Die neue Bundesregierung verkürzt bei Ungeimpften den Genesenenstatus nach einer Corona-Infektion von sechs auf drei Monate. Das wirft bei unserer Kolumnistin Fragen auf.
Markige Worte sind kein Ersatz für Evidenz. Was eigentlich selbstverständlich ist, folgt in der Politik oft einer anderen Logik. Ein Bild machen konnte man sich hiervon am 2. Februar in der ARD-Sendung «Maischberger. Die Woche». Janosch Dahmen, Gesundheitsexperte der deutschen Grünen, verteidigte darin den Beschluss der neuen Bundesregierung, bei Ungeimpften den Genesenenstatus nach einer Corona-Infektion von sechs auf drei Monate zu verkürzen. «Die Datengrundlage, die nahelegt, dass es richtig ist, das so zu tun, die ist sehr eindeutig», gab er sich überzeugt. Der Anspruch der neuen Bundesregierung sei, so der Grünen-Politiker weiter, «einen wissenschaftsbasierteren Kurs» zu verfolgen.
Was an dem deutschen Sonderweg wissenschaftlich basiert sein soll, bleibt indes Herr Dahmens Geheimnis und jenes der neuen Regierung. Ausschlaggebend war hierfür eine Nacht-und-Nebel-Aktion des Robert-Koch-Instituts (RKI), die evidenzbasiert daherkommt, wissenschaftlich jedoch auf tönernen Füssen steht. Denn wie aus etlichen Studien hervorgeht, schützt eine vorherige Infektion mit Sars-CoV-2 mindestens ebenso gut vor einer (erneuten) Ansteckung und – was noch bedeutender ist – vor einem schweren Covid-19-Verlauf wie die doppelte Impfung.
Auch gegen die Omikron-Variante sind Personen, die sich zuvor mit anderen Spielarten des neuen Coronavirus angesteckt haben, gemäss den bisherigen Erkenntnissen gut gewappnet. Thomas Voshaar vom Klinikum in Moers, Präsident der Lungenkliniken in Deutschland und in der Sendung aus Düsseldorf zugeschaltet, riet dem Grünen-Politiker daher, den Entscheid umgehend zurückzunehmen, um das Vertrauen der Bevölkerung nicht noch weiter zu verspielen.
Dass sich Genesene so gut gegen weitere Attacken von Sars-CoV-2 zu wehren vermögen, ist eigentlich zu erwarten. So mobilisieren die Impfstoffe die Abwehrkräfte nur gegen das Spike-Protein – also jenen «Stachel» in der Virenhülle, mit dem sich Sars-CoV-2 an den Zellen seiner Opfer festklammert. Bei einer Infektion kommt der Organismus dagegen mit dem ganzen Virus in Berührung und erzeugt daher auch eine sehr viel grössere Bandbreite von Immunwaffen gegen den Eindringling.
Aufschlussreich ist, wie das RKI seinen umstrittenen Entscheid rechtfertigt. Nach Lektüre der «wissenschaftlichen Begründung» auf der Website des regierungsabhängigen Instituts bleiben jedenfalls alle Fragen offen. Von Begründung kann keine Rede sein. Insbesondere bleibt offen, weshalb der Immunstatus von Genesenen schlechter sein soll als jener von Geimpften. Vergessen scheint auch das frühere Mantra, wonach alle Regelungen und Restriktionen letztlich nur das Ziel
verfolgen, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Stattdessen findet man Sätze wie: «Bei den fachlichen Vorgaben für Covid-19-Genesenennachweise geht es primär um den o. g. Schutz vor Virusübertragung (iii) bzw. das Risiko, dass die genesene Person asymptomatisch mit Sars-CoV-2 infiziert ist und das Virus auf andere Menschen übertragen kann.» Da auch Drei- und Vierfachgeimpfte das Virus übertragen können, eine Null-Covid-Strategie also völlig unrealistisch ist, fragt man sich, was das RKI mit seinem evidenzfreien Husarenstück genau bezweckt hat. Dies umso mehr, als Genesene, ob nun geimpft oder nicht, nur selten schwer erkranken. Laut Voshaar befinden sich auf den Intensivstationen «praktisch keine Genesenen».