Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben die Grünen eine eigene Kandidatin für das Kanzleramt aufgestellt: Annalena Baerbock. Sie spricht von einem »neuen Kapitel« für die Partei – und Deutschland, »wenn wir es gut machen«.
Annalena Baerbock soll die Grünen als Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf führen. Darauf hat sich die Parteichefin mit ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck geeinigt. Beide gaben die Entscheidung gemeinsam in Berlin bekannt. Mit ihrer Kandidatur beginne »heute ein neues Kapitel für unsere Partei und, wenn wir es gut machen, auch für unser Land«, sagte Baerbock.
Der Bundesvorstand hatte die Wahl der beiden bereits am Montagmorgen nach SPIEGEL-Informationen einstimmig abgesegnet. Die Personalie ist jedoch bislang nur vorläufig – sie muss noch auf dem Parteitag Mitte Juni bestätigt werden. Die Zustimmung gilt allerdings als sicher.
»Jetzt ist es Zeit, dass Politik über sich hinauswächst«
Seit dreieinhalb Jahren bilden Habeck und Baerbock eine Doppelspitze bei den Grünen. Die Spitzenkandidatur war lange eine offene Frage zwischen ihnen. »Jetzt passiert etwas, was noch vor Jahren unmöglich schien«, sagte Habeck in Berlin: »Wir kämpfen um das Kanzleramt.« So viele seien in dieser Pandemie über sich hinausgewachsen, ergänzte Baerbock: »Jeden Tag setzen sich überall in diesem Land Lehrerinnen und Pfleger, Forscherinnen und Landwirte, Ehrenamtliche für diese Gesellschaft ein und wachsen über sich hinaus. Jetzt ist es Zeit, dass Politik über sich hinauswächst.«
Trotz des immensen öffentlichen Interesses war über die Entscheidung bis zuletzt nichts nach außen gedrungen. Baerbock und Habeck einigten sich geräuschlos – wie glatt dies lief, zeigt sich insbesondere im Kontrast zur Union, die wegen des Streits zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur vor einer Zerreißprobe steht.
Baerbock sagte, die Entscheidung zur Kandidatinnenfrage sei ein Prozess gewesen. In den vergangenen Wochen und Monaten habe sie mit Habeck ausgelotet, wer es machen solle. Bereits vor Ostern hätten sich beide verständigt. Habeck und sie hätten sich in diesem Prozess »nicht geschont«. Es habe auch die »Frage der Emanzipation auch eine entscheidende Rolle gespielt«.
»Sie wird uns in diesem Wahlkampf anführen«
Habeck sagte, er und Baerbock hätten ein Verständnis von Macht, in dem beide kooperieren und »aneinander wachsen, anstatt sich gegenseitig die Beine wegzutreten«. Allerdings könne den Job im Kanzleramt »am Ende nur eine machen«, so Habeck. Das sei seine Kollegin Baerbock. Er lobte sie als kämpferische und selbstbewusste Frau. »Sie wird uns in diesem Wahlkampf anführen.«
Die 40-Jährige versprach Mut zu Änderungen. »Wir wussten vor drei Jahren nicht, dass wir heute hier stehen«, so Baerbock. »Wir wussten aber, dass wir unsere Partei öffnen wollen.« Sie wolle mit ihrer Kandidatur ein Angebot machen für die gesamte Gesellschaft. Sie wisse um die hohen Erwartungen an die Grünen und an sich, sagte Baerbock. »Es wird nicht immer leicht sein.« Doch die Gesellschaft sei »so viel weiter« als die Politik.
»Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Zeit«, so Baerbock. Dies werde der Maßstab für eine neue Regierung werden. Man müsse investieren – in Gerichtssäle, Polizeiwachen und schnelles Internet.
Ihre Kandidatur stehe für ein neues Verständnis von politischer Führung. Baerbock sagte, sie sei noch nie Kanzlerin oder Ministerin gewesen. Die fehlende Regierungserfahrung hatten manche Beobachter als Nachteil für Baerbock gedeutet. Sie formulierte es anders: »Ich trete an für Erneuerung, für den Status quo stehen andere.«
Baerbock hatte bisher weder auf Landesebene noch im Bund Regierungsämter inne – der Schritt ins Kanzleramt wäre ihr erstes Amt abseits der Grünen-Führung und ihrem Bundestagsmandat. Als Manko sieht die designierte Kandidatin das nicht. Sie bringe einen »guten Kompass« und viel »Lernfähigkeit« mit. Baerbock ist seit 2013 Abgeordnete im Bundestag.
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