Expertengruppe zu Corona

„Fortsetzung der Politik der Angst gefährdet Kinder mehr als das Virus“

10.03.2022
Lesedauer: 4 Minuten

Ein Ende der Corona-Maßnahmen? Nicht für Kinder und Jugendliche in Deutschland, kritisiert eine Gruppe von Experten, darunter Stiko-Mitglied Rüdiger von Kries. Sie fordern ein sofortiges Ende von Tests und die Abkehr von der überholten Schulleitlinie zur Pandemiebekämpfung.

Angesichts der Debatte um ein Ende von Corona-Maßnahmen warnt eine Expertengruppe vor einer „Warteschleife mit offenem Ende“ für Kinder und Jugendliche in Deutschland. In einem offenen Brief an die Bundesregierung fordern Rüdiger von Kries, Epidemiologe und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), und Peter Walger, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), ein Ende der „sinnfreien Maßnahmen“ an Schulen und Kitas.

Die Gruppe fordert ein sofortiges Ende von Masken- und Testpflicht in Kitas und Schulen und eine Abkehr von der sogenannten S3-Leitlinie für die Pandemiebekämpfung an Schulen.

„Während Schweden, Dänemark, die Schweiz, die Niederlande und sogar Österreich einen längst überfälligen Strategiewechsel in Kitas und Schulen vollziehen, wird bei uns an einer S3-Leitlinie festgehalten, die vom aktuellen Pandemiegeschehen längst ad absurdum geführt wurde“, kritisieren die Experten in dem Schreiben, das WELT exklusiv vorliegt. Es wurde von der bundesweiten „Initiative Familien“ verfasst. Zu den Unterzeichnern gehören der Staatsrechtler Josef Franz Lindner, die Virologen Jonas Schmidt-Chanasit und Klaus Stöhr, die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und der Jurist und BKK-Vorstand Franz Knieps.

In der Leitlinie für Schulen vom Dezember 2020 des Bundesbildungsministeriums zur Eindämmung des Coronavirus-Infektionsgeschehens werden Wechselunterricht, Masken- und Testpflicht oder Einschränkungen bei Sport- und Musikunterricht geregelt. Doch diese Verordnung aus einer Zeit, in der es keinen Impfstoff gab, sei nicht ausreichend angepasst worden, kritisiert das Expertenteam.

Mitunterzeichner Arne Simon, Kinderarzt und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, verweist gegenüber WELT darauf, dass die S3-Leitlinie für ein Stadium der Pandemie der „intensiven, nicht-medikamentösen Präventionsmaßnahmen“ entwickelt worden sei: „Seit dies nicht mehr der Fall ist, ist diese Leitlinie naturgemäß ein sehr sorgfältig erstelltes historisches Dokument.“ Darauf könne man bei einer neuen Pandemie zurückgreifen.

Kritik an Infektionsschutzgesetz

Den Entwurf der Novelle des Infektionsschutzgesetzes der Ampel-Koalition betrachtet die Expertengruppe mit Skepsis. Es sei zwar „begrüßenswert“, dass die Maskenpflicht an Schulen aufgehoben werden solle, doch müsse sichergestellt werden, dass in Zukunft eine Maskenpflicht „wenn überhaupt“ nur noch Gruppen auferlegt werden dürfte, die einen gesundheitlichen Nutzen davon hätten. Scharfe Kritik äußerte die Gruppe an der explizit festgeschriebenen Möglichkeit, Tests in Schulen und Kitas fortzusetzen: „Es scheint, als solle die Überwachung des Infektionsgeschehens künftig ausschließlich den Kindern und Jugendlichen auferlegt werden.“

Es bleibe zu hoffen, dass die Landesregierungen nach dem 20. März nicht Masken und Tests „durch die Hintertür“ fortsetzten, warnt die Expertengruppe. Statt „politisch motivierter Maßnahmen von Symbolcharakter“ solle lieber Geld eingesetzt werden um massive Schäden zu bekämpfen, welche die Pandemiepolitik bei Kindern und Jugendlichen bereits verursacht habe: „Die Fortsetzung dieser Politik der Angst gefährdet das Wohlergehen der Kinder inzwischen mehr als das Virus.“

Stiko-Mitglied von Kries sagte WELT: „Bei evidenter Belastung und Schäden für die Kinder und Familien erscheint die Aufrechterhaltung weitgehend sinnfreier Regelungen nicht vertretbar.“

Nach dem Entwurf eines neuen Infektionsschutzgesetzes sollen die Länder auch nach dem 19.3. weiter Masken- und Testpflichten als Basismaßnahmen verhängen können. In „Hotspots“ mit kritischerer Lage sind auch weitergehende Grundrechtseingriffe wie ein Nachweis des Impf- oder Genesenenstatus möglich, sofern das jeweilige Parlament zustimmt. Auch eine Maskenpflicht in Schulen und Kitas könnte dadurch wieder verhängt werden.

Erste Bundesländer kündigten bereits Pläne für die Schulen an. In Hamburg sollen ab dem 21. März Beschränkungen für Musik- und Theaterunterricht entfallen – Test- und Maskenpflicht bleibe bis zum 3. April bestehen. „Vorerst“, wie es aus dem Senat der Hansestadt heißt. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien (CDU), sprach sich am Donnerstag dagegen aus, die Maskenpflicht an Schulen aufzuheben: „Wenn es nach uns ginge, müsste auch die Möglichkeit, die Maske zu tragen, noch eine Weile fortbestehen“, sagte die schleswig-holsteinische Kultusministerin vor einer KMK-Sitzung am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Hier ist die Gesetzeslage bisher unklar. Der Bund hat hier noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Darauf warten wir dringlich.“ Prien sagte: „Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Wochen sukzessive alle Maßnahmen werden abbauen können. Der Zeithorizont ist eher Richtung Ende April, Mai.“

Die großen Öffnungsschritte, die insgesamt gemacht würden, dürften an den Schulen nicht vorbeigehen. „Auch Schulen müssen schrittweise den Weg in die Normalität gehen.“ Dies müsse aber behutsam geschehen. „Das bedeutet auch, dass die Test nicht sofort auslaufen werden.“

Kinderarzt Simon sieht in einer fortdauernden Testpflicht für Schulen und Kitas ein weiteres Problem. Diese würden „irrtümlicherweise als Orte der Übertragung“ betrachtet. Einen schrittweisen Ausstieg aus den Maßnahmen nennt Simon „inakzeptabel“. Schon bei Delta habe es keinen Hinweis auf einen erhöhten Krankheitsschweregrad bei Kindern gegeben, bei Omikron sei dieser noch geringer: „Keiner traut sich zu erklären, dass dieses Virus nun bei Kindern und Jugendlichen wie jedes andere endemische Atemwegsvirus zu betrachten ist.“

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