Amri-Ausschuss

Verfassungsschutz lieferte Akten nicht

06.05.2021
Lesedauer: 4 Minuten

Der Bundestagsausschuss zum Anschlag am Berliner Breitscheidplatz hat die Beweisaufnahme beendet. Doch nun stellt sich heraus, dass der Verfassungsschutz mehrere Aktenordner zum Umfeld des Terroristen Amri nicht geliefert hat.

Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht. Vor wenigen Wochen hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuss im Bundestag zum Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz seine Beweisaufnahme beendet. Nach drei Jahren Ausschussarbeit, mehr als 100 Sitzungen und zahlreichen Zeugenvernehmungen schreiben die Abgeordneten nun an den Abschlussberichten. Zuvor hatten alle beteiligen Stellen noch einmal schriftlich versichert, dass sie den Parlamentariern alle angeforderten Akten vollständig zur Verfügung gestellt habe.

Aber das war wohl nicht korrekt, wie das Bundesinnenministerium am Mittwoch zugeben musste. „Im Rahmen einer Überprüfung wurde festgestellt, dass die Akten entgegen der bisherigen Annahme bislang nicht vollständig übermittelt worden waren“, teilte das Ministerium mit. Deshalb habe man nun Unterlagen nachgereicht.

Informationen zum Umfeld Amris

Nach WDR-Informationen handelt es sich um rund zehn Aktenordner des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), die Informationen über Islamisten aus dem Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri enthalten sollen. Es soll sich dabei vor allem um die Personenakte (P-Akte) des Berliner Islamisten Ahmad M. handeln sowie Unterlagen zu weiteren Personen, unter anderem zu Mahmoud O. und Ahmed Y., zwei Islamisten, die zum Netzwerk um den Hildesheimer Prediger Abu Walaa gehören.

Aber auch geheime Akten aus der Lageorientierten Sonderorganisation (LOS) „Berolina“, die der Verfassungsschutz nach dem Anschlag eingerichtet hatte, wurden dem Ausschuss wohl nicht geliefert. Sie sollen auch Kontaktpersonen Amris aus der islamistischen Szene in Berlin betreffen. Und einen Hinweisgeber, der sich nach dem Anschlag an den Verfassungsschutz gewandt haben und Angaben zur islamistischen Fussilet-Moschee und deren Besucher gemacht haben soll, zu denen auch Amri gehörte. Die Person soll später auch Angaben zum Raub der Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Bode-Museum im März 2017 gemacht haben.

Am Donnerstagmorgen soll Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke den Vertretern des Untersuchungsausschusses in kleiner Runde erläutert haben, die Unterlagen seien nicht bewusst zurückgehalten worden. Es handele sich vielmehr um einen Fehler von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes. Irrtümlicherweise habe man die bisherigen Aktenlieferungen als vollständig erachtet. BfV-Präsident Thomas Haldenwang will die Abgeordneten nun über die Vorgänge unterrichten und Fragen dazu beantworten.

Abgeordnete fordern weitere Sitzung

„Der Eindruck verfestigt sich, dass die Erklärung ‚Behördenversagen‘ nicht wirklich überzeugt“, erklärt die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Die nachgelieferten Akten würden Fragen aufwerfen, etwa zur „Weitergabe von wichtigen Hinweisen“ des Verfassungsschutzes an die Staatsanwaltschaft Berlin und den Generalbundesanwalt. Daher müsse der Untersuchungsausschuss nun in den nächsten Wochen noch einmal tagen, so Renner.

„Eine erste Durchsicht der nachgelieferten Akten zeigt, dass sehr wahrscheinlich eine weitere Ausschusssitzung notwendig wird, um die Sachverhalte genauer aufzuklären“, sagt auch der FDP-Innenexperte Benjamin Strasser. Der Ausschuss müsse vor allem der Frage nachgehen, „wie das BfV mit Hinweisen nach dem Anschlag umgegangen ist. Auch im Bezug zu möglichen Verbindungen der Islamisten zur organisierten Kriminalität“.

„Die verspätete Aktenlieferung ist mehr als misslich“, so die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic. Sie betont, der Untersuchungsausschuss habe stets auf Vollständigkeit der Unterlagen gedrängt. Die zugeschickten Verfassungsschutzakten würden nun genau geprüft. „Wir werden uns in der Aufklärung durch die späte Aktenlieferung nicht ausbremsen lassen.“

Was wusste der Verfassungsschutz?

Der Untersuchungsausschuss im Bundestag geht unter anderem der Frage nach, ob und falls ja, welche Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden es im Vorfeld des Terroranschlags am 19. Dezember 2016 gab. Auch die Rolle des BfV wurde dabei immer wieder thematisiert. Der damalige Behördenleiter Hans-Georg Maaßen hatte kurz nach dem Attentat mit zwölf Toten erklärt, seine Behörde habe über keine eigenen Erkenntnisse zum späteren Attentäter Amri verfügt. Der Terrorist, so Maaßen, sei ein reiner „Polizeifall“ gewesen.

Der Verfassungsschutz verfügte jedoch in der Berliner Islamistenszene wohl über mindestens eine Quelle, einen V-Mann, der auch die inzwischen geschlossene Fussilet-Moschee besucht hatte, in der Amri regelmäßig verkehrte. Den späteren Attentäter aber will der Verfassungsschutzspitzel nicht gekannt haben. Nach dem Anschlag berichtete der V-Mann jedoch, er habe den Tunesier in der Moschee gesehen.

Über dieses Thema berichtete das Nordmagazin am 06. April 2021 um 19:30 Uhr im NDR Fernsehen.

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