Dem Mediziner und Kritiker der Corona-Maßnahmen Paul Brandenburg werden seine Gewerberäume gekündigt. Er sieht sich denunziert.
Berlin. Gerade mal gut zwei Wochen hatten die Mitarbeiter des neuen Corona-Testzentrums an der Husemannstraße 17 ihrer Kundschaft in der Nase gebohrt. Bis Juli oder August sollte das so weitergehen. Doch bereits am Dienstag, 4. Mai 2021, um 14.41 Uhr, erhielt der Betreiber, Paul Brandenburg, von seiner Hausverwaltung R.E.M.M. Real Estate Merger Management eine Mail: „Wir beenden das Nutzungsverhältnis in der Husemannstraße einvernehmlich am kommenden Freitag, den 7. Mai 2021. Die Rückgabe der Mietfläche findet um 12.00 statt.“
Keine drei Tage sollten ihm verbleiben, mit allen Gerätschaften und Möbeln zu verschwinden. Von „einvernehmlich“ konnte keine Rede sein. Brandenburg ließ seinen Rechtsanwalt die R.E.M.M.-Verwaltung darauf aufmerksam machen, dass die Kündigung laut Vertrag erst zum Monatsende möglich sei. Aber warum wollte man ihn so plötzlich überhaupt loswerden?
Ein Schreiben an die Hausverwaltung
Es gab Beschwerden im Haus gegen Brandenburg. Doch die Mitmieterin, Stephanie Weyand, mokierte sich nicht darüber, dass der Arzt und Publizist zu laut sei, den Abfall nicht trenne oder sich unzüchtig am offenen Fenster zeige. Nein, die Angestellte der SPD-Bundestagsfraktion hatte in einer von Brandenburg kurz darauf veröffentlichten Mail an die Hausverwaltung Klage gegen den Arzt geführt – wegen seiner politischen Gesinnung. Gesendet am 2. Mai, einem Sonntag. Angekommen war die Mail somit offenbar einen Tag, bevor die Kündigung an Brandenburg herausging.
Brandenburg sei ein „Antidemokrat“ und ein „Coronaleugner“, hieß es in Weyands Mail. Ferner warf sie ihm vor, für sein Testzentrum öffentliche Zuschüsse zu beziehen, die Maßnahmen der Regierung gegen Corona aber abzulehnen. Mit der Bemerkung, „ich und sicherlich auch die anderen Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses möchten nicht mit einem Demokratiegefährder unter einem Dach leben“, ließ sie durchblicken, dass bei Bedarf im Hause auch Stimmung gegen Brandenburg entfacht werden könne.
Bemerkenswert ist, dass Weyand ihr Schreiben an die Hausverwaltung nicht nur als Privatsache „eintütete“, sondern dabei ganz offen ihre Stellung in der SPD-Bundestagsfraktion in Anschlag brachte: „Ich setze meine Dienstadresse mit in Kopie und informiere dann auch meinen Kollegen aus der SPD-Fraktion, der in der Husemannstraße 17 wohnt.“
Die Absenderin der Mail berief sich bei ihren Vorwürfen gegen Brandenburg auf den „Tagesspiegel“, aus dem sie an jenem 2. Mai dies alles „erfahren“ habe. In jenem Beitrag sowie einem vorherigen vom 29. April hatte das Blatt schwere Vorwürfe gegen die Schauspielerinnen und Schauspieler erhoben, die im Rahmen ihrer Aktion „#allesdichtmachen“ satirisch überspitzt über die scharfen Lockdown-Maßnahmen der Regierung hergezogen waren. Brandenburg, auch Publizist, wurde dabei im ursprünglichen Beitrag als eine Art Drahtzieher der Aktion dargestellt. Offenbar allerdings hatte Weyand darauf verzichtet, die so tiefgreifenden Behauptungen des Blattes selbst erst einmal zu überprüfen und mit eigenen Erkenntnissen zu unterfüttern, was sich nun insofern rächt, als der „Tagesspiegel“ in seinen Online-Versionen mehrere seiner Kernvorwürfe ausdrücklich zurücknehmen musste.
Andeutungen, Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten – aber keine Belege
Die beiden in ihrer Aufmachung investigativ präsentierten Artikel hatten den Eindruck erweckt, hinter der Satireaktion hätte eine demokratiefeindliche Verschwörung gestanden, teils mit Brandenburg als Hintermann. Die Autoren konnten allerdings, wie unzählige Leserkommentare anmerkten, außer Andeutungen, Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten keine tatsächlichen Belege liefern – einmal abgesehen etwa davon, dass einige Protagonisten an Orten aufgetreten waren, an denen auch schon mal rechtsstehende Personen sprechen durften, und dass die Aktion „Beifall von der falschen Seite“ erhalten habe. Außer „Tagesspiegel“-Mitarbeitern gehörte zu den Autoren des Beitrags auch ein „Recherchenetzwerk Antischwurbler“ – deren Angehörige allerdings anonym bleiben wollten.
Die Zeitung „Die Welt“ sieht deshalb eine Zusammenarbeit des „Tagesspiegels“ mit der „Internet-Antifa“. In ihrem ausführlichen Beitrag „Kurzschluss“ vom 7. Mai legte sie die Schwächen der Beiträge offen und wies auf deren „Fluidität“ hin, weil in den Online-Ausgaben nach und nach mehrere Dinge geändert und – teilweise mit ausdrücklichen Hinweisen – dann auch zurückgenommen wurden. So etwa der Eindruck, dass einige Schauspieler in die Nähe von „rechtsextremem Gedankengut“ gerückt worden seien: „Das war nicht unsere Absicht“. Schließlich musste das Blatt auch einräumen: „Der Tagesspiegel hat sich entschieden, das Netzwerk (der Schauspieler, Red.) anders als in der ursprünglichen Überschrift zu diesem Zeitpunkt nicht als ‚antidemokratisch’ zu bezeichnen.“ Gestern kündigte die Chefredaktion des „Tagesspiegels“ an, am heutigen Dienstagabend eine öffentliche Online-Diskussionsveranstaltung mit Paul Brandenburg über seine Berichterstattung anzubieten.
Üble Nachrede: Brandenburg hat Strafanzeige erstattet
Die Berliner Morgenpost fragte bei der Mail-Absenderin Weyand nach, inwieweit sie spätestens nach dem Verzicht auf ursprünglich erhobene Kernvorwürfe ihre Intervention bei Brandenburgs Vermieter rückblickend in einem anderen Licht sehe. Es kam keine Antwort. Brandenburg hat inzwischen bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen Weyand eingereicht wegen Verleumdung, übler Nachrede und Nötigung.
Offenbar hat die – freiwillige oder unfreiwillige – Verwicklung der SPD in den Vorgang viele Parteimitglieder auf den Plan gerufen, die ihren Zorn und Unmut in Mails an die Fraktion kundtun. Laut Brandenburg seien Dutzende davon in Kopie auch an ihn gegangen, wie er sagt, durchgehend im Tonfall eines Beispiels, das er anonymisiert zur Verfügung stellte: „Insbesondere als Sozialdemokratin bin ich zutiefst enttäuscht von einem solchen Gebaren. Ich war der Überzeugung, dass die Zeiten von Denunziation, Diskreditierung und Diffamierung politisch Andersdenkender endgültig der Vergangenheit angehören.“
SPD-Mitarbeiterin Weyand Ansprechpartnerin für Dialog „gegen Hass und Hetze“
Eine pikante Note erhält der Fall noch durch eine besondere Aufgabe, die die SPD-Bundestagsfraktion ihrer Mitarbeiterin Weyand im Oktober letzten Jahres angetragen hatte. Sie war Ansprechpartnerin für den „Medienpolitischen Dialog“ der Fraktion zum Thema: „Meinungsfreiheit und demokratische Diskussionskultur in den Medien – gegen Hass und Hetze“. Es gehe darum, so hieß es in der Ankündigung, Menschen, „die in beruflicher oder ehrenamtlicher Tätigkeit Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind“, besser zu schützen.
Offenbar hat man seit der Intervention ihrer Mitarbeiterin in der SPD-Fraktion Bedenken, dass ihr Name mit dieser Veranstaltung in Verbindung gebracht werden könnte. Deshalb wurde er offenbar jetzt, ein halbes Jahr danach, gezielt aus den entsprechenden Webseiten entfernt – doch das Netz vergisst nie: Im Cache der Suchmaschine Google ist als Ansprechpartnerin mit Telefonnummer und Email-Adresse der Name Weyand nach wie vor erhalten.
Der hier dargestellte Vorgang beruht überwiegend auf Mitteilungen und Dokumentationen von Brandenburg. Die Berliner Morgenpost fragte bei allen anderen Beteiligten, der Hausverwaltung, der SPD-Bundestagsfraktion und Stephanie Weyand nach deren Ansicht, erhielt jedoch keine Antwort.