Die Spannungen zwischen den USA und Russland kann man am Strompreis ablesen. Der Preis schnellte auf Rekord-Höhe, die deutsche Industrie ist geschockt. Vier Grafiken zeigen die prekäre Lage.
Als US-Präsident Job Biden mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor wenigen Tagen telefonierte, kratzt der Baseload-Preis für 2022 an der 190-Euro-Marke – ein nie dagewesener Wert.
Strom ist der „Treibstoff“, der unsere moderne Welt am Laufen hält. Unternehmen, die regelmäßig Strom verbrauchen, kaufen den Strom in einer festgelegten Menge auf Jahre im Voraus am Terminmarkt ein. Eigentlich also ein stabiler Markt. Schwankungen von 30 auf 55 Euro innerhalb eines Jahres wie von Januar bis September 2018 galten früher als extrem. Damit ist es jetzt vorbei.
Denn die Geopolitik kommt ins Spiel. Biden stellte in dem Telefonat die geplante Gaspipeline Nord Stream 2 in Frage – durch sie wird das Erdgas geleitet, das in Deutschland die Kraftwerke befeuern soll.
Wie dramatisch die Lage am Strommarkt ist, zeigt eine Nahaufnahme. Eigentlich sind diese Zahlen gar nicht für die Öffentlichkeit verfügbar, doch die WirtschaftsWoche erhielt sie exklusiv von Energieexperten. Es handelt sich um die Strompreisentwicklung am Spot-Markt. Hier decken sich Unternehmen kurzfristig ein, wenn sie in Spitzenzeiten mehr Strom benötigen. Wenn sie mehr Baseload-Kapazität eingekauft haben, als sie in der Produktion nutzen können, verkaufen sie diesen Überschuss am Spot-Markt.
Von jeher ist der Spot-Preis im Vergleich zum Baseload-Preis der volatilere. Aber auch hier tut sich Unglaubliches. Zwischen 2017 und 2019 lag der Strompreis durchschnittlich bei 38,78 Euro, 2020 im Durchschnitt nur bei 30,47 Euro. Aber in diesem Jahr geht der Preis durch die Decke. Der rote Chart zeigt den monatlichen Durchschnittspreis 2021 – und der zieht seit September dramatisch an, bis jetzt auf den Spitzenwert von 192 Euro.
Leichte Schwankungen des Strompreises sind normal. Läuft die Wirtschaft gut, wird etwas mehr Strom verbraucht als in Zeiten von Konjunkturdellen. Diese schwankende Nachfrage schlägt sich auch auf den Preis nieder, wie zum Beispiel im ersten Coronajahr 2020.
Dieses Jahr aber haben die Strompreise sich völlig von allem Bekannten entkoppelt. Der Durchschnittspreis für 2021 liegt fast viermal so hoch wie im Vorjahr. Aktuell wird der Strompreis für 2022 am Terminmarkt mit einem Aufschlag von 50 Prozent auf den jetzigen Preis gehandelt. Unternehmen, die mit neuen langfristigen Verträgen auf einen günstigeren Preis warten wollten, befinden sich jetzt unter Zugzwang und müssen ihren Bedarf noch teurer eindecken.
Am Stichtag, dem 7. Dezember 2021, befindet sich Deutschland mit einem Tagesmittel-Preis von 216 Euro pro Megawattstunde Strom gerade einmal im Europäischen Mittelfeld. Eigentlich gilt der deutsche Strommarkt als einer der teuersten weltweit. Hier handelt sich aber nur um die Börsenpreise. Beim Verbrauch kommen noch Abgaben, Steuern, Umlagen und ähnliches dazu. Nach diesen Zuschlägen liegt Deutschland wieder weit vorne.
Aktuell aber kostet der Strom an den Energiebörsen in Frankreich und Österreich deutlich mehr als in Deutschland. Am günstigsten ist der Strom in Norwegen. Kein Wunder, denn das Land setzt viel auf Wasserkraft und ist dazu mit seinen Erdölvorkommen unabhängig vom Weltmarkt. Zum Vergleich: In den USA kostet Strom am 7. Dezember im Schnitt nur rund 70 Euro. In Texas ist er sogar für nur 30 Euro zu haben.