Coronafolgen

Der Niedergang der Minijobs – und warum viele das gut finden

17.08.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Minijob-Branche Gastronomie: Im Abwärtstrend Foto: Frank Rumpenhorst / dpa

Der deutsche Arbeitsmarkt erholt sich von der Pandemie – doch die Zahl der Minijobs sinkt weiter. Arbeitsmarktexperten und Sozialpolitiker sehen die Chance, die ungeliebte Beschäftigungsform loszuwerden.

Noch ist die Pandemie nicht vorbei, Deutschland erlebt die vierte Welle – und der Herbst hat noch nicht einmal begonnen. Dennoch lässt sich eine erste vorsichtige Bilanz für den Arbeitsmarkt ziehen: Deutschland ist einigermaßen glimpflich davongekommen. Zuletzt schätzte die Bundesagentur für Arbeit (BA) die pandemiebedingten zusätzlichen Arbeitslosen auf gut 300.000, allerdings mit stark fallender Tendenz. Erneut hat die Kurzarbeit Millionen von Arbeitsplätzen gesichert, von denen sonst viele zumindest vorübergehend verloren gegangen wären.

Eine Beschäftigungsform hat es allerdings nachhaltig getroffen: »Am Arbeitsmarkt ist die Coronakrise in erster Linie eine Krise der Minijobs«, sagt der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Tatsächlich gab es im Mai dieses Jahres rund 580.000 Minijobs weniger als noch im Mai des Vorkrisenjahres 2019. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ist im gleichen Zeitraum hingegen um knapp 300.000 gestiegen – trotz Pandemie.

Deutlich werden die gegenläufigen Trends auch, wenn man den Februar 2020 – also den Monat unmittelbar vor Beginn der Coronakrise – als Ausgangspunkt nimmt. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung sowohl bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als auch bei jenen, die ausschließlich einen Minijob haben (also ohne die, die ihn als Nebenjob zusätzlich zu ihrer regulären Arbeit ausüben).

Während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nach dem Schock im Frühjahr 2020 stetig auf Erholungskurs blieb und im Mai 2021 bereits fast wieder das Vorkrisenniveau erreichte, zeigte die Kurve bei den Minijobs (ohne Nebenjobs) zuletzt deutlich nach unten. Zum größten Teil dürfte das auf die lange Phase der Shutdowns zurückzuführen sein, in der Gastronomie und Kultureinrichtungen weitgehend geschlossen waren.

Für IAB-Ökonom Weber ist das jedoch nicht unbedingt eine alarmierende Nachricht. Im Gegenteil, er sieht darin sogar eine Chance. In einem Gastbeitrag für den SPIEGEL schlägt er einen befristeten »Sozialversicherungsbonus« vor: Dieser soll Betrieben, die in der Krise Minijobs abgebaut haben und nun im Aufschwung wieder Bedarf an Arbeitskräften feststellen, einen Anreiz geben, nicht einfach erneut Minijobs zu schaffen, sondern gleich richtige Arbeitsplätze mit Sozialversicherungspflicht. Dafür könnte der Staat vorübergehend einen Teil des höheren Steuer- und Abgabenniveaus ausgleichen. Weber beschreibt, wie eine solche Förderung ohne Fehlanreize und kostenbewusst gestaltet werden könnte.

Weber steht nicht allein da: Fast alle Arbeitsmarktexperten und Sozialpolitiker bewerten Minijobs kritisch, wenn diese nicht allein Schülern, Studierenden und Menschen im Ruhestand offenstehen, sondern allen. Seit der Einführung der geringfügigen Beschäftigung – wie Minijobs offiziell heißen – in den Siebzigerjahren hat sich die damit verbundene Hoffnung nie erfüllt: als Brücke in den Arbeitsmarkt zu dienen. Statt sich ein paar Monate beweisen und auch an Erwerbstätigkeit gewöhnen zu können und dann in eine reguläre Stelle zu wechseln, finden sich viele Menschen auf Dauer in der Minijobfalle wieder.

Damit haben Minijobs zumindest in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ihre Daseinsberechtigung verloren. Denn als dauerhafte Beschäftigungsform überwiegt der Schaden für Arbeitnehmer, Volkswirtschaft und Staat – und letztendlich auch für die Betriebe: Minijobber sind weder kranken- noch arbeitslosenversichert – Letzteres hat sich gerade in der Coronakrise als fatal erwiesen, da sie auch nicht in Kurzarbeit gehen konnten und so oft ganz ohne Verdienst dastanden. Auch rentenversichert sind die allerwenigsten von ihnen. Dem Staat wiederum gehen durch Minijobs Einnahmen bei der Steuer und in der Sozialversicherung verloren.

Arbeitgeber investieren kaum in die Qualifikation geringfügig Beschäftigter, was den Wechsel in ein normales Arbeitsverhältnis oder gar einen beruflichen Aufstieg blockiert. Auf lange Sicht ist das auch für die Betriebe nicht gut, da sie angesichts des demografischen Wandels und der sich in den kommenden Jahren drastisch verschärfenden Knappheit an Arbeitskräften zunehmend auf qualifiziertes Personal angewiesen sein werden.

Für die Volkswirtschaft ist es daher auch von Nachteil, dass Minijobs die Ausweitung der Arbeitszeit behindern. Hier ist insbesondere das Zusammenspiel mit dem Ehegattensplitting verantwortlich, betroffen sind zum weit überwiegenden Teil Frauen, von denen viele laut Umfragen eigentlich länger arbeiten wollen. Doch weil Arbeitgeber nur eine geringe Steuerpauschale und die Minijobber selbst keine Steuern zahlen, ist es für viele Verheiratete ein Minusgeschäft, mehr als die maximal möglichen 450 Euro zu verdienen. Wenn der Ehegatte einen regulären Job hat, wird dann auf einen Schlag der gemeinsame Steuersatz fällig.

Es spräche also einiges für eine Abschaffung oder deutliche Begrenzung von Minijobs. Dabei müsste allerdings berücksichtigt werden, dass sie für viele Menschen derzeit noch als Nebenjob noch unabdingbar sind, weil sie mit ihrer Hauptbeschäftigung nicht über die Runden kommen. Erst kürzlich haben die Ökonomen Tom Krebs und Martin Scheffel in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung ein Konzept für eine Reform vorgelegt.

In Sachen Minijobs unterscheiden sich die Pläne der politischen Lager stark: Grüne, SPD und Linke wollen Minijobs perspektivisch abschaffen. Lediglich für jene Personengruppen, die ohnehin anderweitig sozialversichert sind, soll es weiter ähnliche Jobs geben: Rentner, Studierende, Schüler. Union und FDP hingegen wollen nicht nur an Minijobs festhalten, sondern sie noch stärken: Beide Partien wollen die Verdienstgrenze künftig mit dem Mindestlohn steigen lassen. Die Union, deren Sozialpolitiker Minijobs durchaus kritisch sehen, will die Verdienstgrenze zuvor sogar noch von 450 auf 550 Euro erhöhen.

Die Zukunft der Minijobs könnte sich also bei der kommenden Bundestagswahl entscheiden.

Das könnte Sie auch interessieren

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024
ARD-Show "Die 100"
26.11.2024
Abstimmung über neue EU-Kommission
27.11.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

10 − neun =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

Nach Berichten über Menschenrechtsverletzungen in Uiguren-Region
27.11.2024
Thyssenkrupp-Krise
26.11.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien