Wettbewerbsfähigkeits-Ranking

Augenmaß beim Krisenmanagement – die Schweiz schlägt den Rest der Welt

18.06.2021
Lesedauer: 4 Minuten
Wirtschaftsstandort Zürich: Erstmals hat die Schweiz Rang eins im Ranking der Hochschule IMD erobert - Quelle: Getty Images

Zur Pandemiebekämpfung schränkten Schweden und die Schweiz ihre Bevölkerung und die Wirtschaft weniger drastisch ein als viele andere Staaten. Laut einer Studie half das der Wettbewerbsfähigkeit. Die Ergebnisse lenken den Fokus auf eine brisante Frage.

Die europäischen Volkswirtschaften sind gestärkt aus der Krise hervorgegangen – speziell kleine Länder sind wettbewerbsfähiger als noch vor einem Jahr. Und auch Deutschland steht im Vergleich mit dem Rest der Welt besser da als vor einem Jahr.

Das ist das Ergebnis des neuesten „World Competitiveness Ranking“ der Schweizer Management-Hochschule IMD. Die Forscher der privaten Universität in Lausanne untersuchen seit 33 Jahren, wie die 63 größten Volkswirtschaften weltweit als Wirtschaftsstandorte abschneiden, in diesem Jahr ist erstmals die Schweiz auf Platz Nummer eins.

Auf den Plätzen Zwei und Drei des Rankings liegen Schweden und Dänemark, auf Platz vier folgen die Niederlande, auf Platz 6 Norwegen. Das erste Land auf der Liste außerhalb Europas ist Singapur auf Platz 5 – im Jahr 2020 stand der asiatische Stadtstaat noch auf dem Spitzenplatz.

Die Pandemie habe deutlich gezeigt, welche Länder eine gewisse Resilienz gegen Krisen in ihren Volkswirtschaften aufgebaut hätten – und welche stärker von kurzfristigen konjunkturellen Trends abhängig seien, erklärt Arturo Bris, Finanzwissenschaftler an der IMD in Lausanne und Direktor des IMD World Competitiveness Center.

Quelle: Infografik WELT

„Obwohl die Schweiz zunächst die Pandemie nur zögerlich bekämpfte, hat sie ihre ökonomische Zukunft nicht gefährdet, indem sie nicht zu viel ausgegeben und Disziplin bei der Staatsverschuldung bewahrt hat.“ Die Infektionszahlen spielten laut den Schweizer Forschern eine kleinere Rolle als gedacht. „Die Pandemie wirkt nur temporär. Wettbewerbsfähigkeit wird jedoch an langfristigen Faktoren gemessen.“

Diese These wird auch durch das gute Abschneiden Schwedens in dem Ranking belegt – trotz der gemessen an der Gesamtbevölkerung hohen Infektionszahlen konnten die Skandinavier sogar um vier Plätze zulegen – eben weil sie nicht ihre Wirtschaft zum kompletten Lockdown zwangen. Auch die USA konnten trotz politischer Krisen und hoher Opferzahlen durch Covid-19 ihren Platz 10 im Ranking bewahren, da die Wirtschaft von der Krise nur wenig betroffen blieb.

Peru und Neuseeland sacken ab

Das Ergebnis dürfte unter europäischen Wirtschaftspolitikern und Epidemiologen Anlass zu Debatten geben: Wie ethisch war das Vorgehen der Schweden, wenn sie durch ihre relativ laxe Pandemiepolitik zwar relativ gesehen mehr Pandemie-Opfer in Kauf nahmen, dafür aber ihre Volkswirtschaft und damit die finanzielle Grundlage ihres Wohlfahrtsstaates durch die Krise retten konnten?

Die Pandemie gab den Schweizer Forschern auch die Chance, Faktoren für eine langfristige Krisensicherheit zu identifizieren: Diejenigen Staaten, die besonders forschungsstark sind, und die bereits die technische Infrastruktur für einen schnellen Wechsel zum Homeoffice bereit hielten, konnten ihre Plätze im Ranking verteidigen oder sogar zulegen. Verlierer waren Staaten wie Saudi-Arabien, Australien, Peru oder Neuseeland – Länder also, deren Konjunktur besonders von Rohstoffexporten oder Tourismus abhängig ist.

Deutschland konnte in diesem Jahr leicht zulegen, steht aber im europäischen Vergleich weiter nur im Mittelfeld auf Platz 15 der Rangliste, gegenüber Platz 17 im Vorjahr. Würden die Schweizer allein die Konjunktur eines Landes betrachten, dann wäre Deutschland sogar an dritter Stelle des weltweiten Rankings, denn die deutsche Volkswirtschaft bleibt laut den Statistiken der Schweizer im Pandemiejahr 2020 relativ stabil.

Doch die Forscher betrachten auch Faktoren wie Bürokratie, die Flexibilität des Arbeitsmarktes oder die digitale Infrastruktur eines Landes. Ein Blick in die Detailergebnisse für Deutschland ergibt: Deutschland bewahrt nicht wegen, sondern trotz dieser Faktoren sein Wirtschaftswachstum. Denn laut den Ergebnissen aus Lausanne ist Deutschland in Sachen Bürokratieeffizienz weiterhin Schwellenland, im Bürokratie-Ranking in der Nachbarschaft von Ländern wie Thailand, Indonesien oder Saudi Arabien.

Insbesondere die Steuergesetzgebung bewerten die Forscher als besonders negativ für die Wettbewerbsfähigkeit, Deutschlands Steuerbürokratie steht im Vergleich auf Platz 57. Und auch in Sachen Infrastruktur steht Deutschland überraschend schlecht da.

Zwar ist die Gesundheitsversorgung extrem leistungsfähig und auf Platz Vier gelistet. Auch die deutsche Forschung wird im Vergleich als sehr leistungsfähig eingeschätzt. Doch die technische Infrastruktur bleibt im Vergleich auf dem Niveau von Ländern im Mittelfeld wie Spanien oder Italien.

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