IWF-Report

28.000.000.000.000 Dollar – Die Welt versinkt in neuen Schulden

15.12.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Skyline von Shanghai: Auf China entfällt allein ein Viertel der neuen Schulden der Welt Quelle: Getty Images; Montage: Infografik WELT

So schnell wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind die globalen Verbindlichkeiten zuletzt gestiegen. Das war angesichts der Pandemie zwar unvermeidbar, so der Internationale Währungsfonds. Doch er warnt die Regierungen vor den Folgen. Zumal jetzt noch das Zinsrisiko steigt.

Es ist eine Zahl mit zwölf Nullen: 28.000.000.000.000. Um diese Summe, 28 Billionen Dollar, ist die weltweite Verschuldung im Krisenjahr 2020 gestiegen, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem aktuellen Schuldenreport ausweist. 4.500 Dollar sind das pro Erdenbürger an zusätzlichen Lasten – das macht die Dimension vielleicht begreiflicher.

Es verdeckt aber auch die Details: Denn natürlich ist der Schuldenturm höchst unterschiedlich gewachsen, je nach Region und Land. Zudem ist die Ausgangsbasis extrem divers. Doch in jedem Fall habe der Schuldenanstieg die Verwundbarkeit des globalen Finanzsystems verstärkt, so die IWF-Experten. Daher sei nun entscheidend, dass Politik und Notenbanken ihr Handeln daran orientieren.

Dabei halten sie die Reaktion der Regierungen, den Folgen der Pandemie durch finanzielle Unterstützungsleistungen auf Pump zu begegnen, grundsätzlich für richtig. „Der große Anstieg der Schulden war gerechtfertigt, um das Leben der Menschen zu schützen, Arbeitsplätze zu erhalten und eine Pleitewelle zu vermeiden“, schreiben die IWF-Experten Vitor Gaspar, Paulo Medas und Roberto Pirelle in einem Kommentar zu den Daten. „Hätten die Regierungen nicht reagiert, wären die sozialen und ökonomischen Folgen verheerend gewesen.“

Dennoch bleibt als Folge nun ein Anstieg der globalen Schulden von 198 auf 226 Billionen Dollar. Diese Summe setzt sich aus den Verbindlichkeiten der öffentlichen und privaten Haushalte sowie der Unternehmen zusammen, Finanzunternehmen bleiben außen vor. Im Verhältnis zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt hat sich der Schuldenstand damit 2020 von 227 auf 256 Prozent erhöht.

Höchster Stand seit Mitte der Sechzigerjahre

Ungefähr die Hälfte der neuen Schulden entfällt auf die öffentlichen Haushalte. Deren Schuldenstand erreicht weltweit nun 99 Prozent des BIP. Allerdings haben hieran die Industrieländer den größten Anteil. Hier liegen die Staatsschulden inzwischen im Schnitt bei 124 Prozent des BIP. Deutschland ist eines der wenigen Länder mit Schulden von weniger als 100 Prozent des BIP. 2007, vor der Finanzkrise, lag der Wert für alle Industrieländer zusammen noch bei 70 Prozent.

Gleichzeitig sind die privaten Schulden in den Industriestaaten seither jedoch „nur“ von 164 auf 178 Prozent des BIP gestiegen. Das führt dazu, dass die Staatsschulden nunmehr für rund 40 Prozent aller Schulden weltweit stehen – das ist der Höchstwert seit Mitte der 1960er-Jahre.

Die Schwellen- und Entwicklungsländer taten sich in der Krise allerdings weit schwerer, ihre Bevölkerung in der Pandemie finanziell zu unterstützen. Die große Ausnahme ist dabei China, auf das allein ein Viertel der zusätzlichen Schulden entfällt, die 2020 aufgenommen wurden. Die anderen Schwellen- und Entwicklungsländer machten zusammen gerade mal etwas mehr als zwei Billionen Dollar an neuen Schulden.

Dennoch sind auch dort die Schuldenstände drastisch gestiegen, da auch hier die Wirtschaftsleistung erheblich gesunken ist. Vor allem in den ärmsten Ländern wurde bei den Schulden im Verhältnis zum BIP 2020 ein Niveau erreicht, wie es zuletzt Anfang der 2000er-Jahre gesehen wurden, bevor viele Länder von Schuldenerlassen profitierten.

„Die Schulden waren schon vor der Krise hoch“, schreiben die IWF-Experten, „aber jetzt müssen die Regierungen durch eine Welt mit rekordhohen privaten und öffentlichen Schulden, neuen Virusmutationen und steigender Inflation navigieren.“ Im kommenden Jahr werde es daher vor allem darauf ankommen, auf die steigenden Inflationsraten zu reagieren, ohne den wirtschaftlichen Aufschwung abzuwürgen und die Länder aufgrund der hohen Schulden in finanzielle Probleme zu stürzen.

„Die Risiken werden noch größer, wenn die weltweiten Zinssätze schneller als erwartet steigen und das Wachstum ins Stocken gerät“, schreiben sie. „Eine deutliche Verschärfung der Finanzierungsbedingungen würde den Druck auf die am höchsten verschuldeten Staaten, Haushalte und Unternehmen erhöhen.“ Besonders schwierig werde die Lage, wenn nun der öffentliche und der private Sektor gleichzeitig einen Schuldenabbau vornehmen müssen.

Inflation entwertet Geld – und Schulden

Angesichts der unsicheren Aussichten und der erhöhten Anfälligkeit sei daher politisch flexibles Handeln entscheidend, das sich stetig an die sich ändernden Umstände anpasst. Sprich: Die Haushalte müssen allmählich wieder auf ein gesundes Fundament gestellt werden. Staaten mit besonders hohem Finanzbedarf oder mit besonders anfälligen Währungen müssten dabei schneller und konsequenter handeln als andere.

Immerhin gibt es aber einen Silberstreif am Horizont. Denn für das laufende Jahr prognostizieren Beobachter einen leichten Rückgang der Verschuldungsquote. So berichtete das Institute of International Finance (IIF), eine Vereinigung der globalen Finanzindustrie, dass die absoluten Schulden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres zwar weiter gestiegen sind, der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP jedoch gesunken ist.

Das IIF, das in seiner Statistik die Verbindlichkeiten der Finanzindustrie mit einbezieht, kommt bis Ende Juni auf Gesamtschulden von 296 Billionen Dollar, rund fünf Billionen mehr als Ende 2020. Die Quote sank jedoch von 362 auf 352 Prozent des BIP, da die Wirtschaftsleistung im ersten Halbjahr noch weit schneller gestiegen ist als die Verschuldung.

Dies dürfte sich im zweiten Halbjahr eher noch verstärkt haben, denn inzwischen haben die Inflationsraten erheblich angezogen. Dadurch verringert sich nicht nur der Wert des Geldes, sondern auch der Schulden – angesichts der gigantischen Schuldenstände ein willkommener Effekt.

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