu umgehen. VPN-Dienste, die einen verschlüsselten Tunnel zu einem anderen Netzwerk an einem anderen Ort aufbauen, würden derzeit nicht „aggressiv geblockt“, schreibt Stanislaw Schakirow von Roskomsvoboda. Die Organisation hat eine Petition gestartet, die VPN-Anbieter auffordert, ihre Dienste Menschen in Russland kostenlos zur Verfügung zu stellen – unter anderem, weil sie sie durch die Blockade von Zahlungsdienstleistern im Land gar nicht mehr bezahlen könnten. 

Es geht nicht nur um Zensur

Blockieren von Inhalten ist das eine. Zu einem autarken Internet gehört aber mehr. Um komplett immun gegen Sanktionen von außen zu sein, müsste die Regierung alle Ebenen der digitalen Infrastruktur kontrollieren, den kompletten stack, wie Fachleute sagen. Genau das scheint zu sein, was Russland im Sinn hat. „Alles das, was für ein funktionierendes Internet nötig ist, versucht Russland selbst aufzubauen“, sagt Forscher Reinhold. Davon dürfte das Land noch einige Schritte entfernt sein. „Kurzfristig halte ich es für unrealistisch, dass Russland in der Lage wäre, ein komplett autarkes Internet zu betreiben“, sagt Reinhold.

Das hat auch damit zu tun, dass das Internet nicht nur auf der Ebene von Kabeln und Transportprotokollen weltweit miteinander verwoben ist. Zum stack gehört auch die Software, die auf der Infrastruktur aufsetzt. Dazu gehören zum Beispiel auch Software-Bibliotheken, also kleine Bausteine, die in vielen Anwendungen stecken. Wie weit manche dieser libraries verbreitet sind, zeigte vor Kurzem die Sicherheitslücke in der Java-Software log4j: Weil diese Zeilen Code in zahlreichen Anwendungen steckten, waren plötzlich große Teile der digitalen Infrastruktur angreifbar. 

Auch, wenn die Vorbereitungen dazu im vollen Gange seien: „Wenn sie (die russische Regierung, Anm. d. Red.) jetzt die internationalen Verbindungen kappen, werden viele Dienste innerhalb Russlands nicht funktionieren. Das Hauptproblem ist die Verwendung ausländischer Bibliotheken und Repositorys durch russische Dienste“, schreibt Stanislaw Schakirow. „Wie wir sehen, ändern kritische russische Dienste diese Abhängigkeiten gerade jetzt.“ Tatsächlich war in der Anordnung der Regierung vor einigen Tagen auch davon die Rede, dass kein ausländischer Javascript-Code mehr verwendet werden solle.

Unabhängigkeit nicht schnell zu erreichen

Trotz solcher Bestrebungen ist klar: Für ein funktionierendes Internet, so wie wir es kennen, sind geradezu unübersichtlich viele Dinge nötig. Von Hardware über Cloudanbieter bis hin zu den Anwendungen, die Millionen Menschen täglich nutzen – Betriebssysteme wie Windows oder Android, Bürosoftware wie Office oder SAP. „Gerade auf dieser Zwischenebene, etwa von Betriebssystemen, haben die Russen nicht wirklich etwas Eigenes zu bieten“, sagt Forscher Voelsen.

Selbst wenn Russland es schaffen sollte, sich vollständig unabhängig vom weltweiten Netz machen zu können, dürfte das noch eine ganze Weile dauern. Voelsen geht zudem davon aus, dass Russland von sich aus kein Interesse daran habe, sich in komplette digitale Isolation zu begeben. Vielmehr gehe es darum, den Informationsfluss im Inland zu kontrollieren und die Abhängigkeit vom Westen zu reduzieren – dabei aber trotzdem weiterhin die wirtschaftlichen Möglichkeiten des globalen Internets nutzen zu können. Je weiter Russland diesen Weg geht, umso weniger Wirkung hätten dann auch Sanktionen, die den Technologiebereich betreffen.

Je stärker diese Sanktionen ausfallen, desto wahrscheinlicher scheint es, dass Russland und China sich digital weiter annähern. Auch das chinesische Internet ist zwar nicht vom Rest der Welt entkoppelt, doch es gibt die als Great Firewall bezeichneten, sehr ausgereiften Filtersysteme, die unliebsame Inhalte blockieren können. Es gibt landeseigene Hardware-Hersteller wie Huawei und landeseigene Digitalkonzerne wie Tencent oder Alibaba, die eigene Apps anbieten, vom Onlinekaufhaus Taobao bis zur Messaging- und Allround-App WeChat. Gut möglich, dass diese Konzerne auch in Russland bald eine größere Rolle spielen. Oder dass in Russland eigene Dienste entstehen.

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