Interview

«Die Bundesregierung stiehlt sich aus der Verantwortung»: Der Usedomer Hotelier Tim Dornbusch kämpft weiter für das Recht auf Entschädigung

08.04.2021
Lesedauer: 6 Minuten
Die Seebrücke im Ostseebad Bansin auf Usedom ist menschenleer. Ronald Krumbholz / Imago

Auf der Ostsee-Insel Usedom steht das Hotel- und Gastgewerbe vor dem Kollaps. Ohne eine klare Öffnungsperspektive seien Insolvenzen unvermeidbar. Tim Dornbusch hofft auf Hilfe durch das Bundesverfassungsgericht.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wünscht sich einen «Brücken-Lockdown», die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag einen «radikalen Wellenbrecher». Was wünschen Sie sich denn, Herr Dornbusch?

Aus meiner Perspektive kann ich nur sagen: Wir brauchen eine verantwortungsvolle Öffnung der Hotels und Gaststätten mit den entwickelten Hygienekonzepten, so schnell wie möglich.

Das Fortschreiten der Pandemie bekümmert Sie nicht?

Ich möchte die Gefahren nicht kleinreden, aber an eine Episode aus meiner Kindheit erinnern. Als ich 1969 eingeschult wurde, wütete die sogenannte Hongkong-Grippe. Zehntausende Menschen starben in Deutschland daran, aber es gelangte nicht auf die Wahrnehmungsebene meines unmittelbaren Umfelds. Es war einfach nicht das grosse, das deutschlandweite Thema. Heute sind wir als Gesellschaft in einer Schockstarre, die sich von schlimmen Nachrichten in Endlosschleife nährt. Das bekommt keinem gut.

Als wir uns Ende November vergangenen Jahres sprachen, hatten Sie und fünf weitere Usedomer Hoteliers gerade beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen das Infektionsschutzgesetz eingelegt. Sie wollten erreichen, dass der Bundestag Entschädigungsansprüche im Gesetz verankert. Blosse Hilfsprogramme genügten nicht. Wer Übernachtungsangebote gesetzlich untersage, müsse auch das Recht auf Entschädigung gesetzlich garantieren. Was ist daraus geworden?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde Anfang Dezember für unzulässig erklärt, weil nicht alle Rechtswege ausgeschöpft worden seien. Wir haben daraufhin beim Verwaltungsgericht Berlin eine Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundestag und dessen Präsidenten, eingereicht. Das Verwaltungsgericht Berlin verwies uns an das Verwaltungsgericht Köln, da das Bundesgesundheitsministerium seinen ersten Dienstsitz in Bonn hat. Aus Köln erreichte uns Anfang März die Nachricht, es handele sich vermutlich um eine «verfassungsrechtliche Streitigkeit, die nicht in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gehöre».

Also dreht sich das Verfahren im Kreis.

Uns stimmt die Aussage des Verwaltungsgerichts Köln hoffnungsfroh. Sie zeigt, dass unsere Beschwerde am Ende doch beim Verfassungsgericht landen könnte. Dort gehört sie auch hin. Wir müssen zum Recht und zum Grundgesetz zurückkehren. Hotels werden durch die Verbote des Infektionsschutzgesetzes kalt enteignet. Die Lebensleistung von Generationen steht auf dem Spiel. In meinem Fall könnten 50 Jahre Familiengeschichte unverschuldet den Bach hinuntergehen. Die Bundesregierung stiehlt sich aus der Verantwortung. Ein CDU-Abgeordneter sagte mir, ins Infektionsschutzgesetz seien keine Entschädigungszahlungen eingebaut worden, weil solche Entschädigungen Ländersache seien.

Hatten Sie seit letztem November irgendeinen Umsatz im Hotel?

Nein, gar keinen. Wir haben gerade jetzt, Anfang April, die Dezemberhilfe bekommen. Unser Hotel war bereits Mitte März bis Mitte Mai vergangenen Jahres geschlossen – und ist es nun wieder seit November. Der Lockdown geht also in seinen achten Monat. Unser normaler Jahresumsatz beträgt 15 Millionen Euro mit rund 130 Angestellten.

Wie viel Geld haben Sie aus den staatlichen Hilfen bekommen?

Wir erhielten im vergangenen Jahr 15 000 Euro für unseren stillgelegten Schwimmbadbetrieb – das entspricht einem Umsatz von acht Stunden. Danach beantragten wir ein Darlehen zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen beim Landesförderinstitut, das wir mittlerweile zurückgezahlt haben. Von der KfW erhielten wir drei Millionen Euro über unsere Hausbank als abzuzahlendes Darlehen. Hinzu kommen die November- und die Dezemberhilfe in Höhe von insgesamt 1,5 Millionen Euro.

Wie verhält es sich mit der Überbrückungshilfe III? Laut Bundesfinanzministerium ist sie «das zentrale Programm der Bundesregierung für Unternehmen mit einem erheblichen Corona-bedingten Umsatzrückgang».

Sie ist eher ein potemkinsches Dorf. Die Überbrückungshilfe III darf ab einer bestimmten Förderhöhe laut EU-Beihilferecht nur 70 Prozent der ungedeckten Fixkosten betragen.

Auch die Seebrücke von Ahlbeck haben die Einheimischen derzeit für sich.
Foto: Ronald Krumbholz / Imago

Wie hoch waren dann alles in allem die Erstattungen für die staatlich verhängte Betriebsschliessung?

Wenn ich das Darlehen, das wir zurückzahlen müssen, aussen vor lasse, wurde ein bisher achtmonatiger Umsatzausfall von zirka zehn Millionen Euro mit 1,5 Millionen Euro kompensiert.

Angesichts stark gesunkener Ausgaben sieht das nicht so schlecht aus.

Doch. Wir verbrennen jeden Tag Geld. Das Insolvenzrisiko bleibt bestehen, und hohe Tilgungen für lang laufende Kredite sind zu erbringen. Zahlreiche Investitionen in unserem Hotel beruhen auf Krediten, die 2024, 2026 und 2028 abbezahlt wären. Tilgungen können ein Unternehmen strangulieren, gelten sie doch nicht als erstattungsfähige Fixkosten. Mein einziger Gläubiger ist die Bank. Ihr muss ich pro Jahr 1,8 Millionen Euro Kapitaldienst leisten – allein diese Summe ist höher als sämtliche bisher eingegangene staatliche Hilfe.

Fast ganz Usedom lebt vom Tourismus. Wie nehmen Sie die Stimmung auf der Insel wahr?

Als niedergeschlagen und mutlos. Die Betriebe sind inhabergeführt, die Angestellten, zum Teil seit Jahrzehnten dabei, leisten Kurzarbeit. Wie soll man als Köchin mit 60 Prozent Gehalt auskommen, wenn man davon die Eltern unterstützen muss? Oder als Restaurantleiter, der Frau und Kind ernähren muss? Das reicht vorne und hinten nicht. Wenn der Lockdown nicht bald gelockert wird, sind Insolvenzen unausweichlich.

Haben Sie Hoffnungen für das Sommergeschäft?

Von Mai bis Oktober machen wir den entscheidenden Umsatz, und von Januar bis März wird er in den Buchungen entsprechend vorweggenommen. Was im Mai fehlt, kann im Juni nicht ersetzt werden. Darum erwarten wir von der Politik, dass die im Mai und Juni ausfallenden Umsätze ebenso behandelt werden wie jene in November und Dezember – und zu 75 Prozent erstattet werden. Wir brauchen eine Mai-und-Juni-Hilfe. Es genügt nicht, nur die Kosten teilweise zu ersetzen.

Wie sieht momentan die Buchungslage für den Sommer aus?

Schlicht miserabel. Daran wird sich nur etwas ändern, wenn die Politik endlich bereit ist, einen Endpunkt für den Lockdown zu nennen, und wäre es der Juni. Anfang 2020 hatten wir bis zum Lockdown am 19. März bereits ein Reservierungsvolumen von sieben Millionen Euro für die Sommermonate in den Büchern stehen. Anfang dieses Jahres verbuchten wir im selben Zeitraum nur 2,8 Millionen Euro für den Sommer. Der Markt braucht jetzt ein Signal. Sonst bucht keiner mehr.

Aus der Politik hören wir einen anderen pandemischen Imperativ: Man müsse alles tun, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.

Dieser Imperativ verfängt bei immer weniger Menschen. Einerseits soll die mittlerweile dominierende Virusmutante B 1.1.7 ansteckender und tödlicher sein als ihre Vorgänger. Andererseits sehe ich auf den offiziellen Seiten des Landesamts für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern, dass seit Monaten der Anteil schwerer Fälle unverändert bei fünf Prozent der Infizierten liegt. Da wäre wirklich weniger Panik angebracht.

Blick auf den Ostseestrand von Bansin.
Foto: Ronald Krumbholz / Imago

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