Bei Markus Lanz im ZDF geht es wieder einmal um die Corona-Pandemie. Der Gastgeber beschwert sich: „Da gibt es sozusagen jeden Tag Apokalypse.“
Hamburg – „Ich habe das alles schon tausendmal gesehen“, sang sich 1980 Peter Hein von der heute noch existierenden NDW-Vorzeige-Band Fehlfarben im Song „Grauschleier“ auf dem legendären Debüt-Album „Monarchie und Alltag“ die Wut aus dem Leib, um pointiert fortzufahren, „Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen!“ Oder anno 2022 Zuschauer bei Markus Lanz im ZDF. Denn eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Mag man sich bei Corona, dem Dauergesprächsthema der letzten zwei Jahre, noch so sehr im Kreis drehen, am Ende wird immer das Prinzip Hoffnung bemüht.
Bevor es am späten Dienstagabend dazu kommt, verteidigt – wie nicht anders zu erwarten – die zugeschaltete Manuela Schwesig als Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns den harten Corona-Kurs ihres Bundeslandes und outet sich auf Nachfrage des Moderators als Befürworterin einer Impfpflicht. Kinder nimmt die SPD-Politikerin allerdings davon aus, ohne eine Altersgrenze zu nennen. Etwas blass bleibt an jenem Abend Dr. Johannes Nießen. Vom Leiter des Kölner Gesundheitsamts, des größten in Deutschland, erfährt man nicht mehr, als was schon längst bekannt ist: „Seit zwei Jahren sind wir am Anschlag.“
Markus Lanz (ZDF): Pro und Contra Corona-Impfpflicht
Die zwei anderen Studiogäste schlagen sich hingegen weitaus besser: Epidemiologe Prof. Dr. Timo Ulrichs äußert sich nicht nur „dank“ Omikron zum wieder ansteigenden Infektionsgeschehen, sondern prognostiziert fachkundig den möglichen weiteren Verlauf. Und die junge Welt-Innenpolitikexpertin Kaja Klapsa hinterfragt, dabei durchaus unterstützt von Markus Lanz, scharfsinnig so manche der von Bund und Ländern getroffene Maßnahmen zur Brechung der akuten Welle. Außerdem spricht sie sich vehement gegen eine Impfpflicht aus. Insofern hat man diesmal zumindest zwei unterschiedliche Fronten anstatt dem mitunter eintönigen Gleichklang vorheriger Sendungen.
Das Ende der Pandemie weiß natürlich keiner von ihnen vorherzusagen. Laut Ulrichs muss die derzeitige immer noch bedenklich stimmende Situation in eine endemische Lage münden. Vorher möchte Markus Lanz (ZDF) von Manuela Schwesig allerdings wissen, warum geboosterte Personen ab jetzt in Mecklenburg-Vorpommern sofort wieder ins Restaurant gehen dürfen, wo doch das Vakzin erst einige Tage nach der Injektion seine Wirksamkeit entfalten würde. Als er in das fast erschrockene Gesicht der First Lady von Meck-Pomm am im Studio installierten Großmonitor blickt, rudert er, der häufig unsinnige Maßnahmen der alten wie auch neuen Regierung in Zweifel gestellt hat, ein wenig verlegen zurück: „Oder bin ich da zu streng?“
Markus Lanz (ZDF): Manuela Schwesig plädiert für einheltliche Corona-Maßnahmen
Dankbar nimmt die ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Kabinett Merkel III seinen Rückzieher auf. Bei allen Verschärfungen zum gesundheitlichen Schutz der Bürger wolle man auch lockern, wo es möglich sei. Auf Lanz’ erste, durchaus berechtigte Frage geht sie allerdings nicht wirklich ein. Lieber spricht sie davon, dass sie in den MPKs (Minsterpräsidentenkonferenzen) schon immer für bundesweit einheitliche Regelungen plädiert habe.
Und dann spricht sie nach, was ihr (und den anderen Politkern und Politikerinnen hierzulande) die wissenschaftlichen Berater ständig vorgeben: „Durch 2G plus und Kontaktbeschränkungen, auch für Geimpfte und Geboosterte ist man stärker geschützt vor schwerer Erkrankung“. Außerdem: „In der Pandemie haben wir das Ziel, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird.“ Politisch gehe es darum, dafür zu sorgen, dass im Notfall alle, in unserem Land auf Intensivstationen betreut werden können, „ob ich einen Herzinfarkt oder Corona habe“.
Die Niederlage vor dem Gericht in Greifswald sieht sie nicht. Da kann man geteilter Meinung sein, da doch das Corona-Warnstufensystem in Mecklenburg-Vorpommern in Teilen gekippt wurde, weil die Auslastung der Kapazitäten auf den Intensivstationen (ITS) falsch bemessen wurde. In der neuen Version werden zur Bestimmung der ITS-Auslastung nur noch die für Covid-19-Patienten vorgesehenen ITS-Betten (circa 100) als Maßstab herangezogen. Die Entscheidung richtet sich konkret gegen Teile der Neufassung der Corona-Landesverordnung. In der vorherigen Fassung der Verordnung war noch die Gesamtzahl der Intensivbetten (600) maßgeblich.
Markus Lanz im ZDF | Die Gäste der Sendung vom 11.01.2022 |
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Manuela Schwesig | Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern (SPD) |
Kaja Klapsa | Journalistin |
Dr. Johannes Nießen | Mediziner |
Prof. Timo Ulrichs | Epidemiologe |
Markus Lanz (ZDF): Intensivstationen vor Weihnachten wegen Corona an Grenzen gestoßen
Als ihr der Talkmaster Markus Lanz mehrfach vorwirft, ihre Landesregierung habe die 100 Corona-Betten als 100 Prozent der Intensivkapazitäten dargestellt, geht sie zum Gegenangriff über: „Herr Lanz, Entschuldigung, ich muss Ihnen widersprechen: Sie stellen das echt falsch dar. (…) Das ist nicht richtig. Das ist auch keine Niederlage, Herr Lanz – im Gegenteil.“ An den Beschluss des Gerichts, dass die Gesamtlage auf den Intensivstationen ausgewiesen werden müsse, werde man sich halten: „Das machen wir jetzt. Das ändert aber an den Regeln im Land gar nichts. Wir waren jetzt ehrlich gesagt sogar froh über das Urteil, weil es ja bestätigt hat, dass es vor allem auch um die Intensivkapazitäten geht.“
Vor Weihnachten seien andere wichtige Operationen, etwa bei Krebspatienten, verschoben worden. Epidemiologe Timo Ulrichs pflichtet ihr im ZDF bei, dass vor dem Fest die Intensivstationen teilweise an ihre Grenzen gestoßen waren. „Wir müssen uns schon Sorgen machen“, findet auch Mediziner Johannes Nießen. Der Gastgeber gibt sich nicht geschlagen: „Warum muss man immer diesen alarmistischen Ton anschlagen?“, moniert er, „Da gibt es sozusagen jeden Tag Apokalypse und möglicherweise gibt es gar keine Apokalypse. Das ist doch das Gefühl, das viele Leute haben.“ Ulrich kontert für Schwesig. Was verstehe denn Lanz unter dem Begriff? Wäre die Prognose der Weltgesundheitsbehörde (WHO), dass sich im März jeder zweite Europäer mit Omikron angesteckt habe, nicht apokalyptisch genug?
ZDF-Talk bei Markus Lanz: Kommt eine Corona-Impfpflicht?
In Kaja Klapsa findet der Ex-„Wetten, dass.. ?“- Präsentator Markus Lanz eine Verbündete. Nicht jeder, der gegen die derzeitigen Massnahmen und eine Impfpflicht, die Karl Lauterbachs Vorgänger als Gesundheitsminister, Jens Spahn (CDU), mehrfach „kategorisch“ ausgeschlossen habe, auf der Straße demonstriere, sei „rechtsradikal“ oder ein „Querdenker“. Die Politik spreche stets von einer „kleinen Minderheit“, dabei seien 12,5 Millionen Erwachsene bis heute nicht grundimmunisiert. Menschen, die eine Begrenzung der Freiheitsrechte in Kauf genommen hätten, würden sich höchstwahrscheinlich auch nicht durch Bußgelder zu einer Corona-Impfung zwingen lassen. Klapsa erwartet maximal, dass eine Impfpflicht höchstens für Menschen ab 50 Jahren umgesetzt wird: „Aber Stand jetzt würde ich sagen: Sie kommt gar nicht.“
Zur Sendung
Markus Lanz (ZDF) vom 11. Januar 2022. Die Sendung im Netz.
Sie warne die Politik davor, eine Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben, indem kritische Stimmen alle über einen Kamm geschoren würden. Hier hat sie absolut recht. Erstens war das Wort „Querdenker“ vor einigen Jahren noch nicht negativ besetzt, weil es mit dem instrumentalisierten und radikalisierten Mob, der gegen Polizisten Gewalt ausübt und Fackelzüge vor Häuser von Politikern und Politikerinnen veranstaltet, absolut nichts gemein hat, sondern eher reflektierte Zeitgenossen so bezeichnete, die Stromlinienförmigkeit hinterfragen. Zweitens müsse man auch Menschen ernst nehmen, die von der schlechten beziehungsweise verlangsamten Organisation der überlasteten Gesundheitsämter genervt seien. So höre sie immer wieder, dass deren Quarantäne-Briefe erst nach der Genesung bei mit Corona-Infizierten eingetroffen wären. Das würde den Glauben an Politik, Wissenschaft und Behörden hierzulande nicht gerade stärken. Impflicht auf Verdacht gehe gar nicht.
Markus Lanz bricht im ZDF eine Lanze für die Kultur
Markus Lanz (ZDF) bricht dann erfreulicherweise erneut eine Lanze für die Kultur. Er möchte von Manuela Schwesig in Erfahrung bringen, warum Restaurants in Mecklenburg-Vorpommern offen bleiben dürfen, während Kinos, in denen sich nachweislich bei Hygiene-Schutzkonzepten niemand angesteckt habe, geschlossen bleiben müssen. Auch hier weicht die 47-jährige Ministerpräsidentin, die zusätzlich zusammen mit Hermann Gröhe (CDU) Vorsitzende des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat ist, aus: In Lichtspielhäusern würden mehr Menschen aufeinander treffen, als in Restaurants. Hier muss man sie korrigieren: Kleine Schachtel-Kinos haben häufig geringere Kapazitäten als große Restaurants oder Tavernen.
Dann kommt dem Moderator im ZDF ein „elektrisierender Gedanke“: Omikron sei wahnsinnig ansteckend, verlaufe aber oftmals viel milder als bisherige Corona-Varianten! Er brauche ja zum Abschuss ein bisschen Hoffnung, wendet er sich flehentlich Ulrichs zu. „Ja, ja, ich war schon lange und oft hier, aber irgendwann ist es auch genug“, sorgt dieser für den realsatirischen Moment des Abends.
Durch beständige Impfung weltweit (tatsächliche Nebenwirkungen, die meistens als „statistisches Rauschen“ abgetan werden, thematisiert er nicht) und Durchseuchung, könnte laut Nießen „die Pandemie durch die Endemie besiegt werden“. Und: „Wir müssten dann nicht mehr neue griechische Buchstaben lernen“. Ulrichs Vergleich, dass die neuen HIV-Infektionen in Südafrika stark abgenommen haben, weil das Land mit diesem ebenfalls gnadenlosen Virus schon über Jahrzehnte konfrontiert gewesen sei, wirkt allerdings nicht wirklich beruhigend. Die Krise als Chance? Ernst Blochs Prinzip Hoffnung sah anders aus. (Marc Hairapetian)