Meldeflut

1,2 Millionen Briefe – Wie Reiserückkehrer die Gesundheitsämter überlasten

26.07.2021
Lesedauer: 7 Minuten
Besonders unter den jungen Menschen breitet sich die Delta-Variante weiter aus. Der Impffortschritt geht Virologe Drosten nicht schnell genug. Ungeimpfte haben es auch beim Reisen schwer, besonders Reiserückkehrer aus dem wieder als Hochinzidenzgebiet eingestuften Spanien. Quelle: WELT/ Dagmar Böhning

Wer aus einem Risikogebiet zurückkehrt, muss sich vorher auf dem deutschen Einreiseportal anmelden. Die Mitteilungen scheinen die Behörden schon jetzt zu überlasten. Eine Sonderregel für alle ohne Möglichkeit zur digitalen Registrierung macht es den Ämtern besonders schwer.

r sei gerade aus einem Risikogebiet nach Deutschland eingereist, schreibt Rüdiger H. auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, und er sei überrascht. „Niemand hat irgendetwas kontrolliert“, behauptet der Berliner, schon gar nicht die digitale Einreiseanmeldung, kurz DEA.

Dabei ist das Verfahren seit November verpflichtend für alle Urlauber aus Risikogebieten. Wer aus solchen mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug einreist, muss sich vorher auf einem offiziellen Portal des Bundes registrieren.

Wie Rüdiger H. haben seit November 2020 etwa 10,1 Millionen Menschen pflichtgemäß ihre Einreise angemeldet, erklärt das Bundesgesundheitsministerium. Doch die Behörden scheinen sich allenfalls für einen Bruchteil der Mitteilungen zu interessieren.

Vor allem mit der aktuellen Meldeflut sind manche Gesundheitsämter überlastet. Das hat eine WELT-Umfrage unter den zehn größten deutschen Städten ergeben. Denn das Reiseaufkommen ist seit dem Neustart in der Reisebranche drastisch gestiegen, und die Pflicht zur Anmeldung ist geblieben.

Hamburg hat eine zentrale Einheit aufgebaut

Allein in Frankfurt am Main gebe es derzeit rund 1800 Reiserückkehrer pro Tag, erklärt ein Amtssprecher auf Nachfrage. Man könne aber nicht 9000 Haushalte in einer Woche aufsuchen, das sei „völlig illusorisch“. Das Gesundheitsamt kontrolliere nur dann, wenn es Hinweise darauf habe, dass eine Quarantäne nicht eingehalten wird.

„Das Aufkommen an Einreisen und Einreiseanmeldungen ist in den vergangenen Tagen kontinuierlich gestiegen, zuletzt auf gut 5000 am Tag“, heißt es auch vom Gesundheitsamt Hamburg. Die Hansestadt habe sogar eine zentrale Einheit aufgebaut, die die Ämter in der Abarbeitung unterstützt. In den sieben Tagen vor dem 21. Juli seien immerhin noch 69 Prozent der digitalen Einreisemeldungen bearbeitet beziehungsweise geprüft worden, erklärt ein Stadtsprecher.

München kontrolliere zwar jeden Rückkehrer aus Virusvariantengebieten, jedoch nur 20 Prozent der Menschen mit Voraufenthalten in Hochinzidenzgebieten. Und aus Köln heißt es nur kryptisch: „In Abhängigkeit von der Art des Risikogebietes variiert der Anteil der Einreiseanmeldungen, denen wir nachgehen, von stichprobenartig bis zu 100 Prozent.“

Auch Bundespolizisten kontrollieren relativ selten

Dabei ist die digitale Einreiseanmeldung aus Sicht der Bundesregierung ein wichtiger Baustein bei der Pandemiebekämpfung. Mit ihr sollen die Gesundheitsämter kontrollieren können, ob Rückkehrer ihre Quarantänepflichten einhalten.

Wer derzeit aus einem Hochinzidenzgebiet einreist und weder vollständig geimpft noch von Corona genesen ist, muss für zehn Tage in Quarantäne, kann sie allerdings nach fünf Tagen mit einem negativen Test aufheben. Reisende aus Virusvariantengebieten müssen ausnahmslos für 14 Tage in Quarantäne.

Doch selbst für Rückkehrer aus „einfachen“ Risikogebieten gilt die digitale Anmeldepflicht. Das erscheint vor allem dann wichtig, wenn die Infektionszahlen im Ausland deutlich höher liegen als im Inland – so wie jetzt.

Hinzu kommt, dass auch die Bundespolizei längst nicht flächendeckend kontrolliert, ob sich Einreisende an ihre Meldepflicht halten. Seit Ende Januar verlangten Polizisten an deutschen Flughäfen nur etwas mehr als 2,8 Millionen Mal einen Nachweis, teilt die Behörde mit. In der Zeit dürften deutlich mehr Menschen eingereist sein.

Airlines drohen hohe Strafzahlungen

Zumindest bei Flugreisen sind bereits die Airlines verpflichtet, die Dokumente der Passagiere zu kontrollieren. In der Vergangenheit hatte die Bundespolizei aber Hunderte Verstöße gegen diese Pflicht festgestellt.

Die Airlines beteuern, sich an die Vorgaben zu halten. Ferienflieger Condor etwa kontrolliere gemäß der Einreisebestimmungen der jeweiligen Destination sämtliche vorzuweisenden Unterlagen am Check-in, heißt es. Das gelte sowohl für Testergebnisse oder Einreiseanmeldungen, die mithilfe eines QR-Codes von der jeweiligen Behörde zur Verfügung gestellt werden, als auch für die Unterlagen, die für einen Rückflug nach Deutschland vorzulegen sind.

Hinter dem Bekenntnis der Airlines steht auch die Angst vor Strafzahlungen. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) kündigte im Frühjahr an, künftig Bußgelder von 10.000 Euro pro Passagier an eine Airline zu verhängen, die ungetestete Passagiere aus Risikogebieten transportiert.

Wer jedoch glaubt, dass die Kontrolle unmittelbar und überall von den Fluggesellschaften übernommen wird, der täuscht sich. Sowohl bei der Ausreise als auch bei der Einreise nutzen Airlines Dienstleister oder Handling-Agenten, wie es im Branchenjargon heißt. Marktführer im Inland unter den unabhängigen Anbietern ist die AHS-Gruppe (Aviation Handling Services), die selbst oder über Partner für mehr als 130 Fluggesellschaften tätig ist.

Viele missachten die Quarantänepflicht

Weil es keine strikten Grenzkontrollen gibt, werden die Einreiseanmeldungen auch auf dem Landweg allenfalls stichprobenartig überprüft. Erst vor wenigen Wochen hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, deutlich engmaschiger kontrollieren zu wollen.

Zu konkreten Einsatzstärken könne die Bundespolizei aus einsatztaktischen Gründen aber nichts sagen, heißt es. Nur so viel: „Die Bundespolizei führt zeitlich und örtlich flexibel geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Verstärkung und Intensivierung von grenzpolizeilichen Kontrollen durch“, erklärt die Behörde.

Aus Sicht des FDP-Digitalpolitikers Roman Müller-Böhm dürften mittlerweile einige um die laschen Kontrollen wissen. „Viele Reisende verzichten offenbar auf die Einreiseanmeldung“, sagt er gegenüber WELT.

Der Bundestagsabgeordnete hatte dazu bereits im Frühjahr eine Abfrage gestartet. Ein kurzer Blick in Statistiken zeige, dass die Zahlen der Einreiseanmeldung nicht zu denen der tatsächlich Eingereisten passen würden. „Mangels wirksamer Kontrolle gibt es leider kaum Hürden, um Falschangaben oder die Missachtung der Quarantäneplicht zu verhindern“, meint Müller-Böhm.

Absurder Sonderweg: Ersatzmitteilung per Post

Wie viele Rückreisende tatsächlich für falsches oder fehlendes Anmelden sanktioniert worden sind, will niemand so recht wissen. Aus den Gesundheitsämtern heißt es, die Bundespolizei sei zuständig für Verstöße gegen Corona-Bestimmungen bei der Einreise.

Doch die Polizeibehörde widerspricht: Man informiere bei festgestellten Verstößen das jeweils zuständige Gesundheitsamt. Die Behörden vor Ort würden dann ein Bußgeldverfahren durchführen. Wie viele Verdachtsfälle sanktioniert worden sind, müssten also die rund 400 Gesundheitsämter wissen. In jedem Fall wird mit hohen Strafen gedroht: „Falschangaben können als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro verfolgt werden“, heißt es.

Als würden die Einreiseanmeldungen die Gesundheitsämter offenbar nicht schon genug belasten, gibt es da auch noch eine absurde Sondermöglichkeit. Urlauber können ihre Rückreise nämlich auch per Post erklären – mithilfe der sogenannten Ersatzmitteilung. Es ist ein DIN-A4-Formular, handschriftlich auszufüllen, das Einreisende spätestens 24 Stunden nach ihrer Ankunft an ein Postfach der Deutschen Post schicken sollen.

Das müssen sie jedenfalls dann tun, wenn weder die Fluggesellschaft noch die Bundespolizei den Zettel kontrolliert haben. Und auf die Ersatzmitteilungen greift ein beträchtlicher Teil der Reisenden zu. Laut Bundesgesundheitsministerium wurden seit November 2020 mehr als 1,2 Millionen der Formulare „postalisch übermittelt“. Das ist fast jede achte eingegangene Einreiseanmeldung.

Die Bearbeitung streckt sich über Tage

Von einem „deutlich höheren Zusatzaufwand“, spricht das Gesundheitsamt in Essen. „Die Schrift muss entziffert werden, die Daten müssen auf Virusvariantengebiete überprüft und dann gegebenenfalls elektronisch aufgenommen werden“, erklärt eine Sprecherin. Nicht leichter macht es da wohl die Tatsache, dass das Gesundheitsamt die Ersatzmitteilungen per Fax erhalte. „Die Verzögerung kann sich von drei bis fünf Tage erstrecken, und die Bearbeitung zieht sich dann auch nochmal einen Tag.“

Auch das Gesundheitsamt in Köln spricht von einem „Zeitversatz in der Bearbeitung von mehreren Werktagen“, unter anderem durch den Transport der Dokumente. Bis die Behörde den Zettel ausgewertet hat, dürfte die Mindest-Quarantänezeit von Rückkehrern aus Hochinzidenzgebieten in vielen Fällen schon längst vorüber sein.

Dieses Verfahren sei sinnbildlich für den Stand der Digitalisierung der Behörden in Deutschland, sagt FDP-Digitalpolitiker Müller-Böhm. „Die grundsätzliche Idee der Anmeldung ist hilfreich, um die Einhaltung der Quarantänepflichten zu überprüfen und die Kontaktnachverfolgung zu erleichtern. In der aktuellen Ausgestaltung ist sie aber sinnlos.“

Der Bundestagsabgeordnete hat deshalb einen anderen Vorschlag: Ein einfacher Schritt wäre die Einbindung der Corona-Warn-App bei der Einreiseanmeldung. In Spanien und Griechenland müssen Reisende ihre Daten vorab online eingeben und dann einen entsprechenden QR-Code am Flughafen einscannen lassen. Ansonsten kommen sie gar nicht erst zu ihrem Gepäck.

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