Die großen Finanzinstitute und andere institutionelle Anleger fordern seit Langem Schulden auf EU-Ebene. Jetzt gibt es sie – und Anleger reißen sich um die EU-Papiere. In einigen Euro-Ländern weckt der Erfolg aber schon neue Befürchtungen.
Als EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Mittwoch vor zwei Wochen im Pressesaal der EU-Kommission vor die Kameras und Mikrofone trat, hatte er auch eine Botschaft für große Banken und andere institutionelle Anleger dabei: „Die EU-Kommission ist bereit, mit euch Geschäfte zu machen.“ Die Behörde wird in den kommenden Monaten und Jahren bis zu 800 Milliarden Euro neue Schulden an den Märkten aufnehmen, um den EU-Wiederaufbauplan in der Corona-Krise zu finanzieren.
„Das ist ein Gamechanger“, sagte Hahn mit Blick auf die gesamten Schuldenemissionen – das verändert alles. Zum ersten Mal wird die EU-Kommission in solch großem Umfang Schulden machen. Für die Behörde und für Hahn ist es eine ungewohnte Rolle.
Schließlich verteilt die EU-Kommission bisher hauptsächlich Geld, das sie vor allem von den 27 Mitgliedsländern bekommt. Nur ein kleiner Teil des EU-Haushalts fließt bisher aus anderen Quellen. Jetzt muss Hahn selbst um das Geld der Anleger werben.
Das allerdings dürfte leicht werden. Banken, Investmentfonds und andere Anleger warten geradezu auf die kommenden Milliardenschulden der EU. Schon seit Langem fordern Profi-Anleger ein sogenanntes European Safe Asset – eine sichere Anlageklasse aus Europa mit exzellentem Bonitätsrating.
Anleger wie Versicherungen sind auf solche praktisch ausfallsicheren Anlagen wie beispielsweise Bundesanleihen angewiesen, um ihre Portfolios und die Auszahlungsversprechen an ihre Kunden abzusichern.
„Investoren werden sich um die Kommissionsanleihen reißen“, prophezeit Guntram Wolff, der Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „In der EU und der ganzen Welt gibt es einen Mangel an sicheren Papieren, in die institutionelle Anleger investieren können. Banken fordern deshalb seit Langem Anleihen auf EU-Ebene.“
Knappes Angebot von Staatsanleihen mit bester Bonität
Tatsächlich ist das Angebot an Staatsanleihen mit erstklassiger Bonität in der Euro-Zone in den vergangenen 15 Jahren massiv zurückgegangen. Seit der Euro-Krise haben die Ratingagenturen Italien, Spanien, Griechenland und andere Emittenten heruntergestuft.
Das sorgt dafür, dass es weltweit ein erhebliches Ungleichgewicht gibt: Die Amerikaner stellen sehr viele dieser sehr sicheren Anlagen, Europa hingegen relativ wenige, weil es in der Euro-Zone so viele Herabstufungen gab. Neben einigen Euro-Ländern wie Deutschland emittieren beispielsweise auch Norwegen, Großbritannien, Japan oder Australien Anleihen mit hoher Bonität.
Dass die Kommission es leicht haben wird, ihre Anleihen zu platzieren, hat sich bereits in den vergangenen Monaten abgezeichnet. Für die in der Corona-Krise aufgelegte europäische Kurzarbeitshilfe Sure hat die Kommission bereits Anleihen emittiert, um das insgesamt 100 Milliarden Euro schwere Programm zu finanzieren.
Das Geld überweist sie an Mitgliedsländer, damit die nationalen Regierungen damit Kurzarbeitsprogramme finanzieren. Die Anleihen für Sure wurden der EU-Kommission von institutionellen Anlegern geradezu aus den Händen gerissen. Es war ein Testlauf – und ein sehr erfolgreicher obendrein.
Mitverantwortlich für den Erfolg war, dass die Anleihen einem sozialen Zweck dienten. Professionelle Anleger, insbesondere solche, die für die öffentliche Hand anlegen, sind zunehmend unter Druck, einen großen Teil ihrer Gelder nachhaltig anzulegen. Im Moment übersteigt die Nachfrage nach solchen nachhaltigen Anlagen, die soziale Kriterien erfüllen und dem Umweltschutz dienen, allerdings das Angebot bei Weitem.
Anleihen für Klimaschutzausgaben oder soziale Maßnahmen finden deshalb reißenden Absatz. Hahn und den Mitarbeitern seiner neuen Einheit zur Geldbeschaffung kommt das gerade recht. „30 Prozent unseres Wiederaufbauplans sollen durch grüne Anleihen finanziert werden“, hatte Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rats, vergangene Woche auf dem von US-Präsident Joe Biden einberufenen Klimagipfel verkündet. Hunderte von Milliarden an grünen Schulden, die von den Märkten dankbar aufgenommen werden dürften.
EU will Standard für grüne Anleihen schaffen
Die Emissionen dürften zudem Europas Stellung bei nachhaltigen Geldanlagen festigen. Im Moment werden so viele grüne Anleihen in Euro ausgegeben wie in keiner anderen Währung. Die EU hat bereits die fortschrittlichsten Regeln für nachhaltige Investitionen weltweit und will in den kommenden Monaten einen Standard für grüne Anleihen schaffen. Er könnte die Blaupause für Regeln im Rest der Welt werden und einen guten Teil des Geschäfts mit der grünen Anlage nach Europa bringen – so zumindest die Hoffnung in Brüssel.
So gut sind die Aussichten für die EU-Anleihen und so groß war der Erfolg der Sure-Platzierung, dass in einigen nationalen Finanzministerien bereits Sorge aufkommt angesichts der bis zu 800 Milliarden Euro, die die EU-Kommission in den kommenden Jahren an den Märkten platzieren will.
Immerhin spielen die EU-Anleihen von der Bonität her in der gleichen Liga wie Bundesanleihen. „Einige Länder machen sich offenbar Sorgen, dass die neuen Anleihen auf EU-Ebene dafür sorgen könnten, dass ihre eigenen Papiere weniger stark nachgefragt sind“, sagt auch Bruegel-Direktor Wolff. „Tatsächlich wäre es ungünstig, wenn die Kommission viele Papiere auf einmal platziert und am selben Tag auch Deutschland, Frankreich und Italien mit großen Platzierungen am Markt sind.“
Die Kommission nimmt diese Ängste durchaus ernst. „Wir setzen auf volle Transparenz“, sagte Haushaltskommissar Hahn, angesprochen auf diese Sorgen. „Wir werden unsere Finanzierungspläne alle sechs Monate für Investoren und Betroffene publizieren. Und wir werden uns mit anderen Emittenten abstimmen, damit sich Emissionen nicht überlappen.“
In den kommenden Jahren dürften die neuen EU-Schulden auf den Finanzmärkten eine große Rolle spielen; langfristig aller Voraussicht nach allerdings nicht. Dass sie zu einem Gegengewicht für Dollar-Anleihen werden, ist unwahrscheinlich – zumindest solange der Wiederaufbaufonds ein einmaliges Projekt wird, so, wie es etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprochen hat.
„Die Anleihen der Kommission werden nur in den kommenden drei Jahren eine Rolle spielen, weil die Kommission in dieser Zeit auch im Vergleich mit der Schuldenaufnahme der Mitgliedstaaten sehr hohe Volumina platziert“, sagt Ökonom Wolff.
Er rechnet damit, dass die Kommission sich letztlich rund 500 Milliarden leihen wird, weil die Kredite, die der rund 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaufonds vergeben kann, nicht von allen Mitgliedsländern in Anspruch genommen werden dürften.
Gemessen an der Gesamtmenge der öffentlichen Schulden in Europa, ist der Einfluss der Kommissionspapiere damit sehr begrenzt. Das zeigt ein Blick auf die ausstehenden Schulden der größten Euro-Länder: Allein von Italien zirkulieren Anleihen im Wert von 2000 Milliarden Euro, von Frankreich und Deutschland in ähnlichen Größenordnungen.
Sollten die Schulden auf EU-Ebene allerdings zur Dauereinrichtung werden, so wie bereits in einigen Hauptstädten gefordert, dann dürfte die EU-Kommission zu einem großen Spieler auf dem europäischen Finanzmarkt werden.