In der Pandemie ist ServusTV zum meistgeschauten Privatsender Österreichs geworden. Seine Inhalte zu Corona verbreiten sich auch in Deutschland stark. Was Experten zum Sender sagen und wie dessen Inhalte einzuschätzen sind: Ein #Faktenfuchs.
- Kritiker werfen ServusTV Verbreitung von Corona-Falschbehauptungen und False Balancing vor
- Nutzerinnen und Nutzer von ServusTV tendieren eher dazu, Corona zu verharmlosen oder an Verschwörungstheorien zu Corona zu glauben als andere
- Der Sender verteidigt „kritische und unabhängige Berichterstattung
Lange war der österreichische Fernsehsender ServusTV vor allem bekannt für aufwändig produzierte Naturfilme und historische Dokumentationen: Wer einschaltet, sieht zum Beispiel Aufnahmen der schottischen Highlands oder des römischen Kolosseums. Auch Sportereignisse werden übertragen: Formel1, Fußball und Eishockey; ebenso Sportarten, die in anderen Sendern weniger Aufmerksamkeit bekommen, wie Segeln oder Motorrad-Rennen. Während der Pandemie ist der österreichische Privatsender, der einer Tochterfirma der Red Bull GmbH gehört, aber auch immer wieder durch fragwürdige Informationen zu Corona und Anspielungen auf Verschwörungsnarrative aufgefallen. Kritiker bemängeln, die Berichterstattung sei nicht ausgewogen.
Auch in Deutschland verbreiten sich ServusTV-Reportagen zu Corona, Ausschnitte aus Talksendungen oder Kommentare des Intendanten Ferdinand Wegscheider über die sozialen Medien. Österreichische Medien werfen ServusTV vor, den Sender als Plattform für Corona-Verharmloser zu nutzen. Zahlreiche BR24-Leser haben sich an den #Faktenfuchs gewendet mit der Bitte, den Sender näher zu beleuchten.
Reichweiten in der Pandemie stark gesteigert
Seit Beginn der Pandemie hat ServusTV seine politischen Sendungen erweitert: mit Reportagen oder auch eigenen Diskussionssendungen wie dem “Corona-Quartett” oder “Links.Rechts.Mitte”. Zwar machen Sport und Dokus immer noch einen großen Teil des Programms aus, aber das meiste Echo erzeugen die Sendungen zu Corona. “Im Fokus der politischen Sendungen von ServusTV war und ist die Corona-Pandemie”, sagt Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien und aktuell Vertretungsprofessor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).
ServusTV hat in den Pandemiejahren stark an Reichweite gewonnen und ist mittlerweile der meistgesehene Privatsender Österreichs. 2021 lag der Marktanteil dort bei 3,7 Prozent und damit vor Pro7, Sat1 Österreich, RTL oder österreichischen Privatsendern wie Puls 4 – das stärkste Jahr für den Sender seit Beginn des Sendebetriebs 2009.
Dieser Erfolg liegt laut der Austria Presse Agentur (APA) unter anderem an neu erworbenen Sportrechten, etwa für den Formel 1 Grand Prix in den Niederlanden. Außerdem erreichten politische Inhalte wie die Nachrichten von ServusTV mehr Zuschauer.
Aber auch die Diskussionssendungen oder Dokumentationen von ServusTV zu Corona trugen wohl zum Erfolg bei: Bei einer repräsentativen Umfrage der Uni Wien zur Fernsehnutzung und Einstellungen zu Corona gaben 33 Prozent der Befragten an, im letzten Monat mindestens einmal pro Woche solche Sendungen von ServusTV gesehen zu haben.
Mit den politischen Sendungen zur Pandemie – vom kontroversen Wochenkommentar des Intendanten Ferdinand Wegscheider bis zu Ausschnitten aus Talksendungen und Reportagen – erzielt ServusTV vor allem auf Social Media hohe Reichweiten, einerseits über die eigenen Kanäle, aber auch durch die starke Verbreitung durch User über Telegram.
Wer sind die Zuschauer der politischen Inhalte von ServusTV?
Nutzerinnen und Nutzer, die sich mindestens einmal pro Woche über ServusTV informieren, tendieren laut einer Befragung der Universität Wien in einem höheren Maß dazu, das Coronavirus zu verharmlosen, an Verschwörungstheorien zu glauben, Coronamaßnahmen zu kritisieren und impfskeptisch zu sein als solche, die kein ServusTV schauen.
Zum Beispiel stimmten 31 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer von ServusTV der Aussage zu, Bill Gates wolle die Menschheit zwangsimpfen, um damit viel Geld zu verdienen – eine bekannte Verschwörungstheorie zur Pandemie.
Eine zweite Befragung zeichnet ein ähnliches Bild: Je häufiger die ServusTV-Sendung “Der Wegscheider” rezipiert wurde, desto geringer war die Impfbereitschaft unter den Zuschauern. Ob Befragte durch das Programm von ServusTV skeptischer gegenüber dem Coronavirus wurden oder sie sich eher für dessen Programm entschieden, weil sie dort ihre Ansichten vertreten sahen, können die Daten laut den Forschern nicht beantworten.
ServusTV sei zu einer der “wichtigsten Anlaufstellen für die impfskeptische Szene bis hin zur Querdenker-Szene” geworden, sagt die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig – und das nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. Einzelne Sendungen würden Narrative aufweisen, die genau dieses Publikum bediene. ServusTV sei mit diesen Sendungen ein weiteres Medium aus Österreich, das impfskeptische bis impfgegnerische Menschen auch in Deutschland anspreche, sagt Brodnig, die sich intensiv mit Falschinformationen zur Pandemie beschäftigt.
Neben Inhalten von ServusTV verbreiteten sich auch Beiträge rechter alternativer Medien wie Wochenblick oder report24 aus Österreich in Deutschland. “Für österreichische Online-Medien auch aus dem rechten Spektrum ist der deutsche Markt sehr attraktiv, weil er einfach größer ist und somit ein viraler Artikel dort ungleich mehr Klicks generieren kann als einer, der rein ein österreichisches Publikum anspricht”, sagt Brodnig.
Kritiker werfen dem Sender vor, aus der Pandemie und der Impfskepsis Profit zu schlagen wie kein anderes Medium, indem sie Corona-Verharmloser als Publikum und Quoten-Nische für sich entdeckt hätten.
Dass es für ihre “kritische und unabhängige Berichterstattung” eine steigende Nachfrage gebe, sei unbestritten, schreibt ServusTV auf Anfrage des #Faktenfuchs. “Insofern können wir mit dieser Kritik gut leben”. Alle Impf- und Regierungskritiker, und damit “mindestens 20% der österreichischen Bevölkerung als Spinner, Verschwörungsmystiker oder Rechtsextreme zu diffamieren”, halte ServusTV für “grundsätzlich falsch”.
Laut Informationen des Medienmagazins DWDL.de sind aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung während der Pandemie bereits Werbekunden abgesprungen.
Dass eine kritische journalistische Haltung nicht bei jedem auf Zustimmung stoße, sei “nicht wirklich überraschend”, schreibt ServusTV in einem Statement an den #Faktenfuchs. “Was es bei ServusTV jedenfalls nicht gibt, ist, dass wir unsere Grundsätze über Bord werfen, weil irgendwo ein Werbeauftrag winkt.”
Format des Intendanten: Falschinformationen und Anspielungen und Verschwörungstheorien
Ein Format, das besonders in der Kritik steht, ist der laut ServusTV “satirische” wöchentliche Kommentar “Der Wegscheider”. Der Intendant Ferdinand Wegscheider verbreitete dabei wiederholt falsche oder irreführende Behauptungen. Zum Beispiel sagte er in Sendungen vom November 2021, dass das Anti-Parasitenmittel Ivermectin erfolgreich bei der Behandlung von Covid-19 Anwendung fände (dafür gibt es wissenschaftlich keine Belege, wie dieser #Faktenfuchs zeigt) und dass die Corona-Impfstoffe die Gene verändern würden. Warum diese Behauptung unbegründet ist, sehen Sie in diesem Video.
In der Sendung “Der Wegscheider” würden auch “ganz klar Verschwörungsmythen befeuert, immer unter dem Deckmantel der Satire”, sagt Kommunikationswissenschaftler Eberl von der Universität Wien. Auch Ingrid Brodnig beobachtet “konspirative Rhetorik”. Die Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl sagt: Verschwörungsnarrative würden so aus dem Nischenmilieu in den legitimen Diskurs gehoben.
Beispielsweise nahm Wegscheider in einer Sendung zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September auf Verschwörungstheorien zu 9/11 Bezug, und zählte Zweifel an der “offiziellen Version der USA und der Medien” zu den Anschlägen auf.
Ende November fragt er in einer anderen Folge: “Wer hat die Macht, weltweit Regierungen, Ärzte und Medien zu dirigieren, gemäß seinen Planspielen Lockdowns und Zwangsimpfungen zu verfügen (…)?” Das kann man als Anspielung auf das Verschwörungsnarrativ deuten, dass die Pandemie angeblich von höheren Mächten geplant und gesteuert würde. Solche Erzählungen gab es in den letzten Jahren immer wieder (Faktenchecks dazu zum Beispiel hier: 1, 2, 3, 4).
ServusTV bezeichnet die Kritik, dass die Sendung in diesen Beispielen Verschwörungsnarrative aufweise, als “grotesk” und als Beispiel für “Cancel Culture”. Ein Kommentar spiegele ausschließlich eine persönliche Meinung wider und überzeichne Themen naturgemäß ironisch und kritisch.
Aufsichtsbehörde prüft Programminhalte von ServusTV auf Gesetzesverstöße
Der Presseclub Concordia, die älteste bestehende Journalistenvereinigung weltweit und einer der Träger des österreichischen Presserats, reichte im Dezember 2021 eine Sachverhaltsdarstellung – quasi eine Beschwerde – bei der Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) ein. Diese Behörde ist für Regulierung und Aufsicht von Radio und Fernsehen in Österreich zuständig. Grund seien laut Presseclub Concordia “falsche oder irreführende Äußerungen, einseitige und unsachliche Ausführungen” im Format “Der Wegscheider”. Darin sieht der Presseclub unter anderem einen Verstoß gegen den gesetzlich festgeschriebenen Grundsatz, die verbreitete Information auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Wenn die KommAustria Gesetzesverletzungen feststellt, kann sie zum Beispiel Geldstrafen verhängen oder Sendern auftragen, dass sie im Programm auf die Verstöße hinweisen müssen.
Eine Entscheidung der KommAustria steht noch aus. Auf Anfrage des #Faktenfuchs schrieb ein Pressesprecher, die KommAustria prüfe den Sachverhalt auf mögliche Gesetzesverstöße. Darüber hinaus prüfe sie auf eigene Initiative auch weitere Programmteile von ServusTV “in ähnlichem Zusammenhang” wie bei der Beschwerde des Presseclubs.
“False balance” in Diskussionssendungen von ServusTV
Experten aus der Wissenschaft kritisieren gegenüber dem #Faktenfuchs besonders die Diskussionssendungen auf ServusTV. Dort würden vor allem sogenannte Contrarians eingeladen, sagt Kommunikationswissenschaftler Eberl – gemeint sind Experten oder auch Prominente, die dem wissenschaftlichen Konsens eher widersprechen. Zusätzlich traten in den Sendungen auch renommierte Wissenschaftler auf.
Das Problem sei laut Eberl die sogenannte “False Balance”. So wird die mediale Verzerrung genannt, wenn einer Minderheitsmeinung übermäßig viel Raum gegeben wird. “Radikale Minderheitenpositionen oder klar diskreditierte Wissenschaftler” würden so auf dieselbe Ebene gestellt wie renommierte Fachleute, die den wissenschaftlichen Konsens vertreten, sagt Eberl. Auch der Presseclub Concordia beobachtet “systematische Mängel” im Gesamtprogramm von ServusTV durch “False Balance”.
ServusTV weist diese Vorwürfe von sich: Diese Darstellung sei falsch. Bei der Sendung „Talk im Hangar-7“ seien in den vergangenen Monaten beispielsweise mehr Impfbefürworter als Impfgegner zu Gast gewesen. ServusTV sei stolz darauf, dass in ihren Diskussionssendungen “alle Standpunkte und Meinungen” vertreten seien – auch durch viele Gäste, die “nicht auf Regierungslinie” seien. ServusTV sei “bewusst nicht Teil dieses Systems”. Dass sich diese Gäste auch teilweise abseits des wissenschaftlichen Konsens bewegen, erwähnt ServusTV nicht.
Ehemaliger Moderator kritisiert Gästeauswahl von Diskussionssendungen
Auch Christoph Kotanko kritisiert die Auswahl der Gäste. Er moderierte das Format “Links.Rechts.Mitte” ab dem Sendestart im Februar 2021. Zehn Monate später, im vergangenen Dezember, gab er dann bekannt, dass er ServusTV verlässt. “Wenn vier Gäste eingeladen werden und 50 Prozent davon sind Impfgegner, Impfkritiker, Maßnahmenverweigerer o.ä., gibt das nicht das Meinungsspektrum in der Bevölkerung wieder”,schrieb Kotanko dem #Faktenfuchs. Die Bevölkerung sei nicht in zwei ungefähr gleich große Gruppen „gespalten”. Die “kleine, schrille Minderheit aufzublasen und damit Quote zu machen” bezeichnet er als ein “Geschäftsmodell”.
Laut Ingrid Brodnig fällt der Sender auch mit einer Einladungspolitik auf, “bei der Stimmen vorkommen, die mit wissenschaftlich fragwürdigen Positionen Schlagzeilen gemacht haben oder sogar bis hin ins rechtsextreme Spektrum, die außerhalb der sozialen Medien keine Bühne bekommen und damit aufgewertet werden”.
Martin Sellner von der Identitäten Bewegung war zu Gast
Ein Beispiel für einen geladenen Gast aus dem rechtsextremen Spektrum ist Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung Österreich. Die Identitäre Bewegung wird sowohl vom deutschen als auch vom österreichischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft.
Schon 2016 durfte Sellner in der Sendung “Talk im Hangar-7” zum Thema “Radikale Jugend: Wie gefährlich sind unsere Muslime?” seine Ansichten verbreiten. 2019 lud ServusTV ihn nochmal zum Einzelinterview, um über die Verbindungen der österreichischen Identitären zum Attentäter von Christchurch zu sprechen.
Ein wichtiger Vertreter von wissenschaftlich fraglichen Positionen auf ServusTV war lange Sucharit Bakhdi, ehemaliger Professor für Mikrobiologie, der in der Pandemie schon früh mit teilweise unbelegten, teilweise falschen Behauptungen zu Covid-19 und zur Impfung auffiel (Faktenchecks zu Bhakdi zum Beispiel hier: 1, 2, 3, 4.) Bei ServusTV war er regelmäßiger Gast, obwohl seine Positionen schon vielfach eingeordnet bzw. widerlegt worden waren.
Als Bhakdi sich antisemitisch äußerte (er sagte in einem Interview “das Volk der Juden” habe von den Nazis das “Erzböse” gelernt und “umgesetzt”), bestätigte ServusTV dem “Standard”, dass es keine neuen Auftritte mit Bhakdi mehr gebe.
Auch der Internist Wolfgang Wodarg und der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg, die in den sozialen Netzwerken reichweitenstark Falschinformationen verbreiten, traten bei ServusTV auf.
Fazit
Während der Pandemie sind einzelne Sendungen von ServusTV immer wieder durch falsche Informationen zu Corona, Anspielungen auf Verschwörungsnarrative sowie nicht ausgewogene Berichterstattung aufgefallen. Besonders in der Kritik steht der satirische wöchentliche Kommentar „Der Wegscheider“. Auch kritisieren Experten und Forscher die “False Balance” in Diskussionssendungen von ServusTV – also die mediale Verzerrung, wenn einer Minderheitsmeinung übermäßig viel Raum gegeben wird. Der Sender stand in der Vergangenheit auch in der Kritik, weil mehrmals Martin Sellner von der rechtsextremen Identitären Bewegung als Gast geladen wurde.
Laut einer Befragung der Universität Wien tendieren Nutzerinnen und Nutzer, die sich mindestens einmal pro Woche über ServusTV informieren, in einem höheren Maß dazu, das Coronavirus zu verharmlosen, an Verschwörungstheorien zu glauben, Coronamaßnahmen zu kritisieren und impfskeptisch zu sein als solche, die kein ServusTV schauen. Laut Experten sind Inhalte von ServusTV eine zentrale Quelle die impfskeptische Szene bis hin zur Querdenker-Szene geworden.
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