Schnelltests

Giftige Flüssigkeit – Hamburg setzt umstrittene Schnelltests zukünftig nicht mehr an Schulen ein

21.04.2021
Lesedauer: 4 Minuten
Es gibt Probleme mit Schnelltests an Hamburgs Schulen Quelle: dpa

Mehr als zwei Millionen Schnelltests eines koreanischen Anbieters bestellte Hamburg, besonders für den Einsatz an Schulen. Nach WELT-Recherchen enthalten diese eine giftige Chemikalie und werden ohne Schutzmaßnahmen eingesetzt. Nun zieht die Stadt die Notbremse.

Die Stadt Hamburg wird nach einer WELT-Anfrage in Zukunft keine Testkits der koreanischen Marke SD Biosensor (Sars-CoV-2 Rapid Antigen Test) in der bisherigen Form an Schulen einsetzen. Die Flüssigkeit dieser Tests, von denen rund 2.089.000 Testkits eingekauft wurden, enthält die Chemikalie Octylphenol – doch dieser Stoff ist in der Europäischen Union als besonders besorgniserregender Stoff (SVHC) eingestuft und gilt als hochgradig giftig.

Die Schulbehörde verteidigt die bisherige Anwendung, Schulbehördensprecher Peter Albrecht sagt jedoch auch: „Mit den kommenden Lieferungen kommt ein Testkit zum Einsatz, bei dem auch dieses minimale Risiko ausgeschlossen wird.“

Zwei Millionen Tests des Anbieters

Stand Anfang April hat die Stadt Hamburg sechs Millionen Schnelltests für Laien erworben, die in den Behörden, Schulen und Kitas zum Einsatz kommen, Kostenpunkt 9.896.040 Euro brutto. Knapp zwei Millionen Testkits stammen vom koreanischen Anbieter SD Biosensor, die Tests werden von Roche vertrieben und auch an Hamburger Schulen eingesetzt. Schüler benutzen diese Tests selbstständig unter Aufsicht von Lehrern.

Die European Chemicals Agency der EU führt zum enthaltenen Mittel Octylphenol aus: Die Substanz sei „sehr giftig“ und könne „ernsthafte Augenverletzungen“ und „Hautirritationen hervorrufen“. Im Beipackzettel heißt es deshalb unter Prävention P280 zur Durchführung: Es seien „Handschuhe/Augenschutz/Schutzbrille“ zu tragen. Das „P“ steht für „Precautionary Statements“, ist also eine Sicherheitsvorgabe der EU. Doch an Hamburgs Schulen wenden Kinder diese Tests völlig ohne Schutzmaßnahmen an, das berichteten Elternvertreter WELT. Auch Vorschüler sollten diesen Test nutzen.

Warum dürfen Schülerinnen und Schüler mit der Flüssigkeit ungeschützt hantieren? Wieso wendet die Schulbehörde einen Test an, der eine solche potenziell gefährliche Chemikalie enthält? Mehrmals konfrontiert mit den Bedenken erklärte die Schulbehörde: „Laut Auskunft der Gesundheitsbehörde waren zum Zeitpunkt der Bestellung keine alternativen Selbsttests in ausreichender Menge verfügbar, sodass man auf Schnelltests zurückgegriffen und diese durch Austausch des Stäbchens zu Schnellselbsttests gemacht hat.“

„Nur bei der Anwendung Dritter“

Die Sicherheitshinweise würden sich aber nur auf den professionellen Nasenabstrich durch Dritte beziehen. „Führen Dritte Testungen durch (und nur dann), ist eine entsprechende Schutzbekleidung zu tragen.“ Diese diene dem Schutz dritter Personen vor Infektionen durch den Kontakt mit Testmaterialien.

Nun die Volte: Da die Tests aber nicht von Dritten durchgeführt, sondern ausschließlich als Selbsttests angewendet werden, entfalle dieser Schritt. Bei der Selbsttestung der Kinder „muss niemand, der sich testet, eine Schutzbrille oder Ähnliches tragen.“ Unklar bleibt: Wieso müssen professionell geschulte Dritte, die jemanden testen, Schutzmaßnahmen treffen – im Zweifel ungeübte Kinder bei der Selbsttestung jedoch nicht?

Bisher keine Verletzungen

Der Anbieter Roche erklärt auf WELT-Anfrage, die betroffene Chemikalie sei ein Bestandteil der Pufferlösung, die wiederum verschlossen in einem vorkonfektionierten und verschlossenen Röhrchen geliefert werde. Der Tupfer enthalte diese nicht. Daher sei ein direkter Kontakt mit der Nasenschleimhaut ausgeschlossen. „Bei sachgemäßer Verwendung des Tests gemäß der Gebrauchsanleitung hat der Anwender zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu der Pufferlösung“, erklärte ein Sprecher.

„Daher sind die unter P280 aufgeführten präventiven Maßnahmen nicht zwingend notwendig, wenn der Test sachgemäß und streng nach Gebrauchsanweisung angewendet wird.“ Man empfehle jedoch eine Anwendung nur unter Aufsicht von Erwachsenen. Bisher sind nach WELT-Informationen keine Verletzungen im Unterricht mit den Tests aufgetreten.

An einigen Schulen wird der Test schon nicht mehr eingesetzt

Es gibt dennoch andere Selbsttests für Laien, die diesen Stoff nicht enthalten. Wieso wurden diese nicht stattdessen geordert? Die Schulbehörde erklärte, es waren zum Zeitpunkt „keine alternativen Selbsttests in ausreichender Menge verfügbar“. Sprecher Peter Albrecht betonte auch: „Mit der Testflüssigkeit kommt der Anwender in der Regel gar nicht in Kontakt und schon gar nicht wird die Flüssigkeit getrunken.“ Dennoch entschließt sich die Stadt nun umzusteuern.

An einigen betroffenen Schulen wie etwa der Stadtteilschule Rissen wird der Test nach der WELT-Anfrage schon nicht mehr benutzt.

Sabine Boeddinghaus, Schulexpertin der Linken, sagte: „Diese gefährlichen Tests hätten nie zum Einsatz kommen dürfen! Es bewahrheitet sich, dass die Schulen zwar teilweise geöffnet wurden, aber die Sicherstellung durch eine flankierende Teststrategie eben nicht gewährleistet werden konnte.“ Sie forderte weitere Aufklärung von den Behörden.

Auf eine Linken-Anfrage hatte der Senat kürzlich geantwortet, die in den Schulen angewandten Tests „sind einfach durchzuführen und können auch von Grundschülerinnen und Grundschülern sicher angewendet werden.“

Birgit Stöver, Schulexpertin der CDU, sagte WELT: „Selbsttests sind entwickelt, dass bei ordnungsgemäßer Verwendung, keine Gefahr von ihnen ausgeht (Haut- und Augenkontakt ist nicht vorgesehen und muss vermieden werden).“ Die CDU hatte gefordert, Lehrkräften geschultes und medizinisches Personal zur Seite zu stellen, um Gefahren zu vermeiden.

Dieser Forderung sei die Schulbehörde nicht nachgekommen, sagte Stöver. „Die Schulbehörde muss nun für Aufklärung sorgen und darf den entsprechenden Schnelltest nicht mehr einsetzen.“

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