Helios Kliniken

Weniger Ärzte, hohe Gewinne

11.05.2021
Lesedauer: 10 Minuten
Patiententransport im Helios-Klinikum in Berlin-Buch © Andreas Pein/​laif

Helios, die größte private Krankenhauskette in Deutschland, baut Stellen für medizinisches Personal ab und nutzt gleichzeitig schlau die Corona-Staatshilfen. Was heißt das für die Patienten?

Anfang Dezember rollt die zweite Welle der Pandemie über München hinweg. Seit Wochen liegt die Inzidenz über 200, die Intensivstationen der Krankenhäuser müssen mehr und mehr Covid-19-Patienten aufnehmen. Verzweifelt wenden sich 20 Ärzte und Ärztinnen des Helios Klinikums München West an ihren Geschäftsführer.

„Zeitdruck und Unterbesetzung führen zur Unmöglichkeit essenzieller Diagnostik, Fehler häufen sich“, schreiben sie dem Manager am 1. Dezember 2020. Das Wohl der Patienten sei gefährdet. „Wir befinden uns im Notbetrieb“, und dieser sei „nur noch durch ein unzumutbares Ausmaß an Überstunden der Ärzteschaft“ zu bewältigen. Den Dienstplan könnten die Klinikärzte „noch nicht einmal bei einer Krankenquote von null Prozent“ füllen. „Bitte betrachten Sie dieses Schreiben daher auch als Gefahrenanzeige“, schließen die Ärzte. Ihr Brief liegt der ZEIT vor.

War der Notruf der Ärzte der Pandemie geschuldet? Oder offenbart sich in diesen Wochen der Krise nur besonders krass, wie Helios-Kliniken geführt werden? Von ihnen gibt es 89 Stück. Helios ist die größte private Krankenhauskette in Deutschland. Und diese gehört wiederum zum Gesundheitskonzern Fresenius, dessen Aktien im wichtigsten deutschen Aktienindex Dax enthalten sind.

Gewinn wandert von Hand zu Hand, von unten nach oben

Florian Aschbrenner, der Geschäftsführer in München, lässt das Flehen der Ärzte an sich abtropfen. „Ich kann Ihre Unsicherheit gut nachvollziehen“, schreibt er ihnen Wochen später zurück und verweist auf die „große Verantwortung“ der ärztlichen Führungskräfte. „Wir müssen altbewährte Strukturen verlassen und uns praktisch wöchentlich auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen.“ Auch dieser Brief liegt der ZEIT vor.

Kurz darauf habe der Manager in einer Runde mit Chefärzten ausgebreitet, dass seine Klinik einen Rekordgewinn erzielt habe. 20 Millionen Euro habe sein Haus im vergangenen Jahr gemacht, sagt Aschbrenner, so berichten es Zeugen. Die Klinik selbst nimmt auf Nachfrage zu konkreten Zahlen nicht Stellung, bestätigt aber ihre gute wirtschaftliche Lage. Schöne Nachrichten sind das, nicht nur für Aschbrenner, sondern auch für die Helios-Zentrale in Berlin. Das ist so üblich in einem Konzern. Gewinn wandert von Hand zu Hand, von unten nach oben.

Finanziell gesehen war 2020 für die international tätige Krankenhauskette ein hervorragendes Jahr. Ihre spanischen Kliniken steuerten rund 400 Millionen Euro Gewinn vor Steuern dazu bei, die deutschen Kliniken 600 Millionen Euro Gewinn vor Steuern, mitten in der Pandemie.

Aber auch bei der Helios-Zentrale verbleibt der Gewinn nicht einfach, er fließt weiter in die Bücher von Fresenius. Der Gesundheitskonzern, zu dessen Geschäftsfeldern neben Krankenhäusern auch Medizintechnik gehört, meldete für das vergangene Jahr ein Ergebnis von insgesamt 4,6 Milliarden Euro vor Steuern. Vorstandschef Stephan Sturm sagt, man habe 2020 „gut gemeistert“. Er untertreibt – und verwöhnt die Aktionäre, indem er die höchste Dividende ankündigt, die Fresenius jemals ausgeschüttet hat. Fast eine halbe Milliarde Euro sollen es insgesamt sein. Das letzte Wort hat die Hauptversammlung am 21. Mai.

So steht die Sorge der Ärzte in München um ihre Patienten letztlich mit der Höhe einer Dividende in einem gewissen Zusammenhang. Dagegen ließe sich einwenden, es sei unausweichlich, dass Mediziner in einer Pandemie eben besonders gefordert sind. Doch die Kritik der Münchner Ärzte an Helios ist grundsätzlicher: Sie beklagen sich in ihrem Brief an ihren Geschäftsführer auch darüber, dass schon länger dringend benötigte Einstellungen nicht genehmigt und bestehende Stellen systematisch nicht nachbesetzt würden.

Für sich genommen wirkt jeder einzelne Fall nicht sonderlich beeindruckend, zusammengezählt ergeben sie ein Bild. Mehrere Mediziner berichten der ZEIT davon. Einem Kollegen sei ungefragt ein Verlängerungsvertrag zugeschickt worden, in dem seine Stelle auf die Hälfte reduziert wurde. Andere seien in der Probezeit entlassen worden. Ein Unfallchirurg habe gekündigt, weil wegen der aus seiner Sicht unzulänglichen Personalpolitik die Patientenversorgung nicht mehr gewährleistet sei.

Die Ärzte der Abteilung für Innere Medizin schreiben in ihrem Brief: 17,25 Stellen wären demnach nötig, um den Minimalbetrieb von Intensivstation über Notaufnahme, Nachtdienst und Notarztversorgung bis hin zur Normalstation zu gewährleisten. In ihrer Abteilung gebe es jedoch nur 14,5 Stellen. Weitere Abteilungen des Krankenhauses haben ähnliche Berechnungen angestellt und Daten gesammelt. In der Unfall- chirurgie etwa seien im März 2020 noch zehn Assistenzarztstellen vorgesehen gewesen – im März dieses Jahres nur noch 6,5 Stellen. Bei den HNO-Ärzten sei die Stellenzahl im selben Zeitraum von acht auf fünf gesunken.

Auch unter den Chefärzten des Klinikums gab es Unruhe. Im Sommer vergangenen Jahres – mitten in der Pandemie – verließen die Chefs der Unfallchirurgie und der Lungenabteilung das Haus.

Auf Nachfrage geht die Klinikleitung nicht auf die Berechnungen ein. Aber sie bestätigt, dass sie „den Ärztlichen Dienst neu fokussieren“ wolle und „eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit mit gemeinsamen Dienstmodellen“ anstrebe. Für diese „Anpassungen nutzen wir die natürliche Fluktuation und prüfen Nachbesetzungen“.

Wie sich herausstellt, ist die Münchner Klinik kein Einzelfall.

Auch das Herzzentrum Leipzig gehört zu Helios. Dort klagen Ärztinnen und Ärzte ebenfalls über Personalknappheit und einen hohen Arbeitsdruck. Dem Nachrichtenmagazin Exakt des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) sagten Mediziner im April: Fast jeden dritten Tag müsse der Rettungsleitstelle signalisiert werden, dass man keine neuen Notfallpatienten aufnehmen könne. Es fehle Personal – in der Pflege, aber auch bei den Ärzten. Das betreffe nicht nur Corona-Infektionen. Als Exakt bei der Klinik nachfragte, bestätigte die Geschäftsführung, man plane sogar mit noch weniger Ärzten. Die Antworten veröffentlichte das Zentrum auch auf seiner Website.

„Eine gezielte Verringerung von Arzt-Kapazitäten“

Im Reich von Fresenius sind die Helios-Kliniken in München und Leipzig mit ihrer rigiden Personalpolitik aber nicht etwa schwarze Schafe – vielmehr sind sie Vorreiter. So darf man Stephan Sturm jedenfalls verstehen. Bei einer Telefonkonferenz am vergangenen Donnerstag sagte der Fresenius-Chef über Helios: Es werde „eine gezielte Verringerung von Arzt-Kapazitäten“ geben. Das sei notwendig, „um unsere Profitabilität zu sichern“. Der Konzern gibt auf Nachfrage an, dass man sich jede Abteilung in jeder Klinik genau angeschaut habe. Und er gibt zu erkennen, dass es insgesamt um mehrere Hundert Stellen geht. Fresenius-Chef Sturm sagte am Donnerstag zu Bankanalysten auch noch, es könne sogar zum „Verkauf von Kliniken“ kommen, um die Kosten zu drücken.

Weniger Ärzte, mehr Gewinn. So lautet die Gleichung. Damit endet vorläufig die Erzählung vom privaten Klinikkonzern, der Wachstum, Gewinn, Hightechmedizin und Spitzenversorgung für die Patienten gleichermaßen leisten kann.

An dieser Stelle ist wichtig, zu wissen, wie die fetten Gewinne des vergangenen Jahres zustande gekommen sind: Wegen der Pandemie waren viele Patienten dem Krankenhaus, wann immer möglich, ferngeblieben. Gegenüber dem Vorjahr sank ihre Zahl um 13 Prozent. Damit drohten den Kliniken eigentlich viele Einnahmen zu entgehen. Doch zeitgleich passierte etwas, das leere Betten in Geldmaschinen verwandelte. „2020 war das goldene Jahr der Krankenhausfinanzierung“, sagt Wulf-Dietrich Leber, der Abteilungsleiter Krankenhäuser beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erfand die Freihaltepauschale. Jedes Bett, das wegen der Pandemie leer blieb, wurde mit mehreren Hundert Euro pro Tag abgegolten. Auch wer ein zusätzliches Intensivbett aufstellte, bekam eine Pauschale. Damit sollte das Gesundheitssystem auf den Ansturm vieler zusätzlicher Corona-Patienten vorbereitet werden. Dass andere Patienten aber in so großem Ausmaß wegbleiben und zugleich Kliniken bei der Suche nach staatlichen Hilfsgeldern so erfinderisch sein würden, überraschte die Politik. Letztlich zahlte der Bund rund zehn Milliarden Euro aus, viermal so viel wie zunächst gedacht.

Am Ende stiegen die Erlöse der Krankenhäuser sogar um 14 Prozent, obwohl sie in der Summe viel weniger Menschen behandelten.

Die Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink (Die Grünen) hat so etwas früh geahnt. Im August vergangenen Jahres fragte sie nach. Von der Bundesregierung wollte sie wissen, wie verhindert werde, dass Kliniken planbare Eingriffe verschieben, um an die Freihaltepauschale zu kommen. Und wie Jens Spahn vermeiden wolle, dass Krankenhäuser unberechtigt solche Zahlungen abrufen. Die Antwort lautete lapidar: In den Beratungen des Expertenbeirats des Ministeriums seien „keine Hinweise auf systematische Verschiebung von planbaren Eingriffen festgestellt“ worden.

Allerdings nahm das Gesundheitsministerium auch keine eigene Prüfungen vor und begrenzte die Staatshilfe zunächst nicht. Aus seiner Sicht leistete der Staat den Krankenhäusern so großzügige Hilfe, um die wichtigsten Helferinnen und Helfer in diesem Katastrophenfall zu unterstützen.

Die Klinikkette Helios profitierte jedenfalls außerordentlich davon, wie die Zahlen des Münchner Krankenhauses illustrieren: Von März 2020 an lassen die Freihaltepauschalen den Umsatz weit über das hinaus ansteigen, was sich die Klinik vor der Pandemie vorgenommen hatte. Die Zahlen liegen der ZEIT vor. Für den ganzen Klinikkonzern lief es ähnlich gut. Er hat zwischen fünf und sechs Prozent Marktanteil im deutschen Krankenhausmarkt, bekam aber zwischen sieben und acht Prozent aller staatlichen Hilfen, zusammen etwa 740 Millionen Euro. Mehr als jeder andere Wettbewerber.

Und genau dieser Umstand macht die Notrufe der Ärzte, die hohen Gewinne von Helios und deren Anteil an der Dividende von Fresenius endgültig zum Skandal.

Für die Mitarbeiter von Helios wird es in der nächsten Zeit nicht gemütlicher werden. Denn der deutsche Krankenhausmarkt leidet unter zwei strukturellen Problemen, die sich mit dem Ende der Pandemie massiv verstärken.

Der renommierte Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der TU Berlin berät das Gesundheitsministerium. Er geht davon aus: Auch nach der Pandemie werden weniger Patienten ins Krankenhaus kommen als davor. Zudem hat Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarländern sehr viele Krankenhäuser. Busse sagt, dass die Patienten auch gut versorgt wären, wenn bis zu 700 kleine Krankenhäuser mit weniger als 200 Betten schließen würden.

In der Vergangenheit hatten Kliniken bei Pflegerinnen und Pflegern gekürzt

Helios teilt diese Analyse. Doch der private Klinikkonzern reagiert auf die Strukturprobleme eben besonders schlau und latent aggressiv.

Schlau, weil Helios das streng regulierte Gesundheitssystem optimal für sich zu nutzen weiß. So wie im vergangenen Jahr bei den Staatshilfen.

Latent aggressiv, weil der Konzern schon jetzt so massiv an die Personalkosten geht, obwohl die Pandemie noch längst nicht vorüber ist.

Ärzte stehen heute beim Sparen im Mittelpunkt, weil es woanders nicht mehr geht. In den Worten von Fresenius: Wenn weniger Patienten kämen, brauche man „weniger Ärztinnen und Ärzte“. In der Vergangenheit hatten die Kliniken immer wieder bei Servicekräften sowie bei Pflegerinnen und Pflegern gekürzt. Das bestätigen mehrere Betriebsräte und Gewerkschafter.

Vor zwei Jahren ging die Bundesregierung dazwischen, der Bundestag legte gesetzliche Untergrenzen fest. Seither ist vorgeschrieben, wie viele Pflegekräfte pro Bett vorhanden sein müssen. Dass Helios oft unter dieser Grenze lag, zeigte sich schnell. Pflegerinnen und Pfleger wurden händeringend gesucht, einzelne Helios-Kliniken wie das Herzzentrum Leipzig zahlten sogar Antrittsprämien von mehreren Tausend Euro. Nun soll dieses Gesetz zugunsten der Pflegekräfte im Mai sogar noch einmal verschärft werden.

Der Fresenius-Chef Stephan Sturm fürchtet, dass das negative Auswirkungen auf den Gewinn der Konzerntochter Helios haben wird. „Und das heißt, wir müssen unsere Arzt-Kapazitäten feintunen.“

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