Schon früh in der Pandemie hat CSU-Chef Markus Söder sich als strenger Mahner inszeniert. Dann sattelte er taktisch klug als einer der Ersten zu den Befürwortern von Lockerungen um und setzt dabei offenbar auf einen Effekt aus der Psychologie. Das sollte man ihm nicht durchgehen lassen.
Wer hätte das gedacht: Nun, da die Pandemie einem Ende entgegensteuert – oder zumindest einer Pause –, ist es ausgerechnet Markus Söder, der in Sachen Freiheit voranprescht: Lockern, Hoffnung machen, Impfpflicht aussetzen. Der bayerische Ministerpräsident und gescheiterte Kanzlerkandidatur-Kandidat der Union ist kürzlich als einer der ersten einstigen Härte-Verfechter ins, wie er es ausdrückt, „Team Freiheit“ gewechselt. Man könnte auch sagen: Er hat sich mal wieder wie ein Fähnchen mit dem Wind gedreht.
Denn dass gelockert wird, war ohnehin klar. Söders Wunsch nach Selbstdarstellung aber ist offenbar so stark, dass er den bayerischen Sonderweg bei Öffnungen noch fix einen Tag vor der entsprechenden Ministerpräsidentenkonferenz ankündigen musste, deren Termin lange feststand. Kurz zuvor hatte Söder einen ähnlichen Coup hingelegt mit der Ankündigung, die betriebsbezogene Impfpflicht in Bayern nicht umsetzen zu wollen – für die er sich kurz zuvor selbst noch starkgemacht hatte.
Damit könnte es der Bayer mit dem messerscharfen politischen Instinkt mittel- bis langfristig sogar schaffen, im kollektiven Gedächtnis der Deutschen als Streiter für die Freiheit in Erinnerung zu bleiben. Schon allein wegen des „Recency Bias“-Effekts, nach dem das, was als letztes passiert, am ehesten hängenbleibt. Dies als Söders Corona-Vermächtnis allerdings wäre absurd.
Denn die längste Zeit über hat er sich als einer der härtesten Beschränkungsbefürworter hervorgetan. Unvergessen ist die Posse um ein mögliches Bußgeld von 150 Euro für alleine auf einer Parkbank sitzende und damit zeitweise gegen Corona-Regeln verstoßende Bayern. Und nicht zuletzt das häufige Schießen gegen Politiker, die andere Regeln als die aus Berlin vorgegebenen umsetzen wollten – was er im Übrigen ja nun selbst tut. „Effekthascherei, nur um allen anderen eins auszuwischen“, kommentierte treffend das „Straubinger Tagblatt“.
Zumal es während der Pandemie nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“ war, das das Vermächtnis eines Freiheitskämpfers Söder schwer verdaulich machen würde. Er hat es sich zur Angewohnheit gemacht, seine Botschaften mit dem Gestus des strengen Pfarrers von der Kanzel herab zu predigen mit einem Singsang, in dem oft vor allem mitschwang, dass er den unvernünftigen Bürger jetzt leider vor sich selbst schützen müsse.
Das alles hat Söder genauso wenig geschadet wie schon seine früheren, wohlbekannten Eskapaden und Bäumchen-wechsel-dich-Momente. Vom gescheiterten Versuch, die AfD rechts zu überholen bis zur urplötzlichen Entdeckung der Liebe zu Bäumen. Stets treu geblieben ist sich Söder vor allem beim Heckenschützenkampf gegen seinen einstigen CDU-Amtskollegen Armin Laschet: In den ständigen, hässlichen Spitzen im Bundestagswahlkampf gegen den Rheinländer, der als Kanzlerkandidat war, was Söder hatte werden wollen. Und dem Söder seine Kampagne bei jeder sich bietenden Gelegenheit torpedierte – um nach dem desaströsen Wahl-Ergebnis noch Salz in die Wunde zu streuen. Jeden Zuschauer für dumm verkaufend stritt er das für alle Sichtbare dann noch ab.
Dass jemand wie Söder mit der rhetorischen Brechstange und schröderschem Machismo in den 2020er-Jahren Erfolg hat und noch im September in einer Umfrage von 39 Prozent der Befragten als Wunschkandidat für das Kanzleramt angegeben wurde, ist schockierend. Offenbar fühlen sich viele Menschen von Politikern angesprochen, die besonders schamlos ihre Interessen durchboxen und immer ein paar Dezibel lauter sein müssen als alle anderen. Das allein ist schon fragwürdig.
Dazu kommt, dass der Lautsprecher-Ansatz sich nicht einmal durch besondere Erfolge rechtfertigen lässt. Bayern stand bei Corona-Kennzahlen häufig unten auf den Listen, die Impfquote ist noch heute unterdurchschnittlich. Auch die Kanzlerkandidatur konnte Söder sich nicht erprügeln. Seine Herangehensweise schafft vor allem eines: Sie droht, rüpelhaftes Verhalten in der Politik gesellschaftsfähig zu machen.
Die Pandemie hat so einige bedenkliche Zustände in Deutschland aufgedeckt. Dass jemand wie Markus Söder in dieser Zeit eine so große Popularität erreichen konnte, mag zunächst weniger skandalös wirken, gehört aber unweigerlich dazu. Das Getöse um sein opportunistisches Umschwenken in das „Team Freiheit“ sollte man ihm nicht kritiklos durchgehen lassen.