Deutsche Welle

Lügen, Judenhass und Ignoranz

08.12.2021
Lesedauer: 8 Minuten
Die Deutsche Welle gab online einen irakischen Sender als Partner an, der im Wahlkampf Propaganda für einen berüchtigten Miliz-Führer sendete Quelle: Getty Images/Ron Chaple, picture alliance/Stringer/Anadolu Agency; Montage: Infografik WELT

Israelfeinde wurden bei der Deutschen Welle nicht nur als Mitarbeiter geduldet, sondern auch als Experten eingeladen. WELT-Recherchen zeigen, wie Kritik am Redaktionsklima vom Intendanten harsch unterbunden wurde. Zudem gab es weitere fragwürdige Partnerschaften.

Wer in diesen Tagen mit Vertretern der Deutschen Welle über ihre arabische Redaktion sprechen möchte, bekommt nur eine kurze Antwort: „Wir werden während der laufenden Untersuchung von Vorwürfen keine punktuellen Stellungnahmen abgeben.“

Das Bekanntwerden schwerer Fälle von Antisemitismus in den Reihen der Redaktion hat den deutschen Auslandsrundfunk erschüttert. Redakteure und freie Mitarbeiter sowie Ausbilder der Deutsche Welle Akademie sollen sich wiederholt offen antisemitisch geäußert, den Holocaust geleugnet und mit islamistischen Ideologien sympathisiert haben, berichtete zunächst die „Süddeutsche Zeitung“. Wenig später deckte das Magazin „Vice“ auf: Die aus Steuergeldern finanzierte Deutsche Welle kooperiert seit Jahren mit dem israelfeindlichen jordanischen Sender Roja TV und dem libanesischen Sender Al Jadeed TV, der der islamistischen und in Deutschland verbotenen Hisbollah nahesteht.

Seit den Enthüllungen hat die Deutsche Welle die Partnerschaft mit Roja TV beendet. Eine unabhängige Kommission soll die redaktionsinternen Vorwürfe aufklären. Intendant Peter Limbourg spricht von „privaten, widerlichen Äußerungen Einzelner“. Er betont aber auch: In der Redaktion sei nie weggesehen worden, es gelte bezüglich Antisemitismus ein klarer Kodex. Intern gäbe es viele Möglichkeiten, Missstände offen zu benennen.

Neue Recherchen von WELT ziehen das in Zweifel. Dokumente, Audiodateien und Schilderungen aus der Redaktion zeichnen das Bild einer Angstkultur, in der Kritik systematisch unterdrückt wird. WELT wurden zudem weitere antisemitische und islamistische Einlassungen von Redaktionsmitgliedern und regelmäßigen Live-Gästen der Deutschen Welle bekannt. Die Fälle lassen es unglaubwürdig scheinen, dass der Redaktionsleitung die problematischen Tendenzen im eigenen Haus verborgen geblieben sein können.

Israelfeinde im Doppelpack?

Ganz deutlich wird die mangelnde Sensibilität für israelfeindliche Positionen im Falle von Farah Maraqa. Die Deutsche Welle holte die 34-jährige palästinensisch-jordanische Journalistin nach einem Praktikum im Jahr 2016 im August 2017 als freie Mitarbeiterin von Jordanien nach Berlin.

Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle
Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle
Quelle: pa/SvenSimon/Malte Ossowski/SVEN SIMON

Maraqas Referenzen waren bis dahin spärlich. Und sie hätten für die Deutsche Welle ein Warnsignal sein können. Bis einschließlich 2017 arbeitete Maraqa für die aus London betriebene arabischsprachige Onlinezeitung „Rai Alyoum“. Dort schrieb M. 2014 etwa, Israel sei ein „Krebs“ sei, der herausgeschnitten werden müsse, damit „wir alle davon geheilt werden.“ Sie, Maraqa, würde sich auch der Terrorgruppe IS anschließen, wenn diese „die Israelis aus dem Heiligen Land rausschmeißt“, erklärte sie im Dezember 2015. Im August 2017, als der Deutsche-Welle-Redaktionsleiter Naser Shrouf bereits intern verkündet hatte, dass Maraqa zum Team in Berlin stoßen werde, schrieb sie bei „Rai Alyoum“, der katarische Sender Al-Jazeera habe ein Tabu gebrochen, indem er Israelis einlade, die dort ihre „historischen Lügen (…) propagieren“ dürften.

Doch die Berührungspunkte zwischen der Deutschen Welle und der immer wieder offen antisemitischen Nachrichtenseite endeten nicht mit dem Abwerben der Journalistin. 2017 begann die Deutsche Welle, regelmäßig den Chefredakteur von „Rai Alyoum“, Abdelbari Atwan, für Liveschalten und Talkshows einzuladen. Anders als Maraqa war Atwan zu diesem Zeitpunkt bereits international bekannt und sein Hang zu Islamismus und antisemitischen Kommentaren gut dokumentiert. So schrieb die „Times of Israel“ 2013 über Atwan, dieser sympathisiere mit Al-Kaida-Anführer Osama Bin Laden und sei berühmt für seine Aussage, er würde auf dem Trafalgar Square tanzen, wenn iranische Raketen Israel träfen.

Atwan gilt als Sympathisant des Assad-Regimes, in Kolumnen feiert er Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, bei Twitter bezeichnet er die erzwungene Flucht von Palästinensern 1948 aus ihrer Heimat als größeres Übel als den Holocaust. 2012 schrieb er, Deutschland sei ein „unterwürfiges Land, das sich dem globalen Zionismus beugt und keinen Respekt verdient“. Das hinderte den Journalisten gleichwohl nicht daran, ab 2017 bis mindestens 2020 in der Deutschen Welle Dutzende Male das politische Geschehen zu analysieren – teils mehrfach pro Woche. Maraqa bezeichnete Atwan 2017 in einem Artikel als „ihren großen Lehrer“. Heute, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“, würde sie den „Richtlinien der DW folgen und beruflich wie persönlich für diese Werte stehen“.

Intern sorgte die Personalie Atwan für Kritik. Auch die damalige Chefredakteurin Ines Pohl wurde von einem Mitarbeiter per E-Mail auf die fragwürdige Haltung des regelmäßigen Gastes aufmerksam gemacht.

Womöglich gab bei der Entscheidung der arabischen Redaktionsleitung, nicht zu intervenieren, eine einfache Überlegung den Ausschlag: Der Populist bringt Reichweite. Allein bei Twitter folgen Atwan mehr als zwei Millionen Menschen.

Kritik kann zur Entlassung führen

Es war nicht das einzige Mal, dass Mitarbeiter erfolglos versuchten, auf Missstände aufmerksam zu machen. So bekam Intendant Peter Limbourg Ende 2018 ein von 18 Mitarbeitern unterschriebenes Schreiben über schwerwiegende Missstände in der arabischen Redaktion zugestellt.

Die Unterzeichner kritisierten darin Demütigungen, Einschüchterungen und Manipulationen durch Führungskräfte. Besonders empörend sei ein Vorkommnis Mitte Juni 2018, als ein dienstälterer Kollege einer jüngeren Kollegin am Arbeitsplatz gedroht habe, ihr den Finger zu brechen. Seit Jahren würden Kolleginnen und Kollegen aus der arabischen Redaktion angeschrien, beleidigt oder bedroht. Ein Großteil dieser Vorfälle gehe von der Leitung der arabischen Redaktion selbst aus, also auch von Naser Shrouf.

Der Brief hatte Konsequenzen – für die Unterzeichner. Die Zusammenarbeit mit mehreren freien Mitarbeitern, die den Brief unterzeichnet hätten, wurde beendet.Bei einer Personalversammlung im Dezember 2018 sprach ein Verdi-Vertreter laut einer Aufzeichnung, die WELT vorliegt, von einem „Klima der Angst“. Bereits nach wenigen Minuten wurde der Gewerkschafter mit den Worten „Das ist hier keine Verdi-Veranstaltung“ unterbrochen.

Intendant Limbourg stellte sich derweil unmissverständlich hinter Naser Shrouf. Dieser sei „ein hervorragender Redaktionsleiter“ und habe das volle Vertrauen des Senders. Sogar Applaus forderte Limbourg von der Belegschaft an Ort und Stelle für die in der Kritik stehende Führungskraft. Und Limbourg befand: „Das Unterschreiben von Petitionen von vielen Menschen kann ja nicht dazu führen, dass man dadurch nicht mehr irgendwie seine freie Mitarbeit verliert.“

Im Sommer 2019 berichtete die „Zeit“ erneut über Missstände und einen mutmaßlichen Missbrauchsfall in der arabischen Redaktion, Anfang 2020 der britische „Guardian“. Redaktionsleiter Shrouf blieb davon unversehrt.

In einem WELT-Interview beteuerte der Intendant zuletzt, die Spannungen der Vergangenheit seien in der Redaktion ausgeräumt worden. „Die Konflikte, die es gab, sind wir mit sehr vielen Workshops und Trainings angegangen“, sagte Limbourg. Tatsächlich wurden Seminare zur besseren Kommunikation anberaumt. Mehrere E-Mails zeigen jedoch, dass diese gleich mehrfach wegen geringer Beteiligung abgesagt werden mussten. Beim letzten Anlauf im Herbst 2019 gab es gerade einmal vier Anmeldungen.

Facebook-Nutzer merkte, was Leitung übersah

Selbst Zuschauern fielen indes israelfeindliche Äußerungen von Angestellten der Deutschen Welle in den sozialen Medien auf. So konfrontierte ein Facebook-Nutzer im Februar 2020 die Pressestelle des Senders mit Äußerungen des Redakteurs Morhaf Mahmoud. Unter anderem hatte dieser Israel auf seiner Facebookseite als den „Feind“ bezeichnet. Morhaf Mahmoud habe die Aussage als Privatperson getroffen und nicht als Mitarbeiter der DW, antwortete ein Sprecher des Senders. M. habe sich zudem für die Wortwahl entschuldigt.

Intendant Limbour aber will von derartigen Ausfällen nichts mitbekommen haben. Ebenso wenig wie von der antisemitischen Haltung des Chefredakteurs des ehemaligen Partnersenders Roja TV, Fares Sayegh, dem er noch im vergangenen Jahr einen „Freedom of Speech“-Award verlieh, wie „Vice“ berichtete. Sayegh verbreitet auf seinem Twitter-Account regelmäßig antisemitische Karikaturen. Auf einem von ihm geposteten Bild heißt es: „Das zionistische Israel war nie ein Staat.“

Im Libanon kooperierte man mit Al Jadeed TV, ein Sender, der unkritisch den Tod von Hisbollah-Terroristen betrauerte. WELT-Recherchen zeigen: Ein entsprechender Beitrag wurde 2015 von Bassel Aridi verantwortet, den die Deutsche Welle später zum Büroleiter in Beirut machte.

Auch im Irak ging die Deutsche Welle derweil eine fragwürdige Partnerschaft ein. Zwischen 2017 und 2018 führte der Rundfunk den irakischen Sender Al Rasheed TV auf Webseite als Partner an. Al Rasheed TV gehört dem wohlhabenden arabischen Nationalisten Saad Assim al-Janabi. Al-Janabi wurden in der Vergangenheit Verbindungen zur Familie von Saddam Hussein und dem Geheimdienst des Baath-Regimes nachgesagt. Heute hat er eine eigene Partei. Bei den Parlamentswahlen im Irak 2018 unterstützte er mit dieser den schiitischen Milizionär und fundamentalistischen Kleriker Muqtada al-Sadr, dessen Truppen während des Irakkriegs für zahlreiche Bombenattentate und Hinterhalte auf die US-geführte Koalition verantwortlich waren.

Zu einer Zeit als die Deutsche Welle mit Al Rasheed TV kooperierte, machte der Sender Wahlkampf für Muqtada al-Sadr
Zu einer Zeit als die Deutsche Welle mit Al Rasheed TV kooperierte, machte der Sender Wahlkampf für Muqtada al-Sadr
Quelle: REUTERS

Laut einer Untersuchung des Wahlkampfes durch die Organisation Media in Cooperation and Transition ergriff auch Al Rasheed TV eindeutig Position für Sadr. Die Forscher kommen zu dem Schluss: „Es handelt sich um einfache und schlichte Parteipropaganda.“

Eine Anfrage, ob die Partnerschaft mit Al Rasheed TV weiter besteht, ließ die Deutsche Welle wie alle weiteren Fragen unbeantwortet.

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